Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite
An Eduard Gans, in Paris.


Regenwetter; Wolkenspiel, große Regenschauer, minder
beträchtliche, aber der Anblick immer schön und ununterbrochen
unterhaltend. Ich bin ein Liebhaber der Natur! Ich sehe
hier, daß ich beinah nichts, als ihren freien Anblick brauche.
Sollte solch ein Durchdrungener nicht die Gabe obenein haben,
"zu sagen, wie er fühlt?" (Tasso) -- und der Dichter wäre
da! Sehen Sie aber ganz in mein halbes Dichterherz! dies
beklag' und bedaure ich nur für Andre; gar nicht für mich;
ich fühle, und habe darin genug. -- Meine Handschrift ist
besonders heute noch schlecht, weil ich mir Sonntag, im Zer-
brechen einer Schüssel, den rechten Zeigefinger auf den beiden
obern Gliedern weit aufgeschnitten habe; er ist ganz gut in
der Heilung; aber da hartgewordener Schwamm drauf ist,
will er nicht schreiben. Seit ich aus Berlin bin, seit dem
6. Juli, sind Sie der Zweite, dem ich schreibe. Fürst Kos-
loffsky hatte einige Grußzeilen vor meinem Schnitt. Auch ist
unsre Universität Schuld an meinem griffonnage -- Klauerei
wollte mir nicht gleich einfallen, und Gekritzel paßte mir hier
nicht -- Dore hat diese meine Feder, mit zwölf oder vierzehn
andren, für sechs Dreier Münze im Universitätshof gekauft! --
und was könnte ich hinzufügen, für was eine Universität alles

An Eduard Gans, in Paris.


Regenwetter; Wolkenſpiel, große Regenſchauer, minder
beträchtliche, aber der Anblick immer ſchön und ununterbrochen
unterhaltend. Ich bin ein Liebhaber der Natur! Ich ſehe
hier, daß ich beinah nichts, als ihren freien Anblick brauche.
Sollte ſolch ein Durchdrungener nicht die Gabe obenein haben,
„zu ſagen, wie er fühlt?“ (Taſſo) — und der Dichter wäre
da! Sehen Sie aber ganz in mein halbes Dichterherz! dies
beklag’ und bedaure ich nur für Andre; gar nicht für mich;
ich fühle, und habe darin genug. — Meine Handſchrift iſt
beſonders heute noch ſchlecht, weil ich mir Sonntag, im Zer-
brechen einer Schüſſel, den rechten Zeigefinger auf den beiden
obern Gliedern weit aufgeſchnitten habe; er iſt ganz gut in
der Heilung; aber da hartgewordener Schwamm drauf iſt,
will er nicht ſchreiben. Seit ich aus Berlin bin, ſeit dem
6. Juli, ſind Sie der Zweite, dem ich ſchreibe. Fürſt Kos-
loffsky hatte einige Grußzeilen vor meinem Schnitt. Auch iſt
unſre Univerſität Schuld an meinem griffonnage — Klauerei
wollte mir nicht gleich einfallen, und Gekritzel paßte mir hier
nicht — Dore hat dieſe meine Feder, mit zwölf oder vierzehn
andren, für ſechs Dreier Münze im Univerſitätshof gekauft! —
und was könnte ich hinzufügen, für was eine Univerſität alles

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0218" n="210"/>
        <div n="2">
          <head>An Eduard Gans, in Paris.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Mittwoch den 10. Augu&#x017F;t 1825 in Baden, 10 Uhr Mor-<lb/>
gens &#x2014; fertig angezogen, meine ich, und <hi rendition="#g">ge&#x017F;etzt</hi><lb/>
zum Schreiben, alle häuslichen, könnte auch &#x017F;chrei-<lb/>
ben: häßlichen Ge&#x017F;chäfte auf die Seite gearbeitet,<lb/>
um Ihnen mit Seelenruhe Gutenmorgen &#x017F;chreiben<lb/>
zu können.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Regenwetter; Wolken&#x017F;piel, große Regen&#x017F;chauer, minder<lb/>
beträchtliche, aber der Anblick immer &#x017F;chön und ununterbrochen<lb/>
unterhaltend. Ich bin ein Liebhaber der Natur! Ich &#x017F;ehe<lb/><hi rendition="#g">hier</hi>, daß ich beinah <hi rendition="#g">nichts</hi>, als ihren freien Anblick brauche.<lb/>
Sollte &#x017F;olch ein Durchdrungener nicht die Gabe obenein haben,<lb/>
&#x201E;zu &#x017F;agen, wie er fühlt?&#x201C; (Ta&#x017F;&#x017F;o) &#x2014; und der Dichter wäre<lb/><hi rendition="#g">da</hi>! Sehen Sie aber ganz in mein halbes Dichterherz! dies<lb/>
beklag&#x2019; und bedaure ich nur für Andre; gar nicht für mich;<lb/>
ich fühle, und habe darin genug. &#x2014; Meine Hand&#x017F;chrift i&#x017F;t<lb/>
be&#x017F;onders heute noch &#x017F;chlecht, weil ich mir Sonntag, im Zer-<lb/>
brechen einer Schü&#x017F;&#x017F;el, den rechten Zeigefinger auf den beiden<lb/>
obern Gliedern weit aufge&#x017F;chnitten habe; er i&#x017F;t ganz gut in<lb/>
der Heilung; aber da hartgewordener Schwamm drauf i&#x017F;t,<lb/>
will er nicht &#x017F;chreiben. Seit ich aus Berlin bin, &#x017F;eit dem<lb/>
6. Juli, &#x017F;ind Sie der Zweite, dem ich &#x017F;chreibe. Für&#x017F;t Kos-<lb/>
loffsky hatte einige Grußzeilen vor meinem Schnitt. Auch i&#x017F;t<lb/>
un&#x017F;re Univer&#x017F;ität Schuld an meinem <hi rendition="#aq">griffonnage</hi> &#x2014; Klauerei<lb/>
wollte mir nicht gleich einfallen, und Gekritzel paßte mir hier<lb/>
nicht &#x2014; Dore hat die&#x017F;e meine Feder, mit zwölf oder vierzehn<lb/>
andren, für &#x017F;echs Dreier Münze im Univer&#x017F;itätshof gekauft! &#x2014;<lb/>
und was könnte ich hinzufügen, für was eine Univer&#x017F;ität alles<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0218] An Eduard Gans, in Paris. Mittwoch den 10. Auguſt 1825 in Baden, 10 Uhr Mor- gens — fertig angezogen, meine ich, und geſetzt zum Schreiben, alle häuslichen, könnte auch ſchrei- ben: häßlichen Geſchäfte auf die Seite gearbeitet, um Ihnen mit Seelenruhe Gutenmorgen ſchreiben zu können. Regenwetter; Wolkenſpiel, große Regenſchauer, minder beträchtliche, aber der Anblick immer ſchön und ununterbrochen unterhaltend. Ich bin ein Liebhaber der Natur! Ich ſehe hier, daß ich beinah nichts, als ihren freien Anblick brauche. Sollte ſolch ein Durchdrungener nicht die Gabe obenein haben, „zu ſagen, wie er fühlt?“ (Taſſo) — und der Dichter wäre da! Sehen Sie aber ganz in mein halbes Dichterherz! dies beklag’ und bedaure ich nur für Andre; gar nicht für mich; ich fühle, und habe darin genug. — Meine Handſchrift iſt beſonders heute noch ſchlecht, weil ich mir Sonntag, im Zer- brechen einer Schüſſel, den rechten Zeigefinger auf den beiden obern Gliedern weit aufgeſchnitten habe; er iſt ganz gut in der Heilung; aber da hartgewordener Schwamm drauf iſt, will er nicht ſchreiben. Seit ich aus Berlin bin, ſeit dem 6. Juli, ſind Sie der Zweite, dem ich ſchreibe. Fürſt Kos- loffsky hatte einige Grußzeilen vor meinem Schnitt. Auch iſt unſre Univerſität Schuld an meinem griffonnage — Klauerei wollte mir nicht gleich einfallen, und Gekritzel paßte mir hier nicht — Dore hat dieſe meine Feder, mit zwölf oder vierzehn andren, für ſechs Dreier Münze im Univerſitätshof gekauft! — und was könnte ich hinzufügen, für was eine Univerſität alles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/218
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/218>, abgerufen am 22.12.2024.