mehrere neue mit fortreißt; aber sie dann mit einander ein neues Ganzes bilden, welches bestätigend, und vollständiger fortwühlt; wie ein großer Strom, der zum immensen allge- meinen Musikmeer führt. Mit eben solcher Meisterschaft sind auch seine Sätze, bis auf die kleinsten Phrasen und Aus- drücke, behandelt: er wiederholt auch den kleinsten nicht: wie alle Musiker bisher nicht ganz unterließen; und die schlechten und schlechtesten nie -- aus Müssigkeit, Verlegenheit oder Verführung des Ohrs, im leeren Moment: sondern, wenn er etwas wiederholt, so geschieht's durch neue Eingebung, die man oft nicht von seinen kunstreichen und kunstgehörigen Überlegungen unterscheiden kann: er gebraucht solche Tongeuppe zum Weiterschreiten, in einem neuen Rapport, und sie muß ihm andere Gefühls- und Gedankengefilde erschließen und Neues bedeuten; -- wie alle schöpferische Autoren; in Rede, und Musik: wie auch Mozart Andre und sich gebrauchte; im höchsten Witz und reinster Eingebung. Sieben Töne giebt es ja nur: auch nur eine gezählte Wortanzahl; der wahre Gedanke, der Seelenzustand geht vorher; und Töne und Worte dienen dem Schöpfer zum Ausdruck seiner Konzeption. -- Daher kommt's, daß Spontini nie ennuyirt; wenn wir nur aufmerksam sind: daß wir das aber immer nur mit Vorsatz bleiben können, ist sein Fehler. Aber ein Fehler, den er ver- meiden kann, wenn er will; weil er darin liegt, daß er sich nur zu sehr selbst zwingt: und ich möchte wohl sagen, seine wahren Eingebungen bezwingt. Dies, glaub' ich, hat er lei- der in Frankreich mit großer Mühe gelernt, wo Sujet, Text, Gluck, den sie sich dort sowohl, als er sie erzog, eine so
mehrere neue mit fortreißt; aber ſie dann mit einander ein neues Ganzes bilden, welches beſtätigend, und vollſtändiger fortwühlt; wie ein großer Strom, der zum immenſen allge- meinen Muſikmeer führt. Mit eben ſolcher Meiſterſchaft ſind auch ſeine Sätze, bis auf die kleinſten Phraſen und Aus- drücke, behandelt: er wiederholt auch den kleinſten nicht: wie alle Muſiker bisher nicht ganz unterließen; und die ſchlechten und ſchlechteſten nie — aus Müſſigkeit, Verlegenheit oder Verführung des Ohrs, im leeren Moment: ſondern, wenn er etwas wiederholt, ſo geſchieht’s durch neue Eingebung, die man oft nicht von ſeinen kunſtreichen und kunſtgehörigen Überlegungen unterſcheiden kann: er gebraucht ſolche Tongeuppe zum Weiterſchreiten, in einem neuen Rapport, und ſie muß ihm andere Gefühls- und Gedankengefilde erſchließen und Neues bedeuten; — wie alle ſchöpferiſche Autoren; in Rede, und Muſik: wie auch Mozart Andre und ſich gebrauchte; im höchſten Witz und reinſter Eingebung. Sieben Töne giebt es ja nur: auch nur eine gezählte Wortanzahl; der wahre Gedanke, der Seelenzuſtand geht vorher; und Töne und Worte dienen dem Schöpfer zum Ausdruck ſeiner Konzeption. — Daher kommt’s, daß Spontini nie ennuyirt; wenn wir nur aufmerkſam ſind: daß wir das aber immer nur mit Vorſatz bleiben können, iſt ſein Fehler. Aber ein Fehler, den er ver- meiden kann, wenn er will; weil er darin liegt, daß er ſich nur zu ſehr ſelbſt zwingt: und ich möchte wohl ſagen, ſeine wahren Eingebungen bezwingt. Dies, glaub’ ich, hat er lei- der in Frankreich mit großer Mühe gelernt, wo Sujet, Text, Gluck, den ſie ſich dort ſowohl, als er ſie erzog, eine ſo
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mehrere neue mit fortreißt; aber ſie dann mit einander ein
neues Ganzes bilden, welches beſtätigend, und vollſtändiger
fortwühlt; wie ein großer Strom, der zum immenſen allge-
meinen Muſikmeer führt. Mit eben ſolcher Meiſterſchaft
ſind auch ſeine Sätze, bis auf die kleinſten Phraſen und Aus-
drücke, behandelt: er wiederholt auch den kleinſten nicht: wie
alle Muſiker bisher nicht ganz unterließen; und die ſchlechten
und ſchlechteſten nie — aus Müſſigkeit, Verlegenheit oder
Verführung des Ohrs, im leeren Moment: ſondern, wenn er
etwas wiederholt, ſo geſchieht’s durch neue Eingebung, die
man oft nicht von ſeinen kunſtreichen und kunſtgehörigen
Überlegungen unterſcheiden kann: er gebraucht ſolche Tongeuppe
zum Weiterſchreiten, in einem neuen Rapport, und ſie muß
ihm andere Gefühls- und Gedankengefilde erſchließen und
Neues bedeuten; — wie alle ſchöpferiſche Autoren; in Rede,
und Muſik: wie auch Mozart Andre und ſich gebrauchte; im
höchſten Witz und reinſter Eingebung. Sieben Töne giebt
es ja nur: auch nur eine gezählte Wortanzahl; der wahre
Gedanke, der Seelenzuſtand geht vorher; und Töne und Worte
dienen dem Schöpfer zum Ausdruck ſeiner Konzeption. —
Daher kommt’s, daß Spontini nie ennuyirt; wenn wir nur
aufmerkſam ſind: daß wir das aber immer nur mit Vorſatz
bleiben können, iſt ſein Fehler. Aber ein Fehler, den er ver-
meiden kann, wenn er will; weil er darin liegt, daß er ſich
nur zu ſehr ſelbſt zwingt: und ich möchte wohl ſagen, ſeine
wahren Eingebungen bezwingt. Dies, glaub’ ich, hat er lei-
der in Frankreich mit großer Mühe gelernt, wo Sujet, Text,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/205>, abgerufen am 25.11.2024.
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