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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böses aus den dun-
keln Busen der Menschen eben so hervorgelassen war, dieser
Mann, gleich unzähligen andern Franzosen, so vielen Schutz
erhielt, so große Wohlthaten, so vielfältige Opfer; oft von
Unbekannten, und am öftersten mit Gefahr ihres Lebens und
der eines gräuelhaften, schmachvollen Todes. Bei dem bessern
Theil dieser Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein
Gesetz Freundschaft bei ihnen ist; wie gesetzlich sie sie behan-
deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält-
nissen bei ihnen festgestellt erscheinen: wie ausgebildet sie auch
die ernstern Lebensformen besitzen und behandeln. In dem
Ausbruch ihrer großen politischen Krankheit war das beson-
ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe,
wie in ihrem Kampf. Wir andern aber stehen ihnen in
Güte, und der Überzeugung dessen, was wir sollen, nicht nach:
und doch finde ich uns so verschieden von ihnen; auch in der
Ausübung, die man die moralische nennt. Fast möchte ich
sagen, der Deutsche versteht seine Gedanken, der
Franzose seine Worte besser
. Devoaument, sacrifice,
les sentimens de la nature,
das sind Sturmglocken für ein
französisches Ohr; darauf kommt sein Herz zu Hülfe. Alle
Franzosen verstehen alle ihre Worte -- wie oft hatte ich dies
in der Revolutionsgeschichte zu bemerken, und zu bewundern!
-- Wie könnte man wohl eine deutsche Volksmasse anreden,
um sich verständlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von
nur städtischen Verhältnissen zum Beispiel, geben, wie ihr
eine zu zerstörende Intrigue klar machen? Wie geschwind
wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen

zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böſes aus den dun-
keln Buſen der Menſchen eben ſo hervorgelaſſen war, dieſer
Mann, gleich unzähligen andern Franzoſen, ſo vielen Schutz
erhielt, ſo große Wohlthaten, ſo vielfältige Opfer; oft von
Unbekannten, und am öfterſten mit Gefahr ihres Lebens und
der eines gräuelhaften, ſchmachvollen Todes. Bei dem beſſern
Theil dieſer Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein
Geſetz Freundſchaft bei ihnen iſt; wie geſetzlich ſie ſie behan-
deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält-
niſſen bei ihnen feſtgeſtellt erſcheinen: wie ausgebildet ſie auch
die ernſtern Lebensformen beſitzen und behandeln. In dem
Ausbruch ihrer großen politiſchen Krankheit war das beſon-
ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe,
wie in ihrem Kampf. Wir andern aber ſtehen ihnen in
Güte, und der Überzeugung deſſen, was wir ſollen, nicht nach:
und doch finde ich uns ſo verſchieden von ihnen; auch in der
Ausübung, die man die moraliſche nennt. Faſt möchte ich
ſagen, der Deutſche verſteht ſeine Gedanken, der
Franzoſe ſeine Worte beſſer
. Dévoûment, sacrifice,
les sentimens de la nature,
das ſind Sturmglocken für ein
franzöſiſches Ohr; darauf kommt ſein Herz zu Hülfe. Alle
Franzoſen verſtehen alle ihre Worte — wie oft hatte ich dies
in der Revolutionsgeſchichte zu bemerken, und zu bewundern!
— Wie könnte man wohl eine deutſche Volksmaſſe anreden,
um ſich verſtändlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von
nur ſtädtiſchen Verhältniſſen zum Beiſpiel, geben, wie ihr
eine zu zerſtörende Intrigue klar machen? Wie geſchwind
wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen

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[165/0173] zelner zu handeln hatte, und Gutes und Böſes aus den dun- keln Buſen der Menſchen eben ſo hervorgelaſſen war, dieſer Mann, gleich unzähligen andern Franzoſen, ſo vielen Schutz erhielt, ſo große Wohlthaten, ſo vielfältige Opfer; oft von Unbekannten, und am öfterſten mit Gefahr ihres Lebens und der eines gräuelhaften, ſchmachvollen Todes. Bei dem beſſern Theil dieſer Nation überhaupt, kann man bemerken, welch ein Geſetz Freundſchaft bei ihnen iſt; wie geſetzlich ſie ſie behan- deln. Wie Aufopferung und Hingebung in mehreren Verhält- niſſen bei ihnen feſtgeſtellt erſcheinen: wie ausgebildet ſie auch die ernſtern Lebensformen beſitzen und behandeln. In dem Ausbruch ihrer großen politiſchen Krankheit war das beſon- ders zu bemerken; und für ihre Anerkenner, in ihrer Ruhe, wie in ihrem Kampf. Wir andern aber ſtehen ihnen in Güte, und der Überzeugung deſſen, was wir ſollen, nicht nach: und doch finde ich uns ſo verſchieden von ihnen; auch in der Ausübung, die man die moraliſche nennt. Faſt möchte ich ſagen, der Deutſche verſteht ſeine Gedanken, der Franzoſe ſeine Worte beſſer. Dévoûment, sacrifice, les sentimens de la nature, das ſind Sturmglocken für ein franzöſiſches Ohr; darauf kommt ſein Herz zu Hülfe. Alle Franzoſen verſtehen alle ihre Worte — wie oft hatte ich dies in der Revolutionsgeſchichte zu bemerken, und zu bewundern! — Wie könnte man wohl eine deutſche Volksmaſſe anreden, um ſich verſtändlich zu machen, wie ihr einen Begriff, von nur ſtädtiſchen Verhältniſſen zum Beiſpiel, geben, wie ihr eine zu zerſtörende Intrigue klar machen? Wie geſchwind wußten jene all dies, wenn auch oft verkehrt; es war ihnen

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/173>, abgerufen am 25.11.2024.