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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Schweigen." Shakespear wußte es; Hamlet mußt' es sagen.
(Melancholisch gesagt!) Also weiter! Adieu lieber Freund.
Wenn ich treu bin, sind Sie's auch. Antworten Sie ja. Ge-
neralkonsul Dehn schickt mir gern den Brief.

(Rahel, damit Sie mich kennen;) Friederike Varnhagen.

Meine Namen sind: Rahel, Antonie, Friederike; mit dem
letzen unterschreibe ich alles Offizielle. Der Zug R bleibt meine
Wappen. Mein Bruder Ludwig Robert hat eine sehr schöne
Frau geheirathet, auf die Sie hundert Gedichte machen wür-
den: sie ist auch liebenswürdig, und dichtet auch: Lieder.
Mein jüngster Bruder hat eine hübsche talentvolle Polin,
und zwei Knaben; der älteste eilf Jahr. Als riss' ich Grä-
ber auf und mein Herz, und bestürmte mit zwanzig neuen
Leben meinen Kopf, so ist es mir, muß ich einem Alten
schreiben! Man muß bei einander bleiben: man ist zu dumm,
man sucht Fortüne, und verläßt Glück. Wir sind getrieben.
Ich werde je klüger, immer dümmer. Ruhe, Garten! Garten!
Vieles ist nicht von hier: darunter gehören Blumen, Düfte,
Stille. Wenn das Leben aufplatzen wird, was ist dann?
Neue Jugend: Wunder. Gewiß. Adieu!

*) Das Wort Ausspannen drückt einzig den frustrirten
Zustand aus; die Pferde, der Knecht, die langsam, unwieder-
bringlich weiter gehn! das stehende Fuhrwerk, was zu nichts
mehr nützt, sondern hindert; der Embarras; das Todte darin;
das Nachsehn; die Unbehülflichkeit. Wahrlich! Goethe hat
das herrlichst benutzt in der Schilderung im Meister, wie die
armen Akteurs, so ausgespannt, im alten Theil des Schlosses

Schweigen.“ Shakeſpear wußte es; Hamlet mußt’ es ſagen.
(Melancholiſch geſagt!) Alſo weiter! Adieu lieber Freund.
Wenn ich treu bin, ſind Sie’s auch. Antworten Sie ja. Ge-
neralkonſul Dehn ſchickt mir gern den Brief.

(Rahel, damit Sie mich kennen;) Friederike Varnhagen.

Meine Namen ſind: Rahel, Antonie, Friederike; mit dem
letzen unterſchreibe ich alles Offizielle. Der Zug R bleibt meine
Wappen. Mein Bruder Ludwig Robert hat eine ſehr ſchöne
Frau geheirathet, auf die Sie hundert Gedichte machen wür-
den: ſie iſt auch liebenswürdig, und dichtet auch: Lieder.
Mein jüngſter Bruder hat eine hübſche talentvolle Polin,
und zwei Knaben; der älteſte eilf Jahr. Als riſſ’ ich Grä-
ber auf und mein Herz, und beſtürmte mit zwanzig neuen
Leben meinen Kopf, ſo iſt es mir, muß ich einem Alten
ſchreiben! Man muß bei einander bleiben: man iſt zu dumm,
man ſucht Fortüne, und verläßt Glück. Wir ſind getrieben.
Ich werde je klüger, immer dümmer. Ruhe, Garten! Garten!
Vieles iſt nicht von hier: darunter gehören Blumen, Düfte,
Stille. Wenn das Leben aufplatzen wird, was iſt dann?
Neue Jugend: Wunder. Gewiß. Adieu!

*) Das Wort Ausſpannen drückt einzig den fruſtrirten
Zuſtand aus; die Pferde, der Knecht, die langſam, unwieder-
bringlich weiter gehn! das ſtehende Fuhrwerk, was zu nichts
mehr nützt, ſondern hindert; der Embarras; das Todte darin;
das Nachſehn; die Unbehülflichkeit. Wahrlich! Goethe hat
das herrlichſt benutzt in der Schilderung im Meiſter, wie die
armen Akteurs, ſo ausgeſpannt, im alten Theil des Schloſſes
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[158/0166] Schweigen.“ Shakeſpear wußte es; Hamlet mußt’ es ſagen. (Melancholiſch geſagt!) Alſo weiter! Adieu lieber Freund. Wenn ich treu bin, ſind Sie’s auch. Antworten Sie ja. Ge- neralkonſul Dehn ſchickt mir gern den Brief. (Rahel, damit Sie mich kennen;) Friederike Varnhagen. Meine Namen ſind: Rahel, Antonie, Friederike; mit dem letzen unterſchreibe ich alles Offizielle. Der Zug R bleibt meine Wappen. Mein Bruder Ludwig Robert hat eine ſehr ſchöne Frau geheirathet, auf die Sie hundert Gedichte machen wür- den: ſie iſt auch liebenswürdig, und dichtet auch: Lieder. Mein jüngſter Bruder hat eine hübſche talentvolle Polin, und zwei Knaben; der älteſte eilf Jahr. Als riſſ’ ich Grä- ber auf und mein Herz, und beſtürmte mit zwanzig neuen Leben meinen Kopf, ſo iſt es mir, muß ich einem Alten ſchreiben! Man muß bei einander bleiben: man iſt zu dumm, man ſucht Fortüne, und verläßt Glück. Wir ſind getrieben. Ich werde je klüger, immer dümmer. Ruhe, Garten! Garten! Vieles iſt nicht von hier: darunter gehören Blumen, Düfte, Stille. Wenn das Leben aufplatzen wird, was iſt dann? Neue Jugend: Wunder. Gewiß. Adieu! *⁾ Das Wort Ausſpannen drückt einzig den fruſtrirten Zuſtand aus; die Pferde, der Knecht, die langſam, unwieder- bringlich weiter gehn! das ſtehende Fuhrwerk, was zu nichts mehr nützt, ſondern hindert; der Embarras; das Todte darin; das Nachſehn; die Unbehülflichkeit. Wahrlich! Goethe hat das herrlichſt benutzt in der Schilderung im Meiſter, wie die armen Akteurs, ſo ausgeſpannt, im alten Theil des Schloſſes

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/166>, abgerufen am 26.11.2024.