können; noch war sie so ungründlich und fade, und viel zu vollherzig, als daß es ihr möglich war, seinen gemeinen Tad- lern und deren Ausstellungen beizupflichten. Frau von Stael war von einer andern Art von Furien, als denen, die das Gewissen peitschen, verfolgt; aber diese garstigen Teufel waren eben so fleißig, als jene zu sein pflegen. Unaufhörlich verfolg- ten sie sie aus den Sälen und Gemächern von Paris; und diese Fratzen allein sind es, meines Bedünkens, die ihr ganzes Talent verwinzigt, getödtet und in Konvulsion gebracht haben. Weil nur die Summe, die unsere sittliche Ansicht von uns selbst und der Welt zusammenzieht, unsere Gaben zu Talent beleben kann. Wer nur für sittlich hält, was Andere loben, ist nicht mehr keusch; und ohne Unschuld, immer neu wieder- kehrende Unschuld, die im reinen Willen besteht, verwirrt sich jedes Talent, und gebärt Geschöpfe ohne Proportion in ihren Lebenselementen, d. h. der Tod, ein fremder Wille schleicht sich mit hinein. (Thut das die Natur, so schafft sie monstres, oder Krankheiten, die jeder erkennt, oder wenigstens Gelehrte. Bei Kunstwerken, Romanen, Gedichten, ist das schwerer zu belegen.) Das das unvermuthet Harte, widerspenstig Herbe, Fremde, aus der Bahn Gleitende in den Werken der Frau von Stael, daher das ganz Inkohärente in ihren Kritiken und Behauptungen; das Abwechsten der wahrhaftigsten Ausbrüche von wirklichen Gedanken, und des ganz eitlen Nichtigen ne- benan. Sie horchte nicht auf sich selbst: und dies, weil sie nach jedem Einfall und Gedanken gleich hinhörte, wie ihn das geehrte, geistvolle Paris, ihr Publikum, ihre Welt, beurtheilen würde: oder vielmehr mißverstehen könnte. Es war nicht bloß
können; noch war ſie ſo ungründlich und fade, und viel zu vollherzig, als daß es ihr möglich war, ſeinen gemeinen Tad- lern und deren Ausſtellungen beizupflichten. Frau von Staël war von einer andern Art von Furien, als denen, die das Gewiſſen peitſchen, verfolgt; aber dieſe garſtigen Teufel waren eben ſo fleißig, als jene zu ſein pflegen. Unaufhörlich verfolg- ten ſie ſie aus den Sälen und Gemächern von Paris; und dieſe Fratzen allein ſind es, meines Bedünkens, die ihr ganzes Talent verwinzigt, getödtet und in Konvulſion gebracht haben. Weil nur die Summe, die unſere ſittliche Anſicht von uns ſelbſt und der Welt zuſammenzieht, unſere Gaben zu Talent beleben kann. Wer nur für ſittlich hält, was Andere loben, iſt nicht mehr keuſch; und ohne Unſchuld, immer neu wieder- kehrende Unſchuld, die im reinen Willen beſteht, verwirrt ſich jedes Talent, und gebärt Geſchöpfe ohne Proportion in ihren Lebenselementen, d. h. der Tod, ein fremder Wille ſchleicht ſich mit hinein. (Thut das die Natur, ſo ſchafft ſie monstres, oder Krankheiten, die jeder erkennt, oder wenigſtens Gelehrte. Bei Kunſtwerken, Romanen, Gedichten, iſt das ſchwerer zu belegen.) Das das unvermuthet Harte, widerſpenſtig Herbe, Fremde, aus der Bahn Gleitende in den Werken der Frau von Staël, daher das ganz Inkohärente in ihren Kritiken und Behauptungen; das Abwechſten der wahrhaftigſten Ausbrüche von wirklichen Gedanken, und des ganz eitlen Nichtigen ne- benan. Sie horchte nicht auf ſich ſelbſt: und dies, weil ſie nach jedem Einfall und Gedanken gleich hinhörte, wie ihn das geehrte, geiſtvolle Paris, ihr Publikum, ihre Welt, beurtheilen würde: oder vielmehr mißverſtehen könnte. Es war nicht bloß
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können; noch war ſie ſo ungründlich und fade, und viel zu
vollherzig, als daß es ihr möglich war, ſeinen gemeinen Tad-
lern und deren Ausſtellungen beizupflichten. Frau von Staël
war von einer andern Art von Furien, als denen, die das
Gewiſſen peitſchen, verfolgt; aber dieſe garſtigen Teufel waren
eben ſo fleißig, als jene zu ſein pflegen. Unaufhörlich verfolg-
ten ſie ſie aus den Sälen und Gemächern von Paris; und
dieſe Fratzen allein ſind es, meines Bedünkens, die ihr ganzes
Talent verwinzigt, getödtet und in Konvulſion gebracht haben.
Weil nur die Summe, die unſere ſittliche Anſicht von uns
ſelbſt und der Welt zuſammenzieht, unſere Gaben zu Talent
beleben kann. Wer nur für ſittlich hält, was Andere loben,
iſt nicht mehr keuſch; und ohne Unſchuld, immer neu wieder-
kehrende Unſchuld, die im reinen Willen beſteht, verwirrt ſich
jedes Talent, und gebärt Geſchöpfe ohne Proportion in ihren
Lebenselementen, d. h. der Tod, ein fremder Wille ſchleicht ſich
mit hinein. (Thut das die Natur, ſo ſchafft ſie monstres,
oder Krankheiten, die jeder erkennt, oder wenigſtens Gelehrte.
Bei Kunſtwerken, Romanen, Gedichten, iſt das ſchwerer zu
belegen.) Das das unvermuthet Harte, widerſpenſtig Herbe,
Fremde, aus der Bahn Gleitende in den Werken der Frau
von Staël, daher das ganz Inkohärente in ihren Kritiken und
Behauptungen; das Abwechſten der wahrhaftigſten Ausbrüche
von wirklichen Gedanken, und des ganz eitlen Nichtigen ne-
benan. Sie horchte nicht auf ſich ſelbſt: und dies, weil ſie
nach jedem Einfall und Gedanken gleich hinhörte, wie ihn das
geehrte, geiſtvolle Paris, ihr Publikum, ihre Welt, beurtheilen
würde: oder vielmehr mißverſtehen könnte. Es war nicht bloß
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/16>, abgerufen am 24.11.2024.
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