mit großem Witz -- hier in Armuth Erkanntes; wie gering- stes Almosen auf höchsten Reichthum kann schließen lassen. Novalis sagt: "Wir sind auf ein unbekanntes Kapital an- gewiesen." Ich spreche von einem Defizit, welches wir hier finden. Alle Geister haben nur Ein Thema bekommen. Fichte, Goethe, Rousseau, Saint-Martin, Jean Paul, Alle, Alle, die etwas Gutes sagen, sagen dasselbe: lauter Variazionen auf das einfache, im höchsten Witz ersonnene Thema. Ich fühle mich und uns arm, wenn mir dies deutlich wird: es ist wie ein Spiel, von Karten, oder Schach: wenig feste Bedingungen, und die größten, unendlichsten Kombinationen. Nur wenn wir uns irren: das heißt, eine gemachte oder uns von der Natur vorgelegte Kombination für etwas Absolutes, Unver- änderliches halten, und uns darüber zufrieden geben, es näm- lich lieben, dann fühlen wir uns reich; das ist nichts, als uns in einen Zustand finden und setzen, in dem wir hier nicht blei- ben können: ein simulacre von Liebwerthheit vor uns zu ha- ben meinen. Liebe, Zufriedenheit, Approbation, Wohlgefallen, Zustimmung, muß frei aus uns ausstrahlen können, nicht gebrochen von Widerspruch; diese Liebe in uns ist ein Besitz, den wir gar nicht kennen, und eine Fertigkeit, die wir nicht, wie die des verständigen Geistes, erst hier machen: sie ist ge- macht, und auch die Vollständigkeit ihres Beziehungsgegen- standes haben wir verloren. Diese müßte können ergründet werden, die Liebe in uns; was sie eigentlich sucht. Verstand in allen Ableitungen sucht auch nur Liebenswerthes, Ver- nunft- Ordnung- Zusammenhang-Gemäßes; kurz, Gegen- stände der Liebe. Also lauter Anstalt, Hinhalten. Noch hat
mit großem Witz — hier in Armuth Erkanntes; wie gering- ſtes Almoſen auf höchſten Reichthum kann ſchließen laſſen. Novalis ſagt: „Wir ſind auf ein unbekanntes Kapital an- gewieſen.“ Ich ſpreche von einem Defizit, welches wir hier finden. Alle Geiſter haben nur Ein Thema bekommen. Fichte, Goethe, Rouſſeau, Saint-Martin, Jean Paul, Alle, Alle, die etwas Gutes ſagen, ſagen daſſelbe: lauter Variazionen auf das einfache, im höchſten Witz erſonnene Thema. Ich fühle mich und uns arm, wenn mir dies deutlich wird: es iſt wie ein Spiel, von Karten, oder Schach: wenig feſte Bedingungen, und die größten, unendlichſten Kombinationen. Nur wenn wir uns irren: das heißt, eine gemachte oder uns von der Natur vorgelegte Kombination für etwas Abſolutes, Unver- änderliches halten, und uns darüber zufrieden geben, es näm- lich lieben, dann fühlen wir uns reich; das iſt nichts, als uns in einen Zuſtand finden und ſetzen, in dem wir hier nicht blei- ben können: ein simulacre von Liebwerthheit vor uns zu ha- ben meinen. Liebe, Zufriedenheit, Approbation, Wohlgefallen, Zuſtimmung, muß frei aus uns ausſtrahlen können, nicht gebrochen von Widerſpruch; dieſe Liebe in uns iſt ein Beſitz, den wir gar nicht kennen, und eine Fertigkeit, die wir nicht, wie die des verſtändigen Geiſtes, erſt hier machen: ſie iſt ge- macht, und auch die Vollſtändigkeit ihres Beziehungsgegen- ſtandes haben wir verloren. Dieſe müßte können ergründet werden, die Liebe in uns; was ſie eigentlich ſucht. Verſtand in allen Ableitungen ſucht auch nur Liebenswerthes, Ver- nunft- Ordnung- Zuſammenhang-Gemäßes; kurz, Gegen- ſtände der Liebe. Alſo lauter Anſtalt, Hinhalten. Noch hat
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mit großem Witz — hier in Armuth Erkanntes; wie gering-
ſtes Almoſen auf höchſten Reichthum kann ſchließen laſſen.
Novalis ſagt: „Wir ſind auf ein unbekanntes Kapital an-
gewieſen.“ Ich ſpreche von einem Defizit, welches wir hier
finden. Alle Geiſter haben nur Ein Thema bekommen. Fichte,
Goethe, Rouſſeau, Saint-Martin, Jean Paul, Alle, Alle, die
etwas Gutes ſagen, ſagen daſſelbe: lauter Variazionen auf
das einfache, im höchſten Witz erſonnene Thema. Ich fühle
mich und uns arm, wenn mir dies deutlich wird: es iſt wie
ein Spiel, von Karten, oder Schach: wenig feſte Bedingungen,
und die größten, unendlichſten Kombinationen. Nur wenn
wir uns irren: das heißt, eine gemachte oder uns von der
Natur vorgelegte Kombination für etwas Abſolutes, Unver-
änderliches halten, und uns darüber zufrieden geben, es näm-
lich lieben, dann fühlen wir uns reich; das iſt nichts, als uns
in einen Zuſtand finden und ſetzen, in dem wir hier nicht blei-
ben können: ein simulacre von Liebwerthheit vor uns zu ha-
ben meinen. Liebe, Zufriedenheit, Approbation, Wohlgefallen,
Zuſtimmung, muß frei aus uns ausſtrahlen können, nicht
gebrochen von Widerſpruch; dieſe Liebe in uns iſt ein Beſitz,
den wir gar nicht kennen, und eine Fertigkeit, die wir nicht,
wie die des verſtändigen Geiſtes, erſt hier machen: ſie iſt ge-
macht, und auch die Vollſtändigkeit ihres Beziehungsgegen-
ſtandes haben wir verloren. Dieſe müßte können ergründet
werden, die Liebe in uns; was ſie eigentlich ſucht. Verſtand
in allen Ableitungen ſucht auch nur Liebenswerthes, Ver-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/148>, abgerufen am 27.11.2024.
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