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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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die Betrachtung ist es beinah schon so. Und da tritt wieder
Goethens: "Ist es nicht sonderbar, daß uns nicht allein das
Unmögliche, sondern auch so manches Mögliche versagt ist!"
ein. Dieser Knoten bedingt all unser Leben: folglich, das be-
liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir diesen Knoten
auflösen, so wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir
leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies sind
Gebete; diese sind aber nur Aufflüge -- elans --, die Erde
grünt, wir stehen darauf, die Sonne scheint: wir haben sie
und nichts gemacht: und sie genießen und betrachten ist ein
anderes Beten. Alles ist recht, wenn man nur ehrlich ist; und
sich Verwirrung abwehrt. Diese Stelle aus Jean Pauls Titan
hat mich sehr betroffen: "Solche Unähnlichkeiten" -- er hatte
sie benannt, sie waren tiefer als groß -- "schlagen unter ge-
bildeten Menschen nie zu offenen Fehden aus: aber sie legen
heimlich dem inneren Menschen ein Waffenstück nach dem an-
dern an, bis er hartgepanzert dasteht und losschlägt." Daß
er hartgepanzert mit einemmale dasteht, traf mich so sehr.
Mild, und gepanzert, fand ich mich seit ganz kurzem. Ein-
sehend, warum man nicht so viel fordern muß; und sehr ge-
neigt zu leisten, was nur gebraucht werden kann: das andere
aber nicht. Wenn ich milde sage, so meine ich das wie von
einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich stimme mich
nicht milde gegen Menschen; ich finde bloß gutes Wetter in
mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilsame Ge-
danken bereiten ein solches Gemüthswetter, sie kommen wie
belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei-
teten Boden. Ich sehe grade jetzt meine ganzen Lebensschick-

die Betrachtung iſt es beinah ſchon ſo. Und da tritt wieder
Goethens: „Iſt es nicht ſonderbar, daß uns nicht allein das
Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt!“
ein. Dieſer Knoten bedingt all unſer Leben: folglich, das be-
liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir dieſen Knoten
auflöſen, ſo wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir
leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies ſind
Gebete; dieſe ſind aber nur Aufflüge — élans —, die Erde
grünt, wir ſtehen darauf, die Sonne ſcheint: wir haben ſie
und nichts gemacht: und ſie genießen und betrachten iſt ein
anderes Beten. Alles iſt recht, wenn man nur ehrlich iſt; und
ſich Verwirrung abwehrt. Dieſe Stelle aus Jean Pauls Titan
hat mich ſehr betroffen: „Solche Unähnlichkeiten“ — er hatte
ſie benannt, ſie waren tiefer als groß — „ſchlagen unter ge-
bildeten Menſchen nie zu offenen Fehden aus: aber ſie legen
heimlich dem inneren Menſchen ein Waffenſtück nach dem an-
dern an, bis er hartgepanzert daſteht und losſchlägt.“ Daß
er hartgepanzert mit einemmale daſteht, traf mich ſo ſehr.
Mild, und gepanzert, fand ich mich ſeit ganz kurzem. Ein-
ſehend, warum man nicht ſo viel fordern muß; und ſehr ge-
neigt zu leiſten, was nur gebraucht werden kann: das andere
aber nicht. Wenn ich milde ſage, ſo meine ich das wie von
einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich ſtimme mich
nicht milde gegen Menſchen; ich finde bloß gutes Wetter in
mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilſame Ge-
danken bereiten ein ſolches Gemüthswetter, ſie kommen wie
belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei-
teten Boden. Ich ſehe grade jetzt meine ganzen Lebensſchick-

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[135/0143] die Betrachtung iſt es beinah ſchon ſo. Und da tritt wieder Goethens: „Iſt es nicht ſonderbar, daß uns nicht allein das Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt!“ ein. Dieſer Knoten bedingt all unſer Leben: folglich, das be- liebige Bild davon, den Roman. Wollen wir dieſen Knoten auflöſen, ſo wird ein Leitfaden zum göttlichen Willen; wir leben nicht weiter, und beugen uns im Herzen. Dies ſind Gebete; dieſe ſind aber nur Aufflüge — élans —, die Erde grünt, wir ſtehen darauf, die Sonne ſcheint: wir haben ſie und nichts gemacht: und ſie genießen und betrachten iſt ein anderes Beten. Alles iſt recht, wenn man nur ehrlich iſt; und ſich Verwirrung abwehrt. Dieſe Stelle aus Jean Pauls Titan hat mich ſehr betroffen: „Solche Unähnlichkeiten“ — er hatte ſie benannt, ſie waren tiefer als groß — „ſchlagen unter ge- bildeten Menſchen nie zu offenen Fehden aus: aber ſie legen heimlich dem inneren Menſchen ein Waffenſtück nach dem an- dern an, bis er hartgepanzert daſteht und losſchlägt.“ Daß er hartgepanzert mit einemmale daſteht, traf mich ſo ſehr. Mild, und gepanzert, fand ich mich ſeit ganz kurzem. Ein- ſehend, warum man nicht ſo viel fordern muß; und ſehr ge- neigt zu leiſten, was nur gebraucht werden kann: das andere aber nicht. Wenn ich milde ſage, ſo meine ich das wie von einem Wetter; mir wird dabei gut zu Muthe: ich ſtimme mich nicht milde gegen Menſchen; ich finde bloß gutes Wetter in mir: zur Erquickung und endlichem Ausruhen. Heilſame Ge- danken bereiten ein ſolches Gemüthswetter, ſie kommen wie belebende Lüfte aus unbekannten Welten; und finden bearbei- teten Boden. Ich ſehe grade jetzt meine ganzen Lebensſchick-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/143>, abgerufen am 27.11.2024.