Verfolg eines einzigen auf immer neue, man müßte denn mit einem gerechten Gegner bis zu einer von den Grundwahr- heiten kommen können, die eine ganze Legion solcher Irr- thumsanschößlinge mit ihrem Erdreich aufhöben, und so die schwachen Wurzeln der Dörre übergeben. Mit wie wenigen Menschen dies möglich ist, wissen diese wenigen. Also muß man schweigen, grade wo recht viel zu reden wäre; weil man in Gegenwart der Meisten allein ist; je plumper aber Einer ist, jemehr er Abgetragenes, Hergebrachtes, rein Verbrauchtes, nicht mehr Passendes zu Markte bringt, je breiter legt er's aus, und je reicher hält er sich. Es gehört noch ein beson- ders Genie dazu, das Geniale an Mann zu bringen; dieses hatte Mirabeau. Solche Leute müssen sich aber zuerst mit ihren Nächsten brouilliren; auch das geschah Mirabeau'n. Es wäre Moliere'n, es wäre Lafontaine'n geschehen, hätten sie nicht Komödien und Fabeln geschrieben, hätten sie ihre Werke leben wollen. Große Litteratoren brouilliren sich immer mit ihren Zeitgenossen. Die Menge ist geneigter, Bilder in sich aufzunehmen, als Gedanken; die oft insofern Zerstörendes in sich tragen, als sie so vieles Falschgestellte umstoßen; das ist unbequem, weil es mühsam ist, und wir für's erste dabei etwas einbüßen. So lassen sie sich lieber die ungereimtesten Geschichten gefallen, als sich den besten Beweis demonstriren. Also stellt sich die Menge gleich feindlich gegen neue Beweise, und der Beweiser muß ein Krieger werden, und sehr verschie- dene Talente in sich vereinigen, z. B. die tiefste Ruhe des Denkens, und dann wieder die immer rege Laune des An- greifens, die Geduld und Wachsamkeit des Vertheidigens, die
Verfolg eines einzigen auf immer neue, man müßte denn mit einem gerechten Gegner bis zu einer von den Grundwahr- heiten kommen können, die eine ganze Legion ſolcher Irr- thumsanſchößlinge mit ihrem Erdreich aufhöben, und ſo die ſchwachen Wurzeln der Dörre übergeben. Mit wie wenigen Menſchen dies möglich iſt, wiſſen dieſe wenigen. Alſo muß man ſchweigen, grade wo recht viel zu reden wäre; weil man in Gegenwart der Meiſten allein iſt; je plumper aber Einer iſt, jemehr er Abgetragenes, Hergebrachtes, rein Verbrauchtes, nicht mehr Paſſendes zu Markte bringt, je breiter legt er’s aus, und je reicher hält er ſich. Es gehört noch ein beſon- ders Genie dazu, das Geniale an Mann zu bringen; dieſes hatte Mirabeau. Solche Leute müſſen ſich aber zuerſt mit ihren Nächſten brouilliren; auch das geſchah Mirabeau’n. Es wäre Moliere’n, es wäre Lafontaine’n geſchehen, hätten ſie nicht Komödien und Fabeln geſchrieben, hätten ſie ihre Werke leben wollen. Große Litteratoren brouilliren ſich immer mit ihren Zeitgenoſſen. Die Menge iſt geneigter, Bilder in ſich aufzunehmen, als Gedanken; die oft inſofern Zerſtörendes in ſich tragen, als ſie ſo vieles Falſchgeſtellte umſtoßen; das iſt unbequem, weil es mühſam iſt, und wir für’s erſte dabei etwas einbüßen. So laſſen ſie ſich lieber die ungereimteſten Geſchichten gefallen, als ſich den beſten Beweis demonſtriren. Alſo ſtellt ſich die Menge gleich feindlich gegen neue Beweiſe, und der Beweiſer muß ein Krieger werden, und ſehr verſchie- dene Talente in ſich vereinigen, z. B. die tiefſte Ruhe des Denkens, und dann wieder die immer rege Laune des An- greifens, die Geduld und Wachſamkeit des Vertheidigens, die
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Verfolg eines einzigen auf immer neue, man müßte denn mit
einem gerechten Gegner bis zu einer von den Grundwahr-
heiten kommen können, die eine ganze Legion ſolcher Irr-
thumsanſchößlinge mit ihrem Erdreich aufhöben, und ſo die
ſchwachen Wurzeln der Dörre übergeben. Mit wie wenigen
Menſchen dies möglich iſt, wiſſen dieſe wenigen. Alſo muß
man ſchweigen, grade wo recht viel zu reden wäre; weil man
in Gegenwart der Meiſten allein iſt; je plumper aber Einer
iſt, jemehr er Abgetragenes, Hergebrachtes, rein Verbrauchtes,
nicht mehr Paſſendes zu Markte bringt, je breiter legt er’s
aus, und je reicher hält er ſich. Es gehört noch ein beſon-
ders Genie dazu, das Geniale an Mann zu bringen; dieſes
hatte Mirabeau. Solche Leute müſſen ſich aber zuerſt mit
ihren Nächſten brouilliren; auch das geſchah Mirabeau’n.
Es wäre Moliere’n, es wäre Lafontaine’n geſchehen, hätten
ſie nicht Komödien und Fabeln geſchrieben, hätten ſie ihre
Werke leben wollen. Große Litteratoren brouilliren ſich immer
mit ihren Zeitgenoſſen. Die Menge iſt geneigter, Bilder in
ſich aufzunehmen, als Gedanken; die oft inſofern Zerſtörendes
in ſich tragen, als ſie ſo vieles Falſchgeſtellte umſtoßen; das
iſt unbequem, weil es mühſam iſt, und wir für’s erſte dabei
etwas einbüßen. So laſſen ſie ſich lieber die ungereimteſten
Geſchichten gefallen, als ſich den beſten Beweis demonſtriren.
Alſo ſtellt ſich die Menge gleich feindlich gegen neue Beweiſe,
und der Beweiſer muß ein Krieger werden, und ſehr verſchie-
dene Talente in ſich vereinigen, z. B. die tiefſte Ruhe des
Denkens, und dann wieder die immer rege Laune des An-
greifens, die Geduld und Wachſamkeit des Vertheidigens, die
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/140>, abgerufen am 26.11.2024.
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