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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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hen, wenn es nicht schmerzte; und schweige, wenn's nur mög-
lich ist. Bin leicht vergnügt, und sehr ruhig; aber -- laßt
mich nur ruhig, oder gebt mir Arbeit: natürliche. Nur keine
Verlegenheit! Entbehrung gerne! -- Als V. wiederkam, war
er mild und freundlich: ich gleich glücklich. Nettchen war da,
wir sprachen, tranken Thee, und er las uns einiges aus Ma-
dame d'Orleans. Eine brave Frau: deutsch, vorjetzig-alt-
deutsch, tüchtig, derb. Aber bei ihr und ihren Erzählungen
wurde mir klarer, und ich sagte es auch V., wie Ein Mensch
in einer Zeit nichts ist: wie er gleich einzelnen Tropfen oder
Wellen bei einem Sturme sich verhält: keine einzelne macht
den Aufruhr, nur alle machen den Zustand, der ein Gränzzu-
stand, eine Bedingung anderer Zustände ist. Madame d'Or-
leans war sittlich, was sollte sie aber allein gegen den Strom
von Unsittlichkeit machen? weggehen? dann lebt sie nicht,
dann wartet sie auf Abholen, den Tod, -- wie Mad. Guion.
Gegen den Strom? der bringt sie unter. Sie war mitbefleckt,
indem sie's duldete, und trug zu dem Unwesen bei, indem sie
in diesem Elemente lebte und handeln mußte. Nichts ist zu
retten, als das Urtheil und die Intention: nämlich, durch
Selbstthätigkeit allein, rein zu erhalten. -- Als Nettchen weg
war, fielen wir uns zärtlich in die Arme: mit Blicken, worin
jeder sah, das innerste Verhältniß ist unberührbar, bleibt wahr,
weil es wahr ist. V. sagte: "Wenn du dich mit mir brouil-
lirst, fehlt mir der Boden, worauf ich lebe!" Wie ist es denn
möglich, den für unvernünftig zu halten, und daran zu rüt-
teln! Ich war aber ganz glücklich und ruhig. Nur keine
Verlegenheit. Sonst, wie Gott will! In der kann man nicht

hen, wenn es nicht ſchmerzte; und ſchweige, wenn’s nur mög-
lich iſt. Bin leicht vergnügt, und ſehr ruhig; aber — laßt
mich nur ruhig, oder gebt mir Arbeit: natürliche. Nur keine
Verlegenheit! Entbehrung gerne! — Als V. wiederkam, war
er mild und freundlich: ich gleich glücklich. Nettchen war da,
wir ſprachen, tranken Thee, und er las uns einiges aus Ma-
dame d’Orleans. Eine brave Frau: deutſch, vorjetzig-alt-
deutſch, tüchtig, derb. Aber bei ihr und ihren Erzählungen
wurde mir klarer, und ich ſagte es auch V., wie Ein Menſch
in einer Zeit nichts iſt: wie er gleich einzelnen Tropfen oder
Wellen bei einem Sturme ſich verhält: keine einzelne macht
den Aufruhr, nur alle machen den Zuſtand, der ein Gränzzu-
ſtand, eine Bedingung anderer Zuſtände iſt. Madame d’Or-
leans war ſittlich, was ſollte ſie aber allein gegen den Strom
von Unſittlichkeit machen? weggehen? dann lebt ſie nicht,
dann wartet ſie auf Abholen, den Tod, — wie Mad. Guion.
Gegen den Strom? der bringt ſie unter. Sie war mitbefleckt,
indem ſie’s duldete, und trug zu dem Unweſen bei, indem ſie
in dieſem Elemente lebte und handeln mußte. Nichts iſt zu
retten, als das Urtheil und die Intention: nämlich, durch
Selbſtthätigkeit allein, rein zu erhalten. — Als Nettchen weg
war, fielen wir uns zärtlich in die Arme: mit Blicken, worin
jeder ſah, das innerſte Verhältniß iſt unberührbar, bleibt wahr,
weil es wahr iſt. V. ſagte: „Wenn du dich mit mir brouil-
lirſt, fehlt mir der Boden, worauf ich lebe!“ Wie iſt es denn
möglich, den für unvernünftig zu halten, und daran zu rüt-
teln! Ich war aber ganz glücklich und ruhig. Nur keine
Verlegenheit. Sonſt, wie Gott will! In der kann man nicht

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[6/0014] hen, wenn es nicht ſchmerzte; und ſchweige, wenn’s nur mög- lich iſt. Bin leicht vergnügt, und ſehr ruhig; aber — laßt mich nur ruhig, oder gebt mir Arbeit: natürliche. Nur keine Verlegenheit! Entbehrung gerne! — Als V. wiederkam, war er mild und freundlich: ich gleich glücklich. Nettchen war da, wir ſprachen, tranken Thee, und er las uns einiges aus Ma- dame d’Orleans. Eine brave Frau: deutſch, vorjetzig-alt- deutſch, tüchtig, derb. Aber bei ihr und ihren Erzählungen wurde mir klarer, und ich ſagte es auch V., wie Ein Menſch in einer Zeit nichts iſt: wie er gleich einzelnen Tropfen oder Wellen bei einem Sturme ſich verhält: keine einzelne macht den Aufruhr, nur alle machen den Zuſtand, der ein Gränzzu- ſtand, eine Bedingung anderer Zuſtände iſt. Madame d’Or- leans war ſittlich, was ſollte ſie aber allein gegen den Strom von Unſittlichkeit machen? weggehen? dann lebt ſie nicht, dann wartet ſie auf Abholen, den Tod, — wie Mad. Guion. Gegen den Strom? der bringt ſie unter. Sie war mitbefleckt, indem ſie’s duldete, und trug zu dem Unweſen bei, indem ſie in dieſem Elemente lebte und handeln mußte. Nichts iſt zu retten, als das Urtheil und die Intention: nämlich, durch Selbſtthätigkeit allein, rein zu erhalten. — Als Nettchen weg war, fielen wir uns zärtlich in die Arme: mit Blicken, worin jeder ſah, das innerſte Verhältniß iſt unberührbar, bleibt wahr, weil es wahr iſt. V. ſagte: „Wenn du dich mit mir brouil- lirſt, fehlt mir der Boden, worauf ich lebe!“ Wie iſt es denn möglich, den für unvernünftig zu halten, und daran zu rüt- teln! Ich war aber ganz glücklich und ruhig. Nur keine Verlegenheit. Sonſt, wie Gott will! In der kann man nicht

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/14>, abgerufen am 27.11.2024.