sten Fächern zu spielen: was mit Talent, Einsicht, Grazie, Geschicklichkeit und Geübtheit dargestellt wird, ist schön. Es ist ein Irrthum, wenn wir uns einbilden, wir hätten klassische Stücke wie die Franzosen; und könnten die ein halbes oder ganzes Jahrhundert hintereinander spielen sehen. Uns fehlt ein Nationalhof und König; das daher sich schreibende Vor- urtheil, und feststehende Sitte und Meinung; und wir können auch keine Schauspieler gebrauchen, und ertragen, die nur zehn, acht Rollen bis zu ihrem siebzigsten Jahre spielen. Es ist also gerathener, und schöner, wir folgen darin unserer wirk- lichen Nationalität: die im Suchen, Finden, Versuchen, und schreitender Ausbildung besteht; und lassen auch unsern Schau- spielern die Freiheit sich in mehreren Fächern zu bewegen, und zu zeigen. Die Schröder ist gewiß eine Große. Und auch der würd' ich dasselbe rathen. Was würde es ihr scha- den, Alte, ja Komische zu spielen, wenn sie wie ein Gott nach- her Medea, Merope, Chawansky u. s. w. spielt! That es nicht Fleck? die Bethmann? das müßte ein sauberes Publi- kum sein, welches sich andere Rollen bei diesen denken wollte: solches muß endlich als Ausschuß behandelt werden: und wird sich bald schämen lernen. Oder tadelt man nicht jetzt auch die Schröder und alle Großen und Guten auf andere Weise? Man will sie ja nicht immer in den paar Rollen sehen, wie sie's nennen. Und doch sich dabei einbilden, man habe ein Hoftheater wie bei Racine unter Ludwig XIV. nöthig, und wünsche es; mit großen nichten: man hielte es nicht aus. Also müssen unsre Talente zuerst den Irrthum brechen, und gemeinen Tadel überwinden. Spielen Sie alles unter-
ſten Fächern zu ſpielen: was mit Talent, Einſicht, Grazie, Geſchicklichkeit und Geübtheit dargeſtellt wird, iſt ſchön. Es iſt ein Irrthum, wenn wir uns einbilden, wir hätten klaſſiſche Stücke wie die Franzoſen; und könnten die ein halbes oder ganzes Jahrhundert hintereinander ſpielen ſehen. Uns fehlt ein Nationalhof und König; das daher ſich ſchreibende Vor- urtheil, und feſtſtehende Sitte und Meinung; und wir können auch keine Schauſpieler gebrauchen, und ertragen, die nur zehn, acht Rollen bis zu ihrem ſiebzigſten Jahre ſpielen. Es iſt alſo gerathener, und ſchöner, wir folgen darin unſerer wirk- lichen Nationalität: die im Suchen, Finden, Verſuchen, und ſchreitender Ausbildung beſteht; und laſſen auch unſern Schau- ſpielern die Freiheit ſich in mehreren Fächern zu bewegen, und zu zeigen. Die Schröder iſt gewiß eine Große. Und auch der würd’ ich daſſelbe rathen. Was würde es ihr ſcha- den, Alte, ja Komiſche zu ſpielen, wenn ſie wie ein Gott nach- her Medea, Merope, Chawansky u. ſ. w. ſpielt! That es nicht Fleck? die Bethmann? das müßte ein ſauberes Publi- kum ſein, welches ſich andere Rollen bei dieſen denken wollte: ſolches muß endlich als Ausſchuß behandelt werden: und wird ſich bald ſchämen lernen. Oder tadelt man nicht jetzt auch die Schröder und alle Großen und Guten auf andere Weiſe? Man will ſie ja nicht immer in den paar Rollen ſehen, wie ſie’s nennen. Und doch ſich dabei einbilden, man habe ein Hoftheater wie bei Racine unter Ludwig XIV. nöthig, und wünſche es; mit großen nichten: man hielte es nicht aus. Alſo müſſen unſre Talente zuerſt den Irrthum brechen, und gemeinen Tadel überwinden. Spielen Sie alles unter-
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ſten Fächern zu ſpielen: was mit Talent, Einſicht, Grazie,
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iſt ein Irrthum, wenn wir uns einbilden, wir hätten klaſſiſche
Stücke wie die Franzoſen; und könnten die ein halbes oder
ganzes Jahrhundert hintereinander ſpielen ſehen. Uns fehlt
ein Nationalhof und König; das daher ſich ſchreibende Vor-
urtheil, und feſtſtehende Sitte und Meinung; und wir können
auch keine Schauſpieler gebrauchen, und ertragen, die nur
zehn, acht Rollen bis zu ihrem ſiebzigſten Jahre ſpielen. Es
iſt alſo gerathener, und ſchöner, wir folgen darin unſerer wirk-
lichen Nationalität: die im Suchen, Finden, Verſuchen, und
ſchreitender Ausbildung beſteht; und laſſen auch unſern Schau-
ſpielern die Freiheit ſich in mehreren Fächern zu bewegen,
und zu zeigen. Die Schröder iſt gewiß eine Große. Und
auch der würd’ ich daſſelbe rathen. Was würde es ihr ſcha-
den, Alte, ja Komiſche zu ſpielen, wenn ſie wie ein Gott nach-
her Medea, Merope, Chawansky u. ſ. w. ſpielt! That es
nicht Fleck? die Bethmann? das müßte ein ſauberes Publi-
kum ſein, welches ſich andere Rollen bei dieſen denken wollte:
ſolches muß endlich als Ausſchuß behandelt werden: und wird
ſich bald ſchämen lernen. Oder tadelt man nicht jetzt auch
die Schröder und alle Großen und Guten auf andere Weiſe?
Man will ſie ja nicht immer in den paar Rollen ſehen, wie
ſie’s nennen. Und doch ſich dabei einbilden, man habe ein
Hoftheater wie bei Racine unter Ludwig XIV. nöthig, und
wünſche es; mit großen nichten: man hielte es nicht aus.
Alſo müſſen unſre Talente zuerſt den Irrthum brechen, und
gemeinen Tadel überwinden. Spielen Sie alles unter-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/130>, abgerufen am 25.11.2024.
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