Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieses ist das positive, jenes das negative A. Die
Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom ersten) die
größte Repräsentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich
vielen andern Eigenschaften, aus denen ihre Gesangkunst be-
stand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was
unschuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als
Einfall erscheint, ist nicht in vielen Jahren durch ehrliche
strenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geschieht
solchen Gröblingen recht; bei ihnen geht's nicht so zu; und
darum glauben sie, auch Andre sprechen um zu frappiren, und
ihrer Seele seien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich-
gültig, wie sie es selbst treiben. Mit solchen Leuten sollte
man nur Scherz treiben, worin sie sich wie in große Netze
verwickeln müssen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab' ich
heute gelernt. --




Wissen um unser Wissen ist Philosophie. Ergebenheit
und Voraussetzung, wo wir zu wissen aufhören, Religion.
Dies begreift in sich, was alles nicht Religion ist, und des
Wissens Gränze auf allen seinen Punkten; und erspart viel
Reden. Beim Lesen der Schleiermacher'schen Reden über Re-
ligion S. 136. Hemsterhuis sagt: Religion ist die freie Be-
ziehung jedes Individuums auf's höchste Wesen.




Bitter und Süß ist: als ob sie auf den Gemüthszustand
wirkten: Salzig und Sauer, als den Geist berührend. Ein

zu

Dieſes iſt das poſitive, jenes das negative A. Die
Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom erſten) die
größte Repräſentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich
vielen andern Eigenſchaften, aus denen ihre Geſangkunſt be-
ſtand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was
unſchuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als
Einfall erſcheint, iſt nicht in vielen Jahren durch ehrliche
ſtrenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geſchieht
ſolchen Gröblingen recht; bei ihnen geht’s nicht ſo zu; und
darum glauben ſie, auch Andre ſprechen um zu frappiren, und
ihrer Seele ſeien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich-
gültig, wie ſie es ſelbſt treiben. Mit ſolchen Leuten ſollte
man nur Scherz treiben, worin ſie ſich wie in große Netze
verwickeln müſſen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab’ ich
heute gelernt. —




Wiſſen um unſer Wiſſen iſt Philoſophie. Ergebenheit
und Vorausſetzung, wo wir zu wiſſen aufhören, Religion.
Dies begreift in ſich, was alles nicht Religion iſt, und des
Wiſſens Gränze auf allen ſeinen Punkten; und erſpart viel
Reden. Beim Leſen der Schleiermacher’ſchen Reden über Re-
ligion S. 136. Hemſterhuis ſagt: Religion iſt die freie Be-
ziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen.




Bitter und Süß iſt: als ob ſie auf den Gemüthszuſtand
wirkten: Salzig und Sauer, als den Geiſt berührend. Ein

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0120" n="112"/>
Die&#x017F;es i&#x017F;t das <hi rendition="#g">po&#x017F;itive</hi>, jenes das <hi rendition="#g">negative</hi> A. Die<lb/>
Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom er&#x017F;ten) die<lb/>
größte Reprä&#x017F;entantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich<lb/>
vielen andern Eigen&#x017F;chaften, aus denen ihre Ge&#x017F;angkun&#x017F;t be-<lb/>
&#x017F;tand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was<lb/>
un&#x017F;chuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als<lb/>
Einfall <hi rendition="#g">er&#x017F;cheint</hi>, i&#x017F;t nicht in vielen Jahren durch ehrliche<lb/>
&#x017F;trenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch ge&#x017F;chieht<lb/>
&#x017F;olchen Gröblingen recht; bei <hi rendition="#g">ihnen</hi> geht&#x2019;s <hi rendition="#g">nicht</hi> &#x017F;o zu; und<lb/>
darum glauben &#x017F;ie, auch Andre &#x017F;prechen um zu frappiren, und<lb/>
ihrer Seele &#x017F;eien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich-<lb/>
gültig, wie <hi rendition="#g">&#x017F;ie</hi> es &#x017F;elb&#x017F;t treiben. Mit &#x017F;olchen Leuten &#x017F;ollte<lb/>
man nur Scherz treiben, worin &#x017F;ie &#x017F;ich wie in große Netze<lb/>
verwickeln mü&#x017F;&#x017F;en, zum Spektakel des Auditoriums. Hab&#x2019; ich<lb/>
heute gelernt. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">1823.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Wi&#x017F;&#x017F;en um un&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t Philo&#x017F;ophie. Ergebenheit<lb/>
und Voraus&#x017F;etzung, wo wir zu wi&#x017F;&#x017F;en aufhören, Religion.<lb/>
Dies begreift in &#x017F;ich, was alles nicht Religion i&#x017F;t, und des<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;ens Gränze auf allen &#x017F;einen Punkten; und er&#x017F;part viel<lb/>
Reden. Beim Le&#x017F;en der Schleiermacher&#x2019;&#x017F;chen Reden über Re-<lb/>
ligion S. 136. Hem&#x017F;terhuis &#x017F;agt: Religion i&#x017F;t die freie Be-<lb/>
ziehung jedes Individuums auf&#x2019;s höch&#x017F;te We&#x017F;en.</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sommer 1823.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Bitter und Süß i&#x017F;t: als ob &#x017F;ie auf den Gemüthszu&#x017F;tand<lb/>
wirkten: Salzig und Sauer, als den Gei&#x017F;t berührend. Ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0120] Dieſes iſt das poſitive, jenes das negative A. Die Marchetti war vom letzten (wie Hr. Eunike vom erſten) die größte Repräſentantin, die ich je hörte; bei ihren unendlich vielen andern Eigenſchaften, aus denen ihre Geſangkunſt be- ſtand. Impertinente Leute wollen nicht einmal lernen, was unſchuldigen Seelen eingegeben wird, und denken, was als Einfall erſcheint, iſt nicht in vielen Jahren durch ehrliche ſtrenge Beobachtung und Denken vorbereitet: auch geſchieht ſolchen Gröblingen recht; bei ihnen geht’s nicht ſo zu; und darum glauben ſie, auch Andre ſprechen um zu frappiren, und ihrer Seele ſeien ihre Behauptungen doch auch ganz gleich- gültig, wie ſie es ſelbſt treiben. Mit ſolchen Leuten ſollte man nur Scherz treiben, worin ſie ſich wie in große Netze verwickeln müſſen, zum Spektakel des Auditoriums. Hab’ ich heute gelernt. — 1823. Wiſſen um unſer Wiſſen iſt Philoſophie. Ergebenheit und Vorausſetzung, wo wir zu wiſſen aufhören, Religion. Dies begreift in ſich, was alles nicht Religion iſt, und des Wiſſens Gränze auf allen ſeinen Punkten; und erſpart viel Reden. Beim Leſen der Schleiermacher’ſchen Reden über Re- ligion S. 136. Hemſterhuis ſagt: Religion iſt die freie Be- ziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen. Sommer 1823. Bitter und Süß iſt: als ob ſie auf den Gemüthszuſtand wirkten: Salzig und Sauer, als den Geiſt berührend. Ein zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/120
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/120>, abgerufen am 22.12.2024.