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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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hier für die, welche sie kannten, als lebendiges Exempel die-
nen; sie haben unverschuldet in hiesiger Stadt -- Berlin --
einen großen Irrthum gestiftet, der in den unerträglichst alber-
nen Dünkel ausgeartet ist, und starke Wurzel gefaßt hat.
Ein größerer Theil des Publikums läßt sich nur aus Man-
gel an gesundem Hören, an Unterscheiden, mit fortschleppen;
ohne weiter impertinent zu sein. Die falschen Kenner aber
tödten Einen fast mit ihrem Gänse-A, und ihrem stupiden
Stolz auf dies Gekrächze. "Auf den Vokal A soll gesungen
werden," heißt's in der Schule. Das thut der Italiäner,
und meint der Deutsche zu thun. Der Erste singt ein ne-
gatives A, der zweite ein positives. Dreißig Jahre wenig-
stens wollten mir diese zwei kleine Worte nicht hier dienen;
so lange konnte ich den ewig gehörten Unterschied nicht zwischen
die Scheere, die hier aus den beiden Worten besteht, treiben.
Man denke nicht, sie seien gesagt als ein Witz zum Behelf,
weil ich noch nicht klar wisse, was ich zu zeigen habe; und
bedenke lieber, daß man es ohnerachtet des Witzes, doch
noch nicht weiß; man wird es aber gleich wissen! (Diese
Wendung nehme ich hier, weil R. und C. zu anmaßend über
Musik heute gegen mich sprachen; ohne im mindesten etwas
sagen zu können: und nun schreib' ich meinen guten Gedan-
ken, als sagte ich ihn ihnen. Schade!) Italiäner -- und
alle guten Sänger -- sperren die Kehle auf, als ob sie A
sagen wollten, und lassen so ihren Ton gemach hinaus:
deutsche schlechte Sänger -- nicht italiänische schlechte --
schicken mit dem Ton, den sie zu singen haben, ein wirkliches
A mit aus der Kehle; und nun muß der Quetschton kommen.

hier für die, welche ſie kannten, als lebendiges Exempel die-
nen; ſie haben unverſchuldet in hieſiger Stadt — Berlin —
einen großen Irrthum geſtiftet, der in den unerträglichſt alber-
nen Dünkel ausgeartet iſt, und ſtarke Wurzel gefaßt hat.
Ein größerer Theil des Publikums läßt ſich nur aus Man-
gel an geſundem Hören, an Unterſcheiden, mit fortſchleppen;
ohne weiter impertinent zu ſein. Die falſchen Kenner aber
tödten Einen faſt mit ihrem Gänſe-A, und ihrem ſtupiden
Stolz auf dies Gekrächze. „Auf den Vokal A ſoll geſungen
werden,“ heißt’s in der Schule. Das thut der Italiäner,
und meint der Deutſche zu thun. Der Erſte ſingt ein ne-
gatives A, der zweite ein poſitives. Dreißig Jahre wenig-
ſtens wollten mir dieſe zwei kleine Worte nicht hier dienen;
ſo lange konnte ich den ewig gehörten Unterſchied nicht zwiſchen
die Scheere, die hier aus den beiden Worten beſteht, treiben.
Man denke nicht, ſie ſeien geſagt als ein Witz zum Behelf,
weil ich noch nicht klar wiſſe, was ich zu zeigen habe; und
bedenke lieber, daß man es ohnerachtet des Witzes, doch
noch nicht weiß; man wird es aber gleich wiſſen! (Dieſe
Wendung nehme ich hier, weil R. und C. zu anmaßend über
Muſik heute gegen mich ſprachen; ohne im mindeſten etwas
ſagen zu können: und nun ſchreib’ ich meinen guten Gedan-
ken, als ſagte ich ihn ihnen. Schade!) Italiäner — und
alle guten Sänger — ſperren die Kehle auf, als ob ſie A
ſagen wollten, und laſſen ſo ihren Ton gemach hinaus:
deutſche ſchlechte Sänger — nicht italiäniſche ſchlechte —
ſchicken mit dem Ton, den ſie zu ſingen haben, ein wirkliches
A mit aus der Kehle; und nun muß der Quetſchton kommen.

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[111/0119] hier für die, welche ſie kannten, als lebendiges Exempel die- nen; ſie haben unverſchuldet in hieſiger Stadt — Berlin — einen großen Irrthum geſtiftet, der in den unerträglichſt alber- nen Dünkel ausgeartet iſt, und ſtarke Wurzel gefaßt hat. Ein größerer Theil des Publikums läßt ſich nur aus Man- gel an geſundem Hören, an Unterſcheiden, mit fortſchleppen; ohne weiter impertinent zu ſein. Die falſchen Kenner aber tödten Einen faſt mit ihrem Gänſe-A, und ihrem ſtupiden Stolz auf dies Gekrächze. „Auf den Vokal A ſoll geſungen werden,“ heißt’s in der Schule. Das thut der Italiäner, und meint der Deutſche zu thun. Der Erſte ſingt ein ne- gatives A, der zweite ein poſitives. Dreißig Jahre wenig- ſtens wollten mir dieſe zwei kleine Worte nicht hier dienen; ſo lange konnte ich den ewig gehörten Unterſchied nicht zwiſchen die Scheere, die hier aus den beiden Worten beſteht, treiben. Man denke nicht, ſie ſeien geſagt als ein Witz zum Behelf, weil ich noch nicht klar wiſſe, was ich zu zeigen habe; und bedenke lieber, daß man es ohnerachtet des Witzes, doch noch nicht weiß; man wird es aber gleich wiſſen! (Dieſe Wendung nehme ich hier, weil R. und C. zu anmaßend über Muſik heute gegen mich ſprachen; ohne im mindeſten etwas ſagen zu können: und nun ſchreib’ ich meinen guten Gedan- ken, als ſagte ich ihn ihnen. Schade!) Italiäner — und alle guten Sänger — ſperren die Kehle auf, als ob ſie A ſagen wollten, und laſſen ſo ihren Ton gemach hinaus: deutſche ſchlechte Sänger — nicht italiäniſche ſchlechte — ſchicken mit dem Ton, den ſie zu ſingen haben, ein wirkliches A mit aus der Kehle; und nun muß der Quetſchton kommen.

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/119>, abgerufen am 24.11.2024.