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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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und wie man anredend zu Einzelnen zu sprechen habe; im
Ganzen ihnen aber das sage, was auf deutscher Seelen Bo-
den gewachsen ist, und in den Tauschhandel -- eigentlich nur
Tausch -- kommen soll. Daß Sie den Preis bekommen ha-
ben, schmeichelt meinem Berlinizism -- so nenn' ich Deutschsinn
-- so, als ob es heute geschehen wäre. Das sind friedlich
gewonnene Bataillen: das Exercitium dazu, Lesen, Denken,
Beobachten; schönstes Leben: Lohn vorauf! Der Ausspruch
der Akademie, Friedensschluß, wo für beide Partheien Gewinn,
durch einen wahrlich neu entstandenen Besitz, hervorgeht!
Sagen Sie, wie ist's möglich, daß bei so viel Bildung, wie
schon auf der Erde da ist, sich so große Reste der größten
Rohheit nebenan, dicht nebenan erhalten? Manchmal schein'
ich's zu wissen, wie es zugeht, manchmal entschlüpft's mir
wieder. Krieg, und die größten Schriftsteller. Christenprahle-
rei, und Christentugend, und Sklaven. Die feinsten Werke
der Mechanik, und verwahrloste Städte. Der tiefsinnigste
Kalkül, und die wichtigsten Dinge und Angelegenheiten dem
Ungefähr überlassen. Luxus, Akademien, Galerien, und krasse,
schmutzige Armuth. Und das bis in's Privateste; z. B. schlech-
tes Hauswesen, und große Gastereien. Es scheint beinahe
leichter, hohe Gedanken und Gesinnungen zu haben, die schön-
sten Erfindungen zu machen; als alte Übelstände und Ruinen
loszuwerden; und die Liebhaber dieses Schutts davon abzu-
bringen, und zu reinigen. Ich weiß gar nicht wie es ist;
heute. Ihr Buch bringt mich wieder auf diese Gedanken. Ich
habe darin so viel Extrakte aus den wohlgerathensten, reifsten,
edelsten Früchten der Beobachtung und des Nachdenkens ge-

und wie man anredend zu Einzelnen zu ſprechen habe; im
Ganzen ihnen aber das ſage, was auf deutſcher Seelen Bo-
den gewachſen iſt, und in den Tauſchhandel — eigentlich nur
Tauſch — kommen ſoll. Daß Sie den Preis bekommen ha-
ben, ſchmeichelt meinem Berlinizism — ſo nenn’ ich Deutſchſinn
— ſo, als ob es heute geſchehen wäre. Das ſind friedlich
gewonnene Bataillen: das Exercitium dazu, Leſen, Denken,
Beobachten; ſchönſtes Leben: Lohn vorauf! Der Ausſpruch
der Akademie, Friedensſchluß, wo für beide Partheien Gewinn,
durch einen wahrlich neu entſtandenen Beſitz, hervorgeht!
Sagen Sie, wie iſt’s möglich, daß bei ſo viel Bildung, wie
ſchon auf der Erde da iſt, ſich ſo große Reſte der größten
Rohheit nebenan, dicht nebenan erhalten? Manchmal ſchein’
ich’s zu wiſſen, wie es zugeht, manchmal entſchlüpft’s mir
wieder. Krieg, und die größten Schriftſteller. Chriſtenprahle-
rei, und Chriſtentugend, und Sklaven. Die feinſten Werke
der Mechanik, und verwahrloſte Städte. Der tiefſinnigſte
Kalkül, und die wichtigſten Dinge und Angelegenheiten dem
Ungefähr überlaſſen. Luxus, Akademien, Galerien, und kraſſe,
ſchmutzige Armuth. Und das bis in’s Privateſte; z. B. ſchlech-
tes Hausweſen, und große Gaſtereien. Es ſcheint beinahe
leichter, hohe Gedanken und Geſinnungen zu haben, die ſchön-
ſten Erfindungen zu machen; als alte Übelſtände und Ruinen
loszuwerden; und die Liebhaber dieſes Schutts davon abzu-
bringen, und zu reinigen. Ich weiß gar nicht wie es iſt;
heute. Ihr Buch bringt mich wieder auf dieſe Gedanken. Ich
habe darin ſo viel Extrakte aus den wohlgerathenſten, reifſten,
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[103/0111] und wie man anredend zu Einzelnen zu ſprechen habe; im Ganzen ihnen aber das ſage, was auf deutſcher Seelen Bo- den gewachſen iſt, und in den Tauſchhandel — eigentlich nur Tauſch — kommen ſoll. Daß Sie den Preis bekommen ha- ben, ſchmeichelt meinem Berlinizism — ſo nenn’ ich Deutſchſinn — ſo, als ob es heute geſchehen wäre. Das ſind friedlich gewonnene Bataillen: das Exercitium dazu, Leſen, Denken, Beobachten; ſchönſtes Leben: Lohn vorauf! Der Ausſpruch der Akademie, Friedensſchluß, wo für beide Partheien Gewinn, durch einen wahrlich neu entſtandenen Beſitz, hervorgeht! Sagen Sie, wie iſt’s möglich, daß bei ſo viel Bildung, wie ſchon auf der Erde da iſt, ſich ſo große Reſte der größten Rohheit nebenan, dicht nebenan erhalten? Manchmal ſchein’ ich’s zu wiſſen, wie es zugeht, manchmal entſchlüpft’s mir wieder. Krieg, und die größten Schriftſteller. Chriſtenprahle- rei, und Chriſtentugend, und Sklaven. Die feinſten Werke der Mechanik, und verwahrloſte Städte. Der tiefſinnigſte Kalkül, und die wichtigſten Dinge und Angelegenheiten dem Ungefähr überlaſſen. Luxus, Akademien, Galerien, und kraſſe, ſchmutzige Armuth. Und das bis in’s Privateſte; z. B. ſchlech- tes Hausweſen, und große Gaſtereien. Es ſcheint beinahe leichter, hohe Gedanken und Geſinnungen zu haben, die ſchön- ſten Erfindungen zu machen; als alte Übelſtände und Ruinen loszuwerden; und die Liebhaber dieſes Schutts davon abzu- bringen, und zu reinigen. Ich weiß gar nicht wie es iſt; heute. Ihr Buch bringt mich wieder auf dieſe Gedanken. Ich habe darin ſo viel Extrakte aus den wohlgerathenſten, reifſten, edelſten Früchten der Beobachtung und des Nachdenkens ge-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/111>, abgerufen am 24.11.2024.