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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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da, meine Gedanken an dich, mein Verlassen auf dich, alles,
aber anstatt deiner, Entfernung, mit allen ihren Ungewißheiten.
Wisse aber, um dich persönlich, und auch um niemand, äng-
stige ich mich nicht. Aber den Himmel bestürme ich mit Ge-
bet und Thränen, nämlich es werden immer Thränen, für uns
Alle. Nicht, daß ich patriotischer als persönlich wäre: du weißt,
ich verstehe nur den Gedanken: Alle, durch den: jeden; aber
da jeder geht, und es jeden trifft, fasse ich nichts Cinzelnes
mehr: und auch hauptsächlich! für Einen, für dich, für mich,
kann ich mir ein Glück, ein Entkommen denken; für ein Gan-
zes aber nur, weise Führung: oder, biblischen, unmittelbaren
Gottesschutz. --

Frau von Fouque ist noch hier, hat mir aber nichts sa-
gen lassen: ich ihr wieder nichts. Marwitz ist ganz entzückt,
daß ich stolz bin, wie er's nennt: mir ist es ganz egal!
So explizirt' ich's ihm; und so verstand er's auch. Heute
schickte mir ein General mit einer Botenfrau aus Köpenick
einen dicken durchstochenen Brief: die Frau sagte, es sei ein
französischer General, und ich war sehr betreten. Der Brief
war von Barnekow aus Jaroslaw vom 14. Oktober, der Ge-
neral ein preußischer mit einem französischen Namen, worauf
sich die Frau nicht besinnen konnte. Der Brief ist ganz aus
seinem liebenswürdigen Herzen geströmt, und eben so ange-
nehm, und zum Lachen. Das Schreiben tödtet mich; ich will
ihm doch morgen schreiben. Hr. von Canitz, den ich nur einen
Augenblick gesehen habe, scheint sehr artig zu sein; ich konnt'
ihm gar nichts dergleichen erzeigen, weil er morgen früh ab-
reist und seine Zeit gewiß besser braucht. Bestelle ihm dies

da, meine Gedanken an dich, mein Verlaſſen auf dich, alles,
aber anſtatt deiner, Entfernung, mit allen ihren Ungewißheiten.
Wiſſe aber, um dich perſönlich, und auch um niemand, äng-
ſtige ich mich nicht. Aber den Himmel beſtürme ich mit Ge-
bet und Thränen, nämlich es werden immer Thränen, für uns
Alle. Nicht, daß ich patriotiſcher als perſönlich wäre: du weißt,
ich verſtehe nur den Gedanken: Alle, durch den: jeden; aber
da jeder geht, und es jeden trifft, faſſe ich nichts Cinzelnes
mehr: und auch hauptſächlich! für Einen, für dich, für mich,
kann ich mir ein Glück, ein Entkommen denken; für ein Gan-
zes aber nur, weiſe Führung: oder, bibliſchen, unmittelbaren
Gottesſchutz. —

Frau von Fouqué iſt noch hier, hat mir aber nichts ſa-
gen laſſen: ich ihr wieder nichts. Marwitz iſt ganz entzückt,
daß ich ſtolz bin, wie er’s nennt: mir iſt es ganz egal!
So explizirt’ ich’s ihm; und ſo verſtand er’s auch. Heute
ſchickte mir ein General mit einer Botenfrau aus Köpenick
einen dicken durchſtochenen Brief: die Frau ſagte, es ſei ein
franzöſiſcher General, und ich war ſehr betreten. Der Brief
war von Barnekow aus Jaroslaw vom 14. Oktober, der Ge-
neral ein preußiſcher mit einem franzöſiſchen Namen, worauf
ſich die Frau nicht beſinnen konnte. Der Brief iſt ganz aus
ſeinem liebenswürdigen Herzen geſtrömt, und eben ſo ange-
nehm, und zum Lachen. Das Schreiben tödtet mich; ich will
ihm doch morgen ſchreiben. Hr. von Canitz, den ich nur einen
Augenblick geſehen habe, ſcheint ſehr artig zu ſein; ich konnt’
ihm gar nichts dergleichen erzeigen, weil er morgen früh ab-
reiſt und ſeine Zeit gewiß beſſer braucht. Beſtelle ihm dies

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[84/0092] da, meine Gedanken an dich, mein Verlaſſen auf dich, alles, aber anſtatt deiner, Entfernung, mit allen ihren Ungewißheiten. Wiſſe aber, um dich perſönlich, und auch um niemand, äng- ſtige ich mich nicht. Aber den Himmel beſtürme ich mit Ge- bet und Thränen, nämlich es werden immer Thränen, für uns Alle. Nicht, daß ich patriotiſcher als perſönlich wäre: du weißt, ich verſtehe nur den Gedanken: Alle, durch den: jeden; aber da jeder geht, und es jeden trifft, faſſe ich nichts Cinzelnes mehr: und auch hauptſächlich! für Einen, für dich, für mich, kann ich mir ein Glück, ein Entkommen denken; für ein Gan- zes aber nur, weiſe Führung: oder, bibliſchen, unmittelbaren Gottesſchutz. — Frau von Fouqué iſt noch hier, hat mir aber nichts ſa- gen laſſen: ich ihr wieder nichts. Marwitz iſt ganz entzückt, daß ich ſtolz bin, wie er’s nennt: mir iſt es ganz egal! So explizirt’ ich’s ihm; und ſo verſtand er’s auch. Heute ſchickte mir ein General mit einer Botenfrau aus Köpenick einen dicken durchſtochenen Brief: die Frau ſagte, es ſei ein franzöſiſcher General, und ich war ſehr betreten. Der Brief war von Barnekow aus Jaroslaw vom 14. Oktober, der Ge- neral ein preußiſcher mit einem franzöſiſchen Namen, worauf ſich die Frau nicht beſinnen konnte. Der Brief iſt ganz aus ſeinem liebenswürdigen Herzen geſtrömt, und eben ſo ange- nehm, und zum Lachen. Das Schreiben tödtet mich; ich will ihm doch morgen ſchreiben. Hr. von Canitz, den ich nur einen Augenblick geſehen habe, ſcheint ſehr artig zu ſein; ich konnt’ ihm gar nichts dergleichen erzeigen, weil er morgen früh ab- reiſt und ſeine Zeit gewiß beſſer braucht. Beſtelle ihm dies

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/92>, abgerufen am 24.11.2024.