Glück auf! daß die ersten Schritte auf deiner neuen Bahn angenehm und erquickend sind! Dafür will ich gern schon einen großen Theil meiner Angst und Sorge anrechnen. Das Lügen geht nicht: sonst verschwieg ich es; mein Herz ist noch nicht befestigt. Doch bin ich Gottlob hierin dumm, und will darüber schweigen. Wittgensteins Proklamationen und Auf- rufe gefallen mir über alle Maßen; weil er seinen Feind zu ehren weiß, die Nation schont, und nicht schimpft; wie jene, die wir seit Jahren deßhalb tadlen. So redlich muß man auftreten; fühlen, daß man nur so aufzutreten braucht; und, will man der Deutschen Karakter hervortreten lassen, diese geziemende edle Seite hervorkehren! Es ist mit wahrer Kunst aus dem Herzen geholt, was man zu jedermans Verständniß sagen muß, daß es wieder in's Herz gehe! Jede Ironie, jede Prahlerei weit zurückgelassen! Sorge, was an dir ist, mit da- für, daß auch das, was von euren Heeren ausgeht, edel, ein- fach, gefaßt und ernst sei. Und nimm mir dies nicht übel! Ich bin so ganz durchdrungen und überzeugt davon, daß, wo Prahlerei, hohles Reden und Ironie sitzt, nichts anderes Gutes sitzen kann, daß ich mit Sichel und Harke den ganzen Tag ausrauten gehn möchte: da wir alles Gute, ganz gutgemeinte Wackere und Reine so sehr nöthig haben! Diesen Morgen ist Marwitz abgegangen: bis heute hielten ihn ein paar Kamme- raden auf; sonst wäre er gestern gegangen: doch weiß ich nicht, ob er allein ist, oder mit ihnen: länger wollt' er nicht warten. Seine Truppe ist voraus. Gestern war ich bis halb vier mit ihm bei Bouche -- wo wir zuletzt waren -- die Tauben, die zwei wiegenden Pappeln, die Sonne, die Blumen, alles war
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Glück auf! daß die erſten Schritte auf deiner neuen Bahn angenehm und erquickend ſind! Dafür will ich gern ſchon einen großen Theil meiner Angſt und Sorge anrechnen. Das Lügen geht nicht: ſonſt verſchwieg ich es; mein Herz iſt noch nicht befeſtigt. Doch bin ich Gottlob hierin dumm, und will darüber ſchweigen. Wittgenſteins Proklamationen und Auf- rufe gefallen mir über alle Maßen; weil er ſeinen Feind zu ehren weiß, die Nation ſchont, und nicht ſchimpft; wie jene, die wir ſeit Jahren deßhalb tadlen. So redlich muß man auftreten; fühlen, daß man nur ſo aufzutreten braucht; und, will man der Deutſchen Karakter hervortreten laſſen, dieſe geziemende edle Seite hervorkehren! Es iſt mit wahrer Kunſt aus dem Herzen geholt, was man zu jedermans Verſtändniß ſagen muß, daß es wieder in’s Herz gehe! Jede Ironie, jede Prahlerei weit zurückgelaſſen! Sorge, was an dir iſt, mit da- für, daß auch das, was von euren Heeren ausgeht, edel, ein- fach, gefaßt und ernſt ſei. Und nimm mir dies nicht übel! Ich bin ſo ganz durchdrungen und überzeugt davon, daß, wo Prahlerei, hohles Reden und Ironie ſitzt, nichts anderes Gutes ſitzen kann, daß ich mit Sichel und Harke den ganzen Tag ausrauten gehn möchte: da wir alles Gute, ganz gutgemeinte Wackere und Reine ſo ſehr nöthig haben! Dieſen Morgen iſt Marwitz abgegangen: bis heute hielten ihn ein paar Kamme- raden auf; ſonſt wäre er geſtern gegangen: doch weiß ich nicht, ob er allein iſt, oder mit ihnen: länger wollt’ er nicht warten. Seine Truppe iſt voraus. Geſtern war ich bis halb vier mit ihm bei Bouché — wo wir zuletzt waren — die Tauben, die zwei wiegenden Pappeln, die Sonne, die Blumen, alles war
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Glück auf! daß die erſten Schritte auf deiner neuen Bahn
angenehm und erquickend ſind! Dafür will ich gern ſchon
einen großen Theil meiner Angſt und Sorge anrechnen. Das
Lügen geht nicht: ſonſt verſchwieg ich es; mein Herz iſt noch
nicht befeſtigt. Doch bin ich Gottlob hierin dumm, und will
darüber ſchweigen. Wittgenſteins Proklamationen und Auf-
rufe gefallen mir über alle Maßen; weil er ſeinen Feind
zu ehren weiß, die Nation ſchont, und nicht ſchimpft; wie
jene, die wir ſeit Jahren deßhalb tadlen. So redlich muß
man auftreten; fühlen, daß man nur ſo aufzutreten braucht;
und, will man der Deutſchen Karakter hervortreten laſſen, dieſe
geziemende edle Seite hervorkehren! Es iſt mit wahrer Kunſt
aus dem Herzen geholt, was man zu jedermans Verſtändniß
ſagen muß, daß es wieder in’s Herz gehe! Jede Ironie, jede
Prahlerei weit zurückgelaſſen! Sorge, was an dir iſt, mit da-
für, daß auch das, was von euren Heeren ausgeht, edel, ein-
fach, gefaßt und ernſt ſei. Und nimm mir dies nicht übel!
Ich bin ſo ganz durchdrungen und überzeugt davon, daß, wo
Prahlerei, hohles Reden und Ironie ſitzt, nichts anderes Gutes
ſitzen kann, daß ich mit Sichel und Harke den ganzen Tag
ausrauten gehn möchte: da wir alles Gute, ganz gutgemeinte
Wackere und Reine ſo ſehr nöthig haben! Dieſen Morgen iſt
Marwitz abgegangen: bis heute hielten ihn ein paar Kamme-
raden auf; ſonſt wäre er geſtern gegangen: doch weiß ich nicht,
ob er allein iſt, oder mit ihnen: länger wollt’ er nicht warten.
Seine Truppe iſt voraus. Geſtern war ich bis halb vier mit
ihm bei Bouché — wo wir zuletzt waren — die Tauben, die
zwei wiegenden Pappeln, die Sonne, die Blumen, alles war
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/91>, abgerufen am 21.11.2024.
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