Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

über alles, und sage Ihnen grade was ich verlange. Sie wis-
sen, wie schwer mir das wird.

Adieu. R. R.


An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.


Ihr sehr freundlicher lieber Brief kann mich nur bewegen
zu schreiben: geantwortet habe ich Ihnen eigentlich schon vor-
aus, in dem, den ich Ihnen schickte. Nehmen Sie sich mit
rauchenden Zimmern u. dgl. sehr in Acht: es verdirbt einem
ganze Nächte, und im Rückschlag -- par ricochet -- ganze
Tage; und genau genommen ist doch nichts ärger, allein recht
arg, als wenn wir uns selbst fehlen: die Festigkeit, die der
richtig spielende Körper giebt, ist auf der Stelle Luxus; wenn
man es auch nur als höchste Nothwendigkeit anschlagen will.
Alle diese Weisheit ist mir gestern überkommen (und ich pre-
dige sie nur in Folge großer Narrheit und Unachtsamkeit von
meiner Seite!), da ich in mildem Wetter, bei hell gelockertem
Himmel, nach vielem Verdruß, allein spaziren ging. Zwar
natürlich nur in der Stadt: aber doch im Rondel -- oder wie
es heißt -- am Potsdammer Thor, da sah ich viel Himmel;
die Luft ist da ländlich; es war still. Und wie böse Hüllen
fiel es von mir, all das Fremde, von der Lage mir Aufgezau-
berte, und ich wurde auch still. Weil mir die Luft behagte,
ich gesund war, und sie mich gesund machte. (Zweimal bin
ich schon gestört worden: dann kann man nicht schreiben.)
Der Verdruß war von der Art, daß er ganz von meiner Lage

über alles, und ſage Ihnen grade was ich verlange. Sie wiſ-
ſen, wie ſchwer mir das wird.

Adieu. R. R.


An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.


Ihr ſehr freundlicher lieber Brief kann mich nur bewegen
zu ſchreiben: geantwortet habe ich Ihnen eigentlich ſchon vor-
aus, in dem, den ich Ihnen ſchickte. Nehmen Sie ſich mit
rauchenden Zimmern u. dgl. ſehr in Acht: es verdirbt einem
ganze Nächte, und im Rückſchlag — par ricochet — ganze
Tage; und genau genommen iſt doch nichts ärger, allein recht
arg, als wenn wir uns ſelbſt fehlen: die Feſtigkeit, die der
richtig ſpielende Körper giebt, iſt auf der Stelle Luxus; wenn
man es auch nur als höchſte Nothwendigkeit anſchlagen will.
Alle dieſe Weisheit iſt mir geſtern überkommen (und ich pre-
dige ſie nur in Folge großer Narrheit und Unachtſamkeit von
meiner Seite!), da ich in mildem Wetter, bei hell gelockertem
Himmel, nach vielem Verdruß, allein ſpaziren ging. Zwar
natürlich nur in der Stadt: aber doch im Rondel — oder wie
es heißt — am Potsdammer Thor, da ſah ich viel Himmel;
die Luft iſt da ländlich; es war ſtill. Und wie böſe Hüllen
fiel es von mir, all das Fremde, von der Lage mir Aufgezau-
berte, und ich wurde auch ſtill. Weil mir die Luft behagte,
ich geſund war, und ſie mich geſund machte. (Zweimal bin
ich ſchon geſtört worden: dann kann man nicht ſchreiben.)
Der Verdruß war von der Art, daß er ganz von meiner Lage

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0080" n="72"/>
über alles, und &#x017F;age Ihnen grade was ich verlange. Sie wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, wie &#x017F;chwer <hi rendition="#g">mir das</hi> wird.</p>
          <closer>
            <salute>Adieu. <hi rendition="#et">R. R.</hi></salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Sonntag, den 3. Januar 1813.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ihr &#x017F;ehr freundlicher lieber Brief kann mich nur bewegen<lb/>
zu &#x017F;chreiben: geantwortet habe ich Ihnen eigentlich &#x017F;chon vor-<lb/>
aus, in dem, den ich Ihnen &#x017F;chickte. Nehmen Sie &#x017F;ich mit<lb/>
rauchenden Zimmern u. dgl. &#x017F;ehr in Acht: es verdirbt einem<lb/>
ganze Nächte, und im Rück&#x017F;chlag &#x2014; <hi rendition="#aq">par ricochet</hi> &#x2014; ganze<lb/>
Tage; und genau genommen i&#x017F;t doch nichts ärger, allein recht<lb/>
arg, als wenn wir uns &#x017F;elb&#x017F;t fehlen: die Fe&#x017F;tigkeit, die der<lb/>
richtig &#x017F;pielende Körper giebt, i&#x017F;t auf der Stelle Luxus; <hi rendition="#g">wenn</hi><lb/>
man es auch nur als höch&#x017F;te Nothwendigkeit an&#x017F;chlagen will.<lb/>
Alle die&#x017F;e Weisheit i&#x017F;t mir ge&#x017F;tern überkommen (und ich pre-<lb/>
dige &#x017F;ie nur in Folge großer Narrheit und Unacht&#x017F;amkeit von<lb/>
meiner Seite!), da ich in mildem Wetter, bei hell gelockertem<lb/>
Himmel, nach vielem Verdruß, allein &#x017F;paziren ging. Zwar<lb/>
natürlich nur in der Stadt: aber doch im Rondel &#x2014; oder wie<lb/>
es heißt &#x2014; am Potsdammer Thor, da &#x017F;ah ich viel Himmel;<lb/>
die Luft i&#x017F;t da ländlich; es war &#x017F;till. Und wie bö&#x017F;e Hüllen<lb/>
fiel es von mir, all das Fremde, von der Lage mir Aufgezau-<lb/>
berte, und ich wurde auch &#x017F;till. Weil mir die Luft behagte,<lb/>
ich ge&#x017F;und war, und &#x017F;ie mich ge&#x017F;und machte. (Zweimal bin<lb/>
ich &#x017F;chon ge&#x017F;tört worden: dann <hi rendition="#g">kann</hi> man nicht &#x017F;chreiben.)<lb/>
Der Verdruß war von der Art, daß er ganz von meiner Lage<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0080] über alles, und ſage Ihnen grade was ich verlange. Sie wiſ- ſen, wie ſchwer mir das wird. Adieu. R. R. An Alexander von der Marwitz, in Potsdam. Sonntag, den 3. Januar 1813. Ihr ſehr freundlicher lieber Brief kann mich nur bewegen zu ſchreiben: geantwortet habe ich Ihnen eigentlich ſchon vor- aus, in dem, den ich Ihnen ſchickte. Nehmen Sie ſich mit rauchenden Zimmern u. dgl. ſehr in Acht: es verdirbt einem ganze Nächte, und im Rückſchlag — par ricochet — ganze Tage; und genau genommen iſt doch nichts ärger, allein recht arg, als wenn wir uns ſelbſt fehlen: die Feſtigkeit, die der richtig ſpielende Körper giebt, iſt auf der Stelle Luxus; wenn man es auch nur als höchſte Nothwendigkeit anſchlagen will. Alle dieſe Weisheit iſt mir geſtern überkommen (und ich pre- dige ſie nur in Folge großer Narrheit und Unachtſamkeit von meiner Seite!), da ich in mildem Wetter, bei hell gelockertem Himmel, nach vielem Verdruß, allein ſpaziren ging. Zwar natürlich nur in der Stadt: aber doch im Rondel — oder wie es heißt — am Potsdammer Thor, da ſah ich viel Himmel; die Luft iſt da ländlich; es war ſtill. Und wie böſe Hüllen fiel es von mir, all das Fremde, von der Lage mir Aufgezau- berte, und ich wurde auch ſtill. Weil mir die Luft behagte, ich geſund war, und ſie mich geſund machte. (Zweimal bin ich ſchon geſtört worden: dann kann man nicht ſchreiben.) Der Verdruß war von der Art, daß er ganz von meiner Lage

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/80
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/80>, abgerufen am 22.12.2024.