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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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ten, zeigten sie ihren völligsten Beifall unbefangen gern, und
wahrlich sie schienen's beide Abende auch ganz zu verstehn.

Eßlair macht einen so lieben Eindruck als Mensch, und
zeigt den in seinem ganzen Vortrag so, daß man ihn persön-
lich lieben muß: dafür war ich ihm schon mit meinem ganzen
Herzen dankbar. Sein kleiner Besuch hat ihn in meiner
Gunst bestätigt. Er hat etwas liebenswürdig Gütiges. Rauch-
taback roch ich, dies gehört diesmal zur fehlenden Nüance
von feinster Welt. Er behauptet keine Zeit zu haben; er
eilte so, daß ich beinah nichts mit ihm sprechen konnte, als
von deinen regrets, zu einer Probe vom Tell, der heute ge-
geben wird; hier die Austheilung. -- Leb wohl! Ich bin zu
müde: ich habe einen kranken Kopf, und nur meine Theater-
leidenschaft und du konnten mich schreiben machen. --

N. S. Er brachte mir einen Brief von J. S. -- Meine
ganze Liebe wallt zu Flecks Grabe. Die Propheten, Dichter
und Künstler, die Gottgesandten, sollten doch so lange die
Welt steht, leben, und nicht sich deteriorirend altern, wie wir
Gemeinsten, Elendesten. Ich bin heute völlig elend; in allem!
Eßlair bleibt nur bis den 14. Die Bethmann, die ich nach
der Probe sprach, kann nicht genug erzählen, wie herrlich er
in Theseus ist, und wie über alle Maßen vortrefflich in der
Beichte; sie sagt, darin stellte er den Theseus auf den Kopf.
Grad umgekehrt!




Als Mirabeau in Berlin war, sah ich ihn, in bürgerli-
chem Anzug, ganz das Ansehn habend, wie die damaligen

Hof-

ten, zeigten ſie ihren völligſten Beifall unbefangen gern, und
wahrlich ſie ſchienen’s beide Abende auch ganz zu verſtehn.

Eßlair macht einen ſo lieben Eindruck als Menſch, und
zeigt den in ſeinem ganzen Vortrag ſo, daß man ihn perſön-
lich lieben muß: dafür war ich ihm ſchon mit meinem ganzen
Herzen dankbar. Sein kleiner Beſuch hat ihn in meiner
Gunſt beſtätigt. Er hat etwas liebenswürdig Gütiges. Rauch-
taback roch ich, dies gehört diesmal zur fehlenden Nüance
von feinſter Welt. Er behauptet keine Zeit zu haben; er
eilte ſo, daß ich beinah nichts mit ihm ſprechen konnte, als
von deinen regrets, zu einer Probe vom Tell, der heute ge-
geben wird; hier die Austheilung. — Leb wohl! Ich bin zu
müde: ich habe einen kranken Kopf, und nur meine Theater-
leidenſchaft und du konnten mich ſchreiben machen. —

N. S. Er brachte mir einen Brief von J. S. — Meine
ganze Liebe wallt zu Flecks Grabe. Die Propheten, Dichter
und Künſtler, die Gottgeſandten, ſollten doch ſo lange die
Welt ſteht, leben, und nicht ſich deteriorirend altern, wie wir
Gemeinſten, Elendeſten. Ich bin heute völlig elend; in allem!
Eßlair bleibt nur bis den 14. Die Bethmann, die ich nach
der Probe ſprach, kann nicht genug erzählen, wie herrlich er
in Theſeus iſt, und wie über alle Maßen vortrefflich in der
Beichte; ſie ſagt, darin ſtellte er den Theſeus auf den Kopf.
Grad umgekehrt!




Als Mirabeau in Berlin war, ſah ich ihn, in bürgerli-
chem Anzug, ganz das Anſehn habend, wie die damaligen

Hof-
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[64/0072] ten, zeigten ſie ihren völligſten Beifall unbefangen gern, und wahrlich ſie ſchienen’s beide Abende auch ganz zu verſtehn. Eßlair macht einen ſo lieben Eindruck als Menſch, und zeigt den in ſeinem ganzen Vortrag ſo, daß man ihn perſön- lich lieben muß: dafür war ich ihm ſchon mit meinem ganzen Herzen dankbar. Sein kleiner Beſuch hat ihn in meiner Gunſt beſtätigt. Er hat etwas liebenswürdig Gütiges. Rauch- taback roch ich, dies gehört diesmal zur fehlenden Nüance von feinſter Welt. Er behauptet keine Zeit zu haben; er eilte ſo, daß ich beinah nichts mit ihm ſprechen konnte, als von deinen regrets, zu einer Probe vom Tell, der heute ge- geben wird; hier die Austheilung. — Leb wohl! Ich bin zu müde: ich habe einen kranken Kopf, und nur meine Theater- leidenſchaft und du konnten mich ſchreiben machen. — N. S. Er brachte mir einen Brief von J. S. — Meine ganze Liebe wallt zu Flecks Grabe. Die Propheten, Dichter und Künſtler, die Gottgeſandten, ſollten doch ſo lange die Welt ſteht, leben, und nicht ſich deteriorirend altern, wie wir Gemeinſten, Elendeſten. Ich bin heute völlig elend; in allem! Eßlair bleibt nur bis den 14. Die Bethmann, die ich nach der Probe ſprach, kann nicht genug erzählen, wie herrlich er in Theſeus iſt, und wie über alle Maßen vortrefflich in der Beichte; ſie ſagt, darin ſtellte er den Theſeus auf den Kopf. Grad umgekehrt! Sonntag, den 1. November 1812. Als Mirabeau in Berlin war, ſah ich ihn, in bürgerli- chem Anzug, ganz das Anſehn habend, wie die damaligen Hof-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/72>, abgerufen am 21.11.2024.