denklicher, aber nicht genug, als die Tänzer sind; in jedem Moment wird doch in keiner Rolle gesprochen, und da thut eine lebhafte natürliche Wendung des Menschen sehr gut, und belebt Schauspieler und Zuschauer. Es kommen ihm nicht Einfälle genug in's Gemüth, also fallen ihm nicht genug Nüancen des Vortrags ein; und daher ist er der Meinung zu oft sich in den Affekt setzen zu müssen, in welchem man gar nicht anders kann als schreien, dies ist die Ursache, warum er dies zu oft, und daher öfters ohne richtigen Grund noch treffende Wirkung, thut; bei Leibe aber nicht für's grö- bere Parterre und dessen groben Beifall, sondern aus reinem Irrthum und Mangel, aber doch verführt von der zu willi- gen, alles leistenden Stimme, die ihm schon so herrlichen Bei- fall schaffte, und Zeit ihres Lebens schaffen muß. In seinen besten Momenten erinnert er an Fleck und an Talma, wie dieser auch in seinen besten an Fleck. Abstrakte Mienen, des sich sammelnden Gemüths, oder des Wendens der Seele zu Himmel und Schicksal, haben sie alle drei sehr gleich. Er spielt sehr deutsch, und doch wie Einer, der die Franzosen ge- sehen, erwogen und benutzt hat; dies in seinen theatralischen Bewegungen, die er gehöriger Weise al fresco nimmt; aber bei weitem nicht mannigfaltig und witzig genug: wie denn Witz ihm in allem, was er auch gut leistet, am meisten fehlt. Dabei spielt er nach Stimmung und Eingebung; und aus großer Routine auch mit Überlegung, womit er sich klug genug unterstützt, wenn er sich schwächeren Herzens fühlt. So gab er die Räuber. In der Stelle, wo er die groben Ermahnun- gen des Mönchs anzuhören hat, sah er mit schwarzem, vorn
denklicher, aber nicht genug, als die Tänzer ſind; in jedem Moment wird doch in keiner Rolle geſprochen, und da thut eine lebhafte natürliche Wendung des Menſchen ſehr gut, und belebt Schauſpieler und Zuſchauer. Es kommen ihm nicht Einfälle genug in’s Gemüth, alſo fallen ihm nicht genug Nüancen des Vortrags ein; und daher iſt er der Meinung zu oft ſich in den Affekt ſetzen zu müſſen, in welchem man gar nicht anders kann als ſchreien, dies iſt die Urſache, warum er dies zu oft, und daher öfters ohne richtigen Grund noch treffende Wirkung, thut; bei Leibe aber nicht für’s grö- bere Parterre und deſſen groben Beifall, ſondern aus reinem Irrthum und Mangel, aber doch verführt von der zu willi- gen, alles leiſtenden Stimme, die ihm ſchon ſo herrlichen Bei- fall ſchaffte, und Zeit ihres Lebens ſchaffen muß. In ſeinen beſten Momenten erinnert er an Fleck und an Talma, wie dieſer auch in ſeinen beſten an Fleck. Abſtrakte Mienen, des ſich ſammelnden Gemüths, oder des Wendens der Seele zu Himmel und Schickſal, haben ſie alle drei ſehr gleich. Er ſpielt ſehr deutſch, und doch wie Einer, der die Franzoſen ge- ſehen, erwogen und benutzt hat; dies in ſeinen theatraliſchen Bewegungen, die er gehöriger Weiſe al fresco nimmt; aber bei weitem nicht mannigfaltig und witzig genug: wie denn Witz ihm in allem, was er auch gut leiſtet, am meiſten fehlt. Dabei ſpielt er nach Stimmung und Eingebung; und aus großer Routine auch mit Überlegung, womit er ſich klug genug unterſtützt, wenn er ſich ſchwächeren Herzens fühlt. So gab er die Räuber. In der Stelle, wo er die groben Ermahnun- gen des Mönchs anzuhören hat, ſah er mit ſchwarzem, vorn
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denklicher, aber nicht genug, als die Tänzer ſind; in jedem
Moment wird doch in keiner Rolle geſprochen, und da thut
eine lebhafte natürliche Wendung des Menſchen ſehr gut, und
belebt Schauſpieler und Zuſchauer. Es kommen ihm nicht
Einfälle genug in’s Gemüth, alſo fallen ihm nicht genug
Nüancen des Vortrags ein; und daher iſt er der Meinung
zu oft ſich in den Affekt ſetzen zu müſſen, in welchem man
gar nicht anders kann als ſchreien, dies iſt die Urſache,
warum er dies zu oft, und daher öfters ohne richtigen Grund
noch treffende Wirkung, thut; bei Leibe aber nicht für’s grö-
bere Parterre und deſſen groben Beifall, ſondern aus reinem
Irrthum und Mangel, aber doch verführt von der zu willi-
gen, alles leiſtenden Stimme, die ihm ſchon ſo herrlichen Bei-
fall ſchaffte, und Zeit ihres Lebens ſchaffen muß. In ſeinen
beſten Momenten erinnert er an Fleck und an Talma, wie
dieſer auch in ſeinen beſten an Fleck. Abſtrakte Mienen, des
ſich ſammelnden Gemüths, oder des Wendens der Seele zu
Himmel und Schickſal, haben ſie alle drei ſehr gleich. Er
ſpielt ſehr deutſch, und doch wie Einer, der die Franzoſen ge-
ſehen, erwogen und benutzt hat; dies in ſeinen theatraliſchen
Bewegungen, die er gehöriger Weiſe al fresco nimmt; aber
bei weitem nicht mannigfaltig und witzig genug: wie denn
Witz ihm in allem, was er auch gut leiſtet, am meiſten fehlt.
Dabei ſpielt er nach Stimmung und Eingebung; und aus
großer Routine auch mit Überlegung, womit er ſich klug genug
unterſtützt, wenn er ſich ſchwächeren Herzens fühlt. So gab
er die Räuber. In der Stelle, wo er die groben Ermahnun-
gen des Mönchs anzuhören hat, ſah er mit ſchwarzem, vorn
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/70>, abgerufen am 21.11.2024.
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