Segen, und wunderbar; denn wahr ist dies. Adieu, Ant- wort! Und wenn Sie krank sind, will ich's wissen: die Frau sagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die durch Ihren Brief gehen. Ich sehe heute noch die Mutine.
R. R.
An Frau von Grotthuß, in Dresden.
Berlin, im August 1812.
Dein Brief war einer der schönsten: nämlich auch von deinen! so reif, daß er süß war; so fertig, so sanft; und so alles und das Beste voraussetzend! Lange hat mir nichts so gefallen, mich nichts so gefreut! -- Lies auch Fernow's Leben von Mad. Schopenhauer, gegen die ich unbekannter- weise ein Vorurtheil hatte: die ich aber in dem Buche ein- fach, wahrhaft, ohne alle Prahlerei genügend, und durchaus für eine kunstfertige, bis zur höchsten glattesten Einfachheit gesteigerte Schreiberin erkenne. Je m'ineline profondement, et avec le plus grand plaisir! Weißt du nichts von Goethe? Marwitz ist in Potsdam. Grüß du den Mahler Friedrich von mir; ich war im vorigen Herbst mit Marwitz bei ihm. Unser Theater existirt nicht für mich. Siboni hat mich nicht be- zaubert. Er singt nach verschiedenen Manieren, und keiner Schule; ohne Leidenschaft, noch irgend eine Stimmung oder Tiefe. Kurz, er und seines Gleichen sind von und für's Pu- blikum Gemachte; kein Arbeiten der Natur bei ihrer Geburt; keine ernste Muse, kein Lächelblick irgend einer Grazie! --
Segen, und wunderbar; denn wahr iſt dies. Adieu, Ant- wort! Und wenn Sie krank ſind, will ich’s wiſſen: die Frau ſagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die durch Ihren Brief gehen. Ich ſehe heute noch die Mutine.
R. R.
An Frau von Grotthuß, in Dresden.
Berlin, im Auguſt 1812.
Dein Brief war einer der ſchönſten: nämlich auch von deinen! ſo reif, daß er ſüß war; ſo fertig, ſo ſanft; und ſo alles und das Beſte vorausſetzend! Lange hat mir nichts ſo gefallen, mich nichts ſo gefreut! — Lies auch Fernow’s Leben von Mad. Schopenhauer, gegen die ich unbekannter- weiſe ein Vorurtheil hatte: die ich aber in dem Buche ein- fach, wahrhaft, ohne alle Prahlerei genügend, und durchaus für eine kunſtfertige, bis zur höchſten glatteſten Einfachheit geſteigerte Schreiberin erkenne. Je m’ineline profondément, et avec le plus grand plaisir! Weißt du nichts von Goethe? Marwitz iſt in Potsdam. Grüß du den Mahler Friedrich von mir; ich war im vorigen Herbſt mit Marwitz bei ihm. Unſer Theater exiſtirt nicht für mich. Siboni hat mich nicht be- zaubert. Er ſingt nach verſchiedenen Manieren, und keiner Schule; ohne Leidenſchaft, noch irgend eine Stimmung oder Tiefe. Kurz, er und ſeines Gleichen ſind von und für’s Pu- blikum Gemachte; kein Arbeiten der Natur bei ihrer Geburt; keine ernſte Muſe, kein Lächelblick irgend einer Grazie! —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0067"n="59"/>
Segen, und wunderbar; denn <hirendition="#g">wahr iſt dies</hi>. Adieu, Ant-<lb/>
wort! Und wenn Sie krank ſind, will ich’s wiſſen: die Frau<lb/>ſagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die<lb/>
durch Ihren Brief gehen. Ich ſehe heute noch die Mutine.</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">R. R.</hi></salute></closer></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Frau von Grotthuß, in Dresden.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, im Auguſt 1812.</hi></dateline><lb/><p>Dein Brief war einer der ſchönſten: nämlich auch von<lb/>
deinen! ſo reif, daß er ſüß war; ſo fertig, ſo ſanft; und ſo<lb/><hirendition="#g">alles</hi> und das Beſte vorausſetzend! Lange hat mir nichts<lb/><hirendition="#g">ſo</hi> gefallen, mich nichts ſo gefreut! — Lies auch Fernow’s<lb/>
Leben von Mad. Schopenhauer, gegen die ich unbekannter-<lb/>
weiſe ein Vorurtheil hatte: die ich aber in dem Buche ein-<lb/>
fach, wahrhaft, ohne <hirendition="#g">alle</hi> Prahlerei genügend, und durchaus<lb/>
für eine kunſtfertige, bis zur höchſten glatteſten Einfachheit<lb/>
geſteigerte Schreiberin erkenne. <hirendition="#aq">Je m’ineline profondément, et<lb/>
avec le plus grand plaisir!</hi> Weißt du nichts von Goethe?<lb/>
Marwitz iſt in Potsdam. Grüß du den Mahler Friedrich von<lb/>
mir; ich war im vorigen Herbſt mit Marwitz bei ihm. Unſer<lb/>
Theater <hirendition="#g">exiſtirt</hi> nicht für mich. Siboni hat <hirendition="#g">mich</hi> nicht be-<lb/>
zaubert. Er ſingt nach verſchiedenen Manieren, und keiner<lb/>
Schule; ohne Leidenſchaft, noch irgend eine Stimmung oder<lb/>
Tiefe. Kurz, er und ſeines Gleichen ſind von und für’s Pu-<lb/>
blikum Gemachte; kein Arbeiten der Natur bei ihrer Geburt;<lb/>
keine ernſte Muſe, kein Lächelblick irgend einer Grazie! —</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[59/0067]
Segen, und wunderbar; denn wahr iſt dies. Adieu, Ant-
wort! Und wenn Sie krank ſind, will ich’s wiſſen: die Frau
ſagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die
durch Ihren Brief gehen. Ich ſehe heute noch die Mutine.
R. R.
An Frau von Grotthuß, in Dresden.
Berlin, im Auguſt 1812.
Dein Brief war einer der ſchönſten: nämlich auch von
deinen! ſo reif, daß er ſüß war; ſo fertig, ſo ſanft; und ſo
alles und das Beſte vorausſetzend! Lange hat mir nichts
ſo gefallen, mich nichts ſo gefreut! — Lies auch Fernow’s
Leben von Mad. Schopenhauer, gegen die ich unbekannter-
weiſe ein Vorurtheil hatte: die ich aber in dem Buche ein-
fach, wahrhaft, ohne alle Prahlerei genügend, und durchaus
für eine kunſtfertige, bis zur höchſten glatteſten Einfachheit
geſteigerte Schreiberin erkenne. Je m’ineline profondément, et
avec le plus grand plaisir! Weißt du nichts von Goethe?
Marwitz iſt in Potsdam. Grüß du den Mahler Friedrich von
mir; ich war im vorigen Herbſt mit Marwitz bei ihm. Unſer
Theater exiſtirt nicht für mich. Siboni hat mich nicht be-
zaubert. Er ſingt nach verſchiedenen Manieren, und keiner
Schule; ohne Leidenſchaft, noch irgend eine Stimmung oder
Tiefe. Kurz, er und ſeines Gleichen ſind von und für’s Pu-
blikum Gemachte; kein Arbeiten der Natur bei ihrer Geburt;
keine ernſte Muſe, kein Lächelblick irgend einer Grazie! —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/67>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.