und Axiomen einer bestimmten Religion zu machen, wo- durch mir dann diese bestimmte bewiesen sein soll! Mein Urtheil nimmt das nicht an, mein Geist sträubt sich, meine Seele empört sich gegen solche Zumuthungen; daher scheine ich dann zornig. -- --
An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart.
Karlsruhe, Sonnabend Morgen 9 Uhr im Bette, den 19. December 1818. Halb helles Frostwetter, mit etwas Schnee als Reif.
Ich glaube, Lieber, Ihr Freund ennuyirt sich! Was hat er für eine politische Unruhe? Als ob uns das Messer an der Kehle stünde, und wir auch nun keine Bewegung mehr ohne Schnitt machen könnten. Ungefähr so wie jetzt leben wir und unsere Vorältern schon lange; ungefähr so werden wir noch lange existiren müssen. Es vorherrscht ein großer Lügenwust; der uns auf allen Punkten berührt, den wir in unserer Luft schon mit einathmen, und aus unserer Brust wieder hinein schicken. Alles moralische Übel setzte ich in die Lüge. Liegt es an unserm Verstand, wenn wir von der Wahrheit ab, in der Lüge sind, so ist's Irrthum. Zugegeben, daß wir jetzt in einem Moment leben; wo an einem paar hauptschädlicher Lü- gen stark gerüttelt wurde, und noch gerüttelt wird: sie sind angebrochen, und das wahre Verhältniß ist in manchem Bruch am Lichte: es wird schon weiter losfallen müssen. Habt nur einige Geduld! Mir ist alles lieber, als Feuer und Schwert, wenn ich nicht grade über einen einzelnen Nichtswürdigen,
und Axiomen einer beſtimmten Religion zu machen, wo- durch mir dann dieſe beſtimmte bewieſen ſein ſoll! Mein Urtheil nimmt das nicht an, mein Geiſt ſträubt ſich, meine Seele empört ſich gegen ſolche Zumuthungen; daher ſcheine ich dann zornig. — —
An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart.
Karlsruhe, Sonnabend Morgen 9 Uhr im Bette, den 19. December 1818. Halb helles Froſtwetter, mit etwas Schnee als Reif.
Ich glaube, Lieber, Ihr Freund ennuyirt ſich! Was hat er für eine politiſche Unruhe? Als ob uns das Meſſer an der Kehle ſtünde, und wir auch nun keine Bewegung mehr ohne Schnitt machen könnten. Ungefähr ſo wie jetzt leben wir und unſere Vorältern ſchon lange; ungefähr ſo werden wir noch lange exiſtiren müſſen. Es vorherrſcht ein großer Lügenwuſt; der uns auf allen Punkten berührt, den wir in unſerer Luft ſchon mit einathmen, und aus unſerer Bruſt wieder hinein ſchicken. Alles moraliſche Übel ſetzte ich in die Lüge. Liegt es an unſerm Verſtand, wenn wir von der Wahrheit ab, in der Lüge ſind, ſo iſt’s Irrthum. Zugegeben, daß wir jetzt in einem Moment leben; wo an einem paar hauptſchädlicher Lü- gen ſtark gerüttelt wurde, und noch gerüttelt wird: ſie ſind angebrochen, und das wahre Verhältniß iſt in manchem Bruch am Lichte: es wird ſchon weiter losfallen müſſen. Habt nur einige Geduld! Mir iſt alles lieber, als Feuer und Schwert, wenn ich nicht grade über einen einzelnen Nichtswürdigen,
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und Axiomen einer beſtimmten Religion zu machen, wo-
durch mir dann dieſe beſtimmte bewieſen ſein ſoll! Mein
Urtheil nimmt das nicht an, mein Geiſt ſträubt ſich, meine
Seele empört ſich gegen ſolche Zumuthungen; daher ſcheine
ich dann zornig. — —
An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart.
Karlsruhe, Sonnabend Morgen 9 Uhr im Bette, den
19. December 1818. Halb helles Froſtwetter, mit
etwas Schnee als Reif.
Ich glaube, Lieber, Ihr Freund ennuyirt ſich! Was hat
er für eine politiſche Unruhe? Als ob uns das Meſſer an der
Kehle ſtünde, und wir auch nun keine Bewegung mehr ohne
Schnitt machen könnten. Ungefähr ſo wie jetzt leben wir und
unſere Vorältern ſchon lange; ungefähr ſo werden wir noch
lange exiſtiren müſſen. Es vorherrſcht ein großer Lügenwuſt;
der uns auf allen Punkten berührt, den wir in unſerer Luft
ſchon mit einathmen, und aus unſerer Bruſt wieder hinein
ſchicken. Alles moraliſche Übel ſetzte ich in die Lüge. Liegt
es an unſerm Verſtand, wenn wir von der Wahrheit ab, in
der Lüge ſind, ſo iſt’s Irrthum. Zugegeben, daß wir jetzt in
einem Moment leben; wo an einem paar hauptſchädlicher Lü-
gen ſtark gerüttelt wurde, und noch gerüttelt wird: ſie ſind
angebrochen, und das wahre Verhältniß iſt in manchem Bruch
am Lichte: es wird ſchon weiter losfallen müſſen. Habt nur
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/566>, abgerufen am 03.12.2024.
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