schen Miszellen. Wie gebildet! Nicht was unerzogen- em- pfindsam-Religiöse jetzt so schimpfen, indem sie es so nennen; wie scharf gedacht, und bezeichnet, aufrichtig gesucht, und glücklich gefunden; streng und mild angesehen, und behandelt; fertig, geläufig, und gestaltet vorgetragen! Er wurde mir ganz gegenwärtig dadurch! Er hätte sollen bei mir bleiben können! Dies fehlte ihm; bis in die letzten Tage hinein. Er war nicht reich, seine Natur nicht ergiebig genug, nicht saftig, nicht üppig, nicht genug mit unwillkürlichen Eingebungen begabt; ein Sichgehenlassen, konnte bei ihm kein Schönes werden; es fiel eine Stufe herab; oder, es war keins mehr, und unter die Bearbeitung eines dürren Verstandes gefallen; er hatte aber große Gaben; Gaben des Lernens, und des Sichtens, und war sehr gebildet; wußte was ihm abging; konnte es oft fühlen; und darum war ich ihm so lieb und nothwendig. -- O hätten wir ihn noch! wüßt' er von uns! Das hier, was ich schreibe! -- Ich schreibe Ihnen nichts von mir, weil Sie mich nun bald sehen werden. Selten: selten werden Sie einen Menschen gefunden haben, der bei altersmäßiger Reife ganz so alle Springfedern der wahren Kindheit und Jugend in Seele und Gemüth behalten hat, wie ich. Ich kann es vorhersagen; und Sie werden es doch finden. Sie werden sehen, ich bin wie ich war. Sie haben ordentlich behalten, was ich sagte! Einzelnes! --
ſchen Miszellen. Wie gebildet! Nicht was unerzogen- em- pfindſam-Religiöſe jetzt ſo ſchimpfen, indem ſie es ſo nennen; wie ſcharf gedacht, und bezeichnet, aufrichtig geſucht, und glücklich gefunden; ſtreng und mild angeſehen, und behandelt; fertig, geläufig, und geſtaltet vorgetragen! Er wurde mir ganz gegenwärtig dadurch! Er hätte ſollen bei mir bleiben können! Dies fehlte ihm; bis in die letzten Tage hinein. Er war nicht reich, ſeine Natur nicht ergiebig genug, nicht ſaftig, nicht üppig, nicht genug mit unwillkürlichen Eingebungen begabt; ein Sichgehenlaſſen, konnte bei ihm kein Schönes werden; es fiel eine Stufe herab; oder, es war keins mehr, und unter die Bearbeitung eines dürren Verſtandes gefallen; er hatte aber große Gaben; Gaben des Lernens, und des Sichtens, und war ſehr gebildet; wußte was ihm abging; konnte es oft fühlen; und darum war ich ihm ſo lieb und nothwendig. — O hätten wir ihn noch! wüßt’ er von uns! Das hier, was ich ſchreibe! — Ich ſchreibe Ihnen nichts von mir, weil Sie mich nun bald ſehen werden. Selten: ſelten werden Sie einen Menſchen gefunden haben, der bei altersmäßiger Reife ganz ſo alle Springfedern der wahren Kindheit und Jugend in Seele und Gemüth behalten hat, wie ich. Ich kann es vorherſagen; und Sie werden es doch finden. Sie werden ſehen, ich bin wie ich war. Sie haben ordentlich behalten, was ich ſagte! Einzelnes! —
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ſchen Miszellen. Wie gebildet! Nicht was unerzogen- em-
pfindſam-Religiöſe jetzt ſo ſchimpfen, indem ſie es ſo nennen;
wie ſcharf gedacht, und bezeichnet, aufrichtig geſucht, und
glücklich gefunden; ſtreng und mild angeſehen, und behandelt;
fertig, geläufig, und geſtaltet vorgetragen! Er wurde mir
ganz gegenwärtig dadurch! Er hätte ſollen bei mir bleiben
können! Dies fehlte ihm; bis in die letzten Tage hinein. Er war
nicht reich, ſeine Natur nicht ergiebig genug, nicht ſaftig, nicht
üppig, nicht genug mit unwillkürlichen Eingebungen begabt;
ein Sichgehenlaſſen, konnte bei ihm kein Schönes werden;
es fiel eine Stufe herab; oder, es war keins mehr, und unter
die Bearbeitung eines dürren Verſtandes gefallen; er hatte
aber große Gaben; Gaben des Lernens, und des Sichtens,
und war ſehr gebildet; wußte was ihm abging; konnte es
oft fühlen; und darum war ich ihm ſo lieb und nothwendig.
— O hätten wir ihn noch! wüßt’ er von uns! Das hier,
was ich ſchreibe! — Ich ſchreibe Ihnen nichts von mir, weil
Sie mich nun bald ſehen werden. Selten: ſelten werden Sie
einen Menſchen gefunden haben, der bei altersmäßiger Reife
ganz ſo alle Springfedern der wahren Kindheit und Jugend
in Seele und Gemüth behalten hat, wie ich. Ich kann es
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ſehen, ich bin wie ich war. Sie haben ordentlich behalten,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/540>, abgerufen am 22.11.2024.
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