kleinen Gäßchen, wo auch ich mit dem Reisewagen lang hal- ten mußte. Ich war aus Verzweiflung aus Berlin gereist, um das Ausziehen aus der Jägerstraße, und von meiner Mutter, nicht zu erleben. Der junge Rekrute mag längst todt sein; Lavendel in Spanien auf ihm blühen. Von mir kann man Sprüche pflücken, die nicht duften, nicht nähren. Sie sehen meine Stimmung! --
Januar 1818.
Im Herbst 1817 saß ich Abends mit Frau von Schlegel schon bei Lichte; wir hatten viel hin und her gesprochen, über das Drückende von den Mänglen der menschlichen Gesellschaft überhaupt, kamen zuletzt darauf, wie das nicht einzeln zu ändern sei, und wie nur eine große Veränderung schaffen könnte was so sehr nöthig, und abschaffen was so sehr un- leidlich sei: so berührten wir auch die verschiedenen Zustände der Menschen schon von Natur aus, und den großen allge- meinen Zustand, in welchem sie sich in dieser Welt befänden: gebrauchten aber in der Heftigkeit des Redens mehrmals das Wort Stände, obgleich von ihnen nicht die Rede war: indem wir dies thaten, trat Schlegel, nach einem Mittagsmahl, mun- ter, und angeröthet, in das Zimmer: drehte, so zu sagen, die Ohren nach uns hin, wollte gern plötzlich wissen, worüber seine Frau so angeregt und feurig sprach; und als er von ungefähr ein paarmal Stände, anstatt Zustände, hörte; sagte er halb ennuyirt, halb komisch, und lustig wahrhaft, indem er sich tief in einen großen Armsessel plumpste: "Ei was! Es giebt gar keine Stände; außer zwei: Priester und Laien!" -- Höchst
kleinen Gäßchen, wo auch ich mit dem Reiſewagen lang hal- ten mußte. Ich war aus Verzweiflung aus Berlin gereiſt, um das Ausziehen aus der Jägerſtraße, und von meiner Mutter, nicht zu erleben. Der junge Rekrute mag längſt todt ſein; Lavendel in Spanien auf ihm blühen. Von mir kann man Sprüche pflücken, die nicht duften, nicht nähren. Sie ſehen meine Stimmung! —
Januar 1818.
Im Herbſt 1817 ſaß ich Abends mit Frau von Schlegel ſchon bei Lichte; wir hatten viel hin und her geſprochen, über das Drückende von den Mänglen der menſchlichen Geſellſchaft überhaupt, kamen zuletzt darauf, wie das nicht einzeln zu ändern ſei, und wie nur eine große Veränderung ſchaffen könnte was ſo ſehr nöthig, und abſchaffen was ſo ſehr un- leidlich ſei: ſo berührten wir auch die verſchiedenen Zuſtände der Menſchen ſchon von Natur aus, und den großen allge- meinen Zuſtand, in welchem ſie ſich in dieſer Welt befänden: gebrauchten aber in der Heftigkeit des Redens mehrmals das Wort Stände, obgleich von ihnen nicht die Rede war: indem wir dies thaten, trat Schlegel, nach einem Mittagsmahl, mun- ter, und angeröthet, in das Zimmer: drehte, ſo zu ſagen, die Ohren nach uns hin, wollte gern plötzlich wiſſen, worüber ſeine Frau ſo angeregt und feurig ſprach; und als er von ungefähr ein paarmal Stände, anſtatt Zuſtände, hörte; ſagte er halb ennuyirt, halb komiſch, und luſtig wahrhaft, indem er ſich tief in einen großen Armſeſſel plumpſte: „Ei was! Es giebt gar keine Stände; außer zwei: Prieſter und Laien!“ — Höchſt
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kleinen Gäßchen, wo auch ich mit dem Reiſewagen lang hal-
ten mußte. Ich war aus Verzweiflung aus Berlin gereiſt,
um das Ausziehen aus der Jägerſtraße, und von meiner Mutter,
nicht zu erleben. Der junge Rekrute mag längſt todt ſein;
Lavendel in Spanien auf ihm blühen. Von mir kann man
Sprüche pflücken, die nicht duften, nicht nähren. Sie ſehen
meine Stimmung! —
Januar 1818.
Im Herbſt 1817 ſaß ich Abends mit Frau von Schlegel
ſchon bei Lichte; wir hatten viel hin und her geſprochen, über
das Drückende von den Mänglen der menſchlichen Geſellſchaft
überhaupt, kamen zuletzt darauf, wie das nicht einzeln zu
ändern ſei, und wie nur eine große Veränderung ſchaffen
könnte was ſo ſehr nöthig, und abſchaffen was ſo ſehr un-
leidlich ſei: ſo berührten wir auch die verſchiedenen Zuſtände
der Menſchen ſchon von Natur aus, und den großen allge-
meinen Zuſtand, in welchem ſie ſich in dieſer Welt befänden:
gebrauchten aber in der Heftigkeit des Redens mehrmals das
Wort Stände, obgleich von ihnen nicht die Rede war: indem
wir dies thaten, trat Schlegel, nach einem Mittagsmahl, mun-
ter, und angeröthet, in das Zimmer: drehte, ſo zu ſagen, die
Ohren nach uns hin, wollte gern plötzlich wiſſen, worüber ſeine
Frau ſo angeregt und feurig ſprach; und als er von ungefähr
ein paarmal Stände, anſtatt Zuſtände, hörte; ſagte er halb
ennuyirt, halb komiſch, und luſtig wahrhaft, indem er ſich
tief in einen großen Armſeſſel plumpſte: „Ei was! Es giebt
gar keine Stände; außer zwei: Prieſter und Laien!“ — Höchſt
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/528>, abgerufen am 22.11.2024.
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