Abendmahls aussprach. Wie erschöpfend für Ungelehrte; wie unwiderlegbar für Gelehrte, die auch alles Vorgefallene dar- über auswendig wüßten! Edle Philosophie! Beurtheilerin, Ordnerin aller menschlichen und geistigen Angelegenheiten. Ein richtiger Gedanke von dir, richtig angewandt, ist ein Tag der Sonne für ganze Welttheile. Diesen Ausruf pressen mir die Glaubensliebhaber aus: und Novalis, der mich dagegen stär- ken muß: von Solger las ich philosophische Gespräche! -- Schlegel lobte sie mir an. Mündlich davon. Von Frau von Woltmann, lieber August, hast du mir nicht hart, nur in Kürze geschrieben; in meiner Jugend, als ich mehr taugte, als jetzt, konnte ich das auch; überhaupt da fertigte ich die Leute auch mündlich in Kürze ab, und war herber, das taugt ihnen besser. Jetzt müßt' ich mir dies Verfahren erst anstudi- ren; und öfters nehm' ich's mir vor. Denn wirklich die, die sich vorsetzlich verstocken, sollten gar nicht glimpf behandelt werden. Und Deutschland hat jetzt eine ganze Klasse solcher, wovon Schlegel die brütende Klucke war! Wir in Branden- burg, nennen die alte Henne so. Jeder, der nur Einmal seine Überzeugung in sich zum Schweigen bringt: oder Einmal einem Andern nur nachspricht, und sie gar nicht zu Worte kommen läßt; ist unrein, geistlos, zu allem Schlechten fähig; denn die Möglichkeit und der Anfang ist da! In mir sind solche von je ewig verurtheilt, du weißt es. Zu lange aber hab' ich die eine Seite, das Nachgeben, und die Nachsicht geübt: die Natur gab mir thätige Waffen: wie ein abgeleb- ter in Zorn gebrachter Ritter, will ich sie hervorsuchen. Will,
Abendmahls ausſprach. Wie erſchöpfend für Ungelehrte; wie unwiderlegbar für Gelehrte, die auch alles Vorgefallene dar- über auswendig wüßten! Edle Philoſophie! Beurtheilerin, Ordnerin aller menſchlichen und geiſtigen Angelegenheiten. Ein richtiger Gedanke von dir, richtig angewandt, iſt ein Tag der Sonne für ganze Welttheile. Dieſen Ausruf preſſen mir die Glaubensliebhaber aus: und Novalis, der mich dagegen ſtär- ken muß: von Solger las ich philoſophiſche Geſpräche! — Schlegel lobte ſie mir an. Mündlich davon. Von Frau von Woltmann, lieber Auguſt, haſt du mir nicht hart, nur in Kürze geſchrieben; in meiner Jugend, als ich mehr taugte, als jetzt, konnte ich das auch; überhaupt da fertigte ich die Leute auch mündlich in Kürze ab, und war herber, das taugt ihnen beſſer. Jetzt müßt’ ich mir dies Verfahren erſt anſtudi- ren; und öfters nehm’ ich’s mir vor. Denn wirklich die, die ſich vorſetzlich verſtocken, ſollten gar nicht glimpf behandelt werden. Und Deutſchland hat jetzt eine ganze Klaſſe ſolcher, wovon Schlegel die brütende Klucke war! Wir in Branden- burg, nennen die alte Henne ſo. Jeder, der nur Einmal ſeine Überzeugung in ſich zum Schweigen bringt: oder Einmal einem Andern nur nachſpricht, und ſie gar nicht zu Worte kommen läßt; iſt unrein, geiſtlos, zu allem Schlechten fähig; denn die Möglichkeit und der Anfang iſt da! In mir ſind ſolche von je ewig verurtheilt, du weißt es. Zu lange aber hab’ ich die eine Seite, das Nachgeben, und die Nachſicht geübt: die Natur gab mir thätige Waffen: wie ein abgeleb- ter in Zorn gebrachter Ritter, will ich ſie hervorſuchen. Will,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0519"n="511"/>
Abendmahls ausſprach. Wie erſchöpfend für Ungelehrte; wie<lb/>
unwiderlegbar für Gelehrte, die auch alles Vorgefallene dar-<lb/>
über auswendig wüßten! Edle Philoſophie! Beurtheilerin,<lb/>
Ordnerin aller menſchlichen und geiſtigen Angelegenheiten. Ein<lb/>
richtiger Gedanke von dir, richtig angewandt, iſt ein Tag der<lb/>
Sonne für ganze Welttheile. Dieſen Ausruf preſſen mir die<lb/>
Glaubensliebhaber aus: und Novalis, der mich dagegen ſtär-<lb/>
ken muß: von Solger las ich philoſophiſche Geſpräche! —<lb/>
Schlegel lobte ſie mir an. Mündlich davon. Von Frau von<lb/>
Woltmann, lieber Auguſt, haſt du mir nicht hart, nur in<lb/>
Kürze geſchrieben; in meiner Jugend, als ich mehr taugte,<lb/>
als jetzt, konnte ich das auch; überhaupt da fertigte ich die<lb/>
Leute auch mündlich in Kürze ab, und war herber, das taugt<lb/>
ihnen beſſer. Jetzt müßt’ ich mir dies Verfahren erſt anſtudi-<lb/>
ren; und öfters nehm’ ich’s mir vor. Denn wirklich die, die<lb/>ſich vorſetzlich verſtocken, ſollten <hirendition="#g">gar</hi> nicht glimpf behandelt<lb/>
werden. Und Deutſchland hat jetzt eine ganze Klaſſe ſolcher,<lb/>
wovon Schlegel die brütende Klucke war! Wir in Branden-<lb/>
burg, nennen die alte Henne ſo. Jeder, der nur Einmal ſeine<lb/>
Überzeugung in ſich zum Schweigen bringt: oder Einmal<lb/>
einem Andern <hirendition="#g">nur</hi> nachſpricht, und ſie gar nicht zu Worte<lb/>
kommen läßt; iſt unrein, geiſtlos, zu allem Schlechten fähig;<lb/>
denn die Möglichkeit und der Anfang iſt <hirendition="#g">da! In</hi> mir ſind<lb/>ſolche <hirendition="#g">von je</hi> ewig verurtheilt, du weißt es. Zu lange aber<lb/>
hab’ ich die <hirendition="#g">eine</hi> Seite, das Nachgeben, und die <hirendition="#g">Nachſicht</hi><lb/>
geübt: die Natur gab mir thätige Waffen: wie ein abgeleb-<lb/>
ter in Zorn gebrachter Ritter, will ich ſie hervorſuchen. Will,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[511/0519]
Abendmahls ausſprach. Wie erſchöpfend für Ungelehrte; wie
unwiderlegbar für Gelehrte, die auch alles Vorgefallene dar-
über auswendig wüßten! Edle Philoſophie! Beurtheilerin,
Ordnerin aller menſchlichen und geiſtigen Angelegenheiten. Ein
richtiger Gedanke von dir, richtig angewandt, iſt ein Tag der
Sonne für ganze Welttheile. Dieſen Ausruf preſſen mir die
Glaubensliebhaber aus: und Novalis, der mich dagegen ſtär-
ken muß: von Solger las ich philoſophiſche Geſpräche! —
Schlegel lobte ſie mir an. Mündlich davon. Von Frau von
Woltmann, lieber Auguſt, haſt du mir nicht hart, nur in
Kürze geſchrieben; in meiner Jugend, als ich mehr taugte,
als jetzt, konnte ich das auch; überhaupt da fertigte ich die
Leute auch mündlich in Kürze ab, und war herber, das taugt
ihnen beſſer. Jetzt müßt’ ich mir dies Verfahren erſt anſtudi-
ren; und öfters nehm’ ich’s mir vor. Denn wirklich die, die
ſich vorſetzlich verſtocken, ſollten gar nicht glimpf behandelt
werden. Und Deutſchland hat jetzt eine ganze Klaſſe ſolcher,
wovon Schlegel die brütende Klucke war! Wir in Branden-
burg, nennen die alte Henne ſo. Jeder, der nur Einmal ſeine
Überzeugung in ſich zum Schweigen bringt: oder Einmal
einem Andern nur nachſpricht, und ſie gar nicht zu Worte
kommen läßt; iſt unrein, geiſtlos, zu allem Schlechten fähig;
denn die Möglichkeit und der Anfang iſt da! In mir ſind
ſolche von je ewig verurtheilt, du weißt es. Zu lange aber
hab’ ich die eine Seite, das Nachgeben, und die Nachſicht
geübt: die Natur gab mir thätige Waffen: wie ein abgeleb-
ter in Zorn gebrachter Ritter, will ich ſie hervorſuchen. Will,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/519>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.