sich einen nicht mit Gründen zu belegenden Widerspruch; ein dunkles Bedürfniß, etwas zu vergöttern, ließ sich bei ihm spü- ren, wozu ihm die Macht fehlte einen Gegenstand zu finden; weil das Bedürfniß der Vernunft, und der Sinn für das, was da ist, der Wahrheitssinn, bei ihm nicht scharf genug ist. Der faule Punkt im Geschlecht, woraus sich alle Geistesepide- mieen, Schwächen und Erhitzungen bilden: all jene Krankhei- ten! in all ihren ekelhaften und merkwürdigen Nüancen. Solche Leute können auch grausam werden; wie man längst darthat, daß Grausamkeit sich aus Schwäche erzeugt. Dieses ganze Gelichter von epidemischen Geisteskrankheiten wurde, in der verschrieenen Aufklärungsepoche, von den braven Aufklä- rern, heilsam und unschädlich durch Lächerlichmachen gehemmt; man sieht: nicht auskurirt; doch hoffe ich, eine Stufe tiefer im Volke. Ich wollte nur von dem Einen sprechen, und spreche von Allen; sie empören mich zu sehr; und mein neuster Ge- danke drängt sich auch hier wieder ein. Jeden großen Irr- thum, nämlich der in seinen Folgen so groß werden kann, werden Nationen nur durch Blutvergießen los. Jemehr in Massen gehandelt wird und geschieht, je schwerer wirken mensch- liche Gedanken: alsdann nur immer die der Natur; die sich aber immer nur ganz materiell für uns ausdrücken, wie sie in jedem Augenblick thut und wirkt, und wir sie gar anders nicht kennen. So sieht mein Geist ein reelles Unheil voraus, wenn die Narren noch länger fortarbeiten: und gelingt ihnen ihr läppisches Schulknabenwerk, oder auch nur etwas davon, so werden Schwerter geschwungen werden, Knüppel, Hacken: und beide Partheien an Wunden leiden: aber an den Wun-
ſich einen nicht mit Gründen zu belegenden Widerſpruch; ein dunkles Bedürfniß, etwas zu vergöttern, ließ ſich bei ihm ſpü- ren, wozu ihm die Macht fehlte einen Gegenſtand zu finden; weil das Bedürfniß der Vernunft, und der Sinn für das, was da iſt, der Wahrheitsſinn, bei ihm nicht ſcharf genug iſt. Der faule Punkt im Geſchlecht, woraus ſich alle Geiſtesepide- mieen, Schwächen und Erhitzungen bilden: all jene Krankhei- ten! in all ihren ekelhaften und merkwürdigen Nüancen. Solche Leute können auch grauſam werden; wie man längſt darthat, daß Grauſamkeit ſich aus Schwäche erzeugt. Dieſes ganze Gelichter von epidemiſchen Geiſteskrankheiten wurde, in der verſchrieenen Aufklärungsepoche, von den braven Aufklä- rern, heilſam und unſchädlich durch Lächerlichmachen gehemmt; man ſieht: nicht auskurirt; doch hoffe ich, eine Stufe tiefer im Volke. Ich wollte nur von dem Einen ſprechen, und ſpreche von Allen; ſie empören mich zu ſehr; und mein neuſter Ge- danke drängt ſich auch hier wieder ein. Jeden großen Irr- thum, nämlich der in ſeinen Folgen ſo groß werden kann, werden Nationen nur durch Blutvergießen los. Jemehr in Maſſen gehandelt wird und geſchieht, je ſchwerer wirken menſch- liche Gedanken: alsdann nur immer die der Natur; die ſich aber immer nur ganz materiell für uns ausdrücken, wie ſie in jedem Augenblick thut und wirkt, und wir ſie gar anders nicht kennen. So ſieht mein Geiſt ein reelles Unheil voraus, wenn die Narren noch länger fortarbeiten: und gelingt ihnen ihr läppiſches Schulknabenwerk, oder auch nur etwas davon, ſo werden Schwerter geſchwungen werden, Knüppel, Hacken: und beide Partheien an Wunden leiden: aber an den Wun-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0497"n="489"/>ſich einen nicht mit Gründen zu belegenden Widerſpruch; ein<lb/>
dunkles Bedürfniß, etwas zu vergöttern, ließ ſich bei ihm ſpü-<lb/>
ren, wozu ihm die Macht fehlte einen Gegenſtand zu finden;<lb/>
weil das Bedürfniß der Vernunft, und der Sinn für das, was<lb/><hirendition="#g">da iſt</hi>, der Wahrheitsſinn, bei ihm nicht ſcharf genug iſt.<lb/>
Der faule Punkt im Geſchlecht, woraus ſich alle Geiſtesepide-<lb/>
mieen, Schwächen und Erhitzungen bilden: all jene Krankhei-<lb/>
ten! in all ihren ekelhaften und merkwürdigen Nüancen.<lb/>
Solche Leute können auch grauſam werden; wie man längſt<lb/>
darthat, daß Grauſamkeit ſich aus Schwäche erzeugt. Dieſes<lb/>
ganze Gelichter von epidemiſchen Geiſteskrankheiten wurde, in<lb/>
der verſchrieenen Aufklärungsepoche, von den braven Aufklä-<lb/>
rern, heilſam und unſchädlich durch Lächerlichmachen gehemmt;<lb/>
man ſieht: nicht auskurirt; doch hoffe ich, eine Stufe tiefer<lb/>
im Volke. Ich wollte nur von dem Einen ſprechen, und ſpreche<lb/>
von Allen; ſie empören mich zu ſehr; und mein neuſter Ge-<lb/>
danke drängt ſich auch hier wieder ein. Jeden großen Irr-<lb/>
thum, nämlich der in ſeinen Folgen ſo groß werden kann,<lb/>
werden Nationen nur durch Blutvergießen los. Jemehr in<lb/>
Maſſen gehandelt wird und geſchieht, je ſchwerer wirken <hirendition="#g">menſch-<lb/>
liche</hi> Gedanken: alsdann nur immer die der Natur; die ſich<lb/>
aber immer nur ganz materiell für uns ausdrücken, wie ſie<lb/>
in jedem Augenblick thut und wirkt, und wir ſie gar anders<lb/>
nicht kennen. So ſieht mein Geiſt ein reelles Unheil voraus,<lb/>
wenn die Narren noch länger fortarbeiten: und gelingt ihnen<lb/>
ihr läppiſches Schulknabenwerk, oder auch nur etwas davon,<lb/>ſo werden Schwerter geſchwungen werden, Knüppel, Hacken:<lb/>
und beide Partheien an Wunden leiden: aber an den Wun-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[489/0497]
ſich einen nicht mit Gründen zu belegenden Widerſpruch; ein
dunkles Bedürfniß, etwas zu vergöttern, ließ ſich bei ihm ſpü-
ren, wozu ihm die Macht fehlte einen Gegenſtand zu finden;
weil das Bedürfniß der Vernunft, und der Sinn für das, was
da iſt, der Wahrheitsſinn, bei ihm nicht ſcharf genug iſt.
Der faule Punkt im Geſchlecht, woraus ſich alle Geiſtesepide-
mieen, Schwächen und Erhitzungen bilden: all jene Krankhei-
ten! in all ihren ekelhaften und merkwürdigen Nüancen.
Solche Leute können auch grauſam werden; wie man längſt
darthat, daß Grauſamkeit ſich aus Schwäche erzeugt. Dieſes
ganze Gelichter von epidemiſchen Geiſteskrankheiten wurde, in
der verſchrieenen Aufklärungsepoche, von den braven Aufklä-
rern, heilſam und unſchädlich durch Lächerlichmachen gehemmt;
man ſieht: nicht auskurirt; doch hoffe ich, eine Stufe tiefer
im Volke. Ich wollte nur von dem Einen ſprechen, und ſpreche
von Allen; ſie empören mich zu ſehr; und mein neuſter Ge-
danke drängt ſich auch hier wieder ein. Jeden großen Irr-
thum, nämlich der in ſeinen Folgen ſo groß werden kann,
werden Nationen nur durch Blutvergießen los. Jemehr in
Maſſen gehandelt wird und geſchieht, je ſchwerer wirken menſch-
liche Gedanken: alsdann nur immer die der Natur; die ſich
aber immer nur ganz materiell für uns ausdrücken, wie ſie
in jedem Augenblick thut und wirkt, und wir ſie gar anders
nicht kennen. So ſieht mein Geiſt ein reelles Unheil voraus,
wenn die Narren noch länger fortarbeiten: und gelingt ihnen
ihr läppiſches Schulknabenwerk, oder auch nur etwas davon,
ſo werden Schwerter geſchwungen werden, Knüppel, Hacken:
und beide Partheien an Wunden leiden: aber an den Wun-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/497>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.