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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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noch bei ihnen; und das alles mit einem ächten Herbsthusten,
der mich zu gewissen Stunden des Tages fieberartig alterirt;
der oft ein Schnupfen werden will, den ich mit Emser trak-
tire, und nun bald in Ordnung setzen will. -- Das Federfüh-
ren gab mir gestern Fieberbewegungen, und komplete Dämlich-
keit; sonst hätte ich doch wohl schon gestern deinen Liebesbrief
zu beantworten angefangen! Ich wollte es mehr als zwan-
zigmal in Gedanken. Noch nicht einen Augenblick, mein lie-
ber August, hab' ich es bereut, nicht die kurze Reise, im dicken
Herbst, nach Berlin mitgemacht zu haben: wenn ich auch öf-
ter schon gewünscht habe, bei dir zu sein; dir zur Seite zu
sein: so war mir, selbst daß dies nicht der Fall ist, schon sehr
lieb, und ist es mir noch. In meiner Begleitung, hätte deine
Reise schon ein ganz anderes Ansehen bekommen; schon gar
nicht als eine eilige ausgesehen, wie sie es doch ist. -- Berlin
regrettire ich in diesem Augenblick gar nicht: die Geschwister
hab' ich gesehen, Moritz'ens soll ich sehen: und die Stadt lieb'
ich im Frühling und Frühsommer mehr, und wenn sie sich erst
wieder wird gesetzt haben nach dem großen Aufstand. Du
weißt, wie ich Aufgepustertes hasse; Feste vermeide etc.!

Den ehmaligen Freund kenne ich: d. h. von dem wundert
es mich weniger als von manchem Andern, wie allerlei aus
ihm werden konnte: aber ich sehe doch nun erst, daß das, was
ich in ihm für eine Seelenblüthe, für Milde hielt, auch nur
Biegsamkeit aus Schwäche war: en pflegte meine Äußerungen
schon auf eine Art zu bewundern, die den höchsten Widerspruch
in ihm offenbarte, und mich nur stutzig oder ungeduldig machte;
er gab mir bewundernd zu, was ich behauptete, und reservirte

noch bei ihnen; und das alles mit einem ächten Herbſthuſten,
der mich zu gewiſſen Stunden des Tages fieberartig alterirt;
der oft ein Schnupfen werden will, den ich mit Emſer trak-
tire, und nun bald in Ordnung ſetzen will. — Das Federfüh-
ren gab mir geſtern Fieberbewegungen, und komplete Dämlich-
keit; ſonſt hätte ich doch wohl ſchon geſtern deinen Liebesbrief
zu beantworten angefangen! Ich wollte es mehr als zwan-
zigmal in Gedanken. Noch nicht einen Augenblick, mein lie-
ber Auguſt, hab’ ich es bereut, nicht die kurze Reiſe, im dicken
Herbſt, nach Berlin mitgemacht zu haben: wenn ich auch öf-
ter ſchon gewünſcht habe, bei dir zu ſein; dir zur Seite zu
ſein: ſo war mir, ſelbſt daß dies nicht der Fall iſt, ſchon ſehr
lieb, und iſt es mir noch. In meiner Begleitung, hätte deine
Reiſe ſchon ein ganz anderes Anſehen bekommen; ſchon gar
nicht als eine eilige ausgeſehen, wie ſie es doch iſt. — Berlin
regrettire ich in dieſem Augenblick gar nicht: die Geſchwiſter
hab’ ich geſehen, Moritz’ens ſoll ich ſehen: und die Stadt lieb’
ich im Frühling und Frühſommer mehr, und wenn ſie ſich erſt
wieder wird geſetzt haben nach dem großen Aufſtand. Du
weißt, wie ich Aufgepuſtertes haſſe; Feſte vermeide etc.!

Den ehmaligen Freund kenne ich: d. h. von dem wundert
es mich weniger als von manchem Andern, wie allerlei aus
ihm werden konnte: aber ich ſehe doch nun erſt, daß das, was
ich in ihm für eine Seelenblüthe, für Milde hielt, auch nur
Biegſamkeit aus Schwäche war: en pflegte meine Äußerungen
ſchon auf eine Art zu bewundern, die den höchſten Widerſpruch
in ihm offenbarte, und mich nur ſtutzig oder ungeduldig machte;
er gab mir bewundernd zu, was ich behauptete, und reſervirte

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[488/0496] noch bei ihnen; und das alles mit einem ächten Herbſthuſten, der mich zu gewiſſen Stunden des Tages fieberartig alterirt; der oft ein Schnupfen werden will, den ich mit Emſer trak- tire, und nun bald in Ordnung ſetzen will. — Das Federfüh- ren gab mir geſtern Fieberbewegungen, und komplete Dämlich- keit; ſonſt hätte ich doch wohl ſchon geſtern deinen Liebesbrief zu beantworten angefangen! Ich wollte es mehr als zwan- zigmal in Gedanken. Noch nicht einen Augenblick, mein lie- ber Auguſt, hab’ ich es bereut, nicht die kurze Reiſe, im dicken Herbſt, nach Berlin mitgemacht zu haben: wenn ich auch öf- ter ſchon gewünſcht habe, bei dir zu ſein; dir zur Seite zu ſein: ſo war mir, ſelbſt daß dies nicht der Fall iſt, ſchon ſehr lieb, und iſt es mir noch. In meiner Begleitung, hätte deine Reiſe ſchon ein ganz anderes Anſehen bekommen; ſchon gar nicht als eine eilige ausgeſehen, wie ſie es doch iſt. — Berlin regrettire ich in dieſem Augenblick gar nicht: die Geſchwiſter hab’ ich geſehen, Moritz’ens ſoll ich ſehen: und die Stadt lieb’ ich im Frühling und Frühſommer mehr, und wenn ſie ſich erſt wieder wird geſetzt haben nach dem großen Aufſtand. Du weißt, wie ich Aufgepuſtertes haſſe; Feſte vermeide etc.! Den ehmaligen Freund kenne ich: d. h. von dem wundert es mich weniger als von manchem Andern, wie allerlei aus ihm werden konnte: aber ich ſehe doch nun erſt, daß das, was ich in ihm für eine Seelenblüthe, für Milde hielt, auch nur Biegſamkeit aus Schwäche war: en pflegte meine Äußerungen ſchon auf eine Art zu bewundern, die den höchſten Widerſpruch in ihm offenbarte, und mich nur ſtutzig oder ungeduldig machte; er gab mir bewundernd zu, was ich behauptete, und reſervirte

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/496>, abgerufen am 25.11.2024.