unsern Gesandten Fürst Hatzfeldt und dessen Familie.) Man kann sehr schön in Brüssel spaziren gehen. Mad. Gavaudan spielt hier; vortrefflich! heute er und sie; ihn kannte ich von Paris. Das Volk macht mir hier einen sehr fremden Eindruck; es sind nicht Franzosen, nicht Deutsche; auch nichts anderes. Und ich kann mich im schönsten Stadtlokal, im üp- pigsten Orte, und den elegantesten Umständen nicht behaglich fühlen, und bewegen, wenn mir die Wurzel all der opulenten Zustände nicht bekannt, klar ist, und gefällt; nämlich das Volk, sein Leben und sein Zielen. Hier widerspricht sich jede Faser: so lange schon erlebt dies Volk Regierungs- und Ei- genthumswechsel; Wechsel im Angehören seiner selbst nämlich: und ich, die von solchen Dingen wenig zu verstehen gelernt hat, fühle leicht, fein, und scharf ihre Wirkung. Ich bin fast hier nie allein, immer mit Mann, Schwester, und Schwager, daher kann ich Ihnen auch nur diese rohen Notizen geben, diese dürren Zeilen schicken auf Ihren lieben, liebevollen Brief, voller Gebete und Offenbarungen und Dankhymnen und Er- leuchtungen und Freude über das Existiren!!! Wissen Sie wenigstens, daß ich es eben so ansehe: und immer glücklich wäre, wenn man nicht störte: und darum auch so empört über Störungen bin. Ihr Plan, auf eine Universität zu ge- hen, Ihr Bedürfniß dazu, hat mein völligstes Applaudisse- ment. Thun Sie es ja: dies ist was Ihnen fehlt! Auch vor meiner Reise hierher war ich unendlich gestört. Sechs Wo- chen waren meine Berliner Geschwister mit ihren beiden Töch- tern in Baden und Karlsruhe bei mir (ich war ihnen auch bis Heidelberg und Mannheim entgegen), Gräfin Schlabren-
unſern Geſandten Fürſt Hatzfeldt und deſſen Familie.) Man kann ſehr ſchön in Brüſſel ſpaziren gehen. Mad. Gavaudan ſpielt hier; vortrefflich! heute er und ſie; ihn kannte ich von Paris. Das Volk macht mir hier einen ſehr fremden Eindruck; es ſind nicht Franzoſen, nicht Deutſche; auch nichts anderes. Und ich kann mich im ſchönſten Stadtlokal, im üp- pigſten Orte, und den eleganteſten Umſtänden nicht behaglich fühlen, und bewegen, wenn mir die Wurzel all der opulenten Zuſtände nicht bekannt, klar iſt, und gefällt; nämlich das Volk, ſein Leben und ſein Zielen. Hier widerſpricht ſich jede Faſer: ſo lange ſchon erlebt dies Volk Regierungs- und Ei- genthumswechſel; Wechſel im Angehören ſeiner ſelbſt nämlich: und ich, die von ſolchen Dingen wenig zu verſtehen gelernt hat, fühle leicht, fein, und ſcharf ihre Wirkung. Ich bin faſt hier nie allein, immer mit Mann, Schweſter, und Schwager, daher kann ich Ihnen auch nur dieſe rohen Notizen geben, dieſe dürren Zeilen ſchicken auf Ihren lieben, liebevollen Brief, voller Gebete und Offenbarungen und Dankhymnen und Er- leuchtungen und Freude über das Exiſtiren!!! Wiſſen Sie wenigſtens, daß ich es eben ſo anſehe: und immer glücklich wäre, wenn man nicht ſtörte: und darum auch ſo empört über Störungen bin. Ihr Plan, auf eine Univerſität zu ge- hen, Ihr Bedürfniß dazu, hat mein völligſtes Applaudiſſe- ment. Thun Sie es ja: dies iſt was Ihnen fehlt! Auch vor meiner Reiſe hierher war ich unendlich geſtört. Sechs Wo- chen waren meine Berliner Geſchwiſter mit ihren beiden Töch- tern in Baden und Karlsruhe bei mir (ich war ihnen auch bis Heidelberg und Mannheim entgegen), Gräfin Schlabren-
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unſern Geſandten Fürſt Hatzfeldt und deſſen Familie.) Man
kann ſehr ſchön in Brüſſel ſpaziren gehen. Mad. Gavaudan
ſpielt hier; vortrefflich! heute er und ſie; ihn kannte ich
von Paris. Das Volk macht mir hier einen ſehr fremden
Eindruck; es ſind nicht Franzoſen, nicht Deutſche; auch nichts
anderes. Und ich kann mich im ſchönſten Stadtlokal, im üp-
pigſten Orte, und den eleganteſten Umſtänden nicht behaglich
fühlen, und bewegen, wenn mir die Wurzel all der opulenten
Zuſtände nicht bekannt, klar iſt, und gefällt; nämlich das
Volk, ſein Leben und ſein Zielen. Hier widerſpricht ſich jede
Faſer: ſo lange ſchon erlebt dies Volk Regierungs- und Ei-
genthumswechſel; Wechſel im Angehören ſeiner ſelbſt nämlich:
und ich, die von ſolchen Dingen wenig zu verſtehen gelernt
hat, fühle leicht, fein, und ſcharf ihre Wirkung. Ich bin faſt
hier nie allein, immer mit Mann, Schweſter, und Schwager,
daher kann ich Ihnen auch nur dieſe rohen Notizen geben,
dieſe dürren Zeilen ſchicken auf Ihren lieben, liebevollen Brief,
voller Gebete und Offenbarungen und Dankhymnen und Er-
leuchtungen und Freude über das Exiſtiren!!! Wiſſen Sie
wenigſtens, daß ich es eben ſo anſehe: und immer glücklich
wäre, wenn man nicht ſtörte: und darum auch ſo empört
über Störungen bin. Ihr Plan, auf eine Univerſität zu ge-
hen, Ihr Bedürfniß dazu, hat mein völligſtes Applaudiſſe-
ment. Thun Sie es ja: dies iſt was Ihnen fehlt! Auch vor
meiner Reiſe hierher war ich unendlich geſtört. Sechs Wo-
chen waren meine Berliner Geſchwiſter mit ihren beiden Töch-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/482>, abgerufen am 22.11.2024.
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