ziehens nicht werth!" Es ist doch die irdische Lebenspflanze nicht etwa aus Ihrem Herzen gebrochen, so daß alles fernere Grünen, alles Schicksals-Scheinen nicht ferner das Herze nähren kann? Sie haben doch noch Lebensbilder, die Zu- kunft zu bevölkern; das will ich hoffen! hierüber schreiben Sie mir. Der Himmel, das Gewissen ist die unabläßliche Gesundheit der Seele; auf diese erste Bedingung verlange ich das Leben! Sie müssen und sollen wissen, daß ich viel auf's Leben gebe. Es kann sehr gut (obgleich es nicht zu unsern Ohren kömmt, und die da gut leben, ich glaub' es ge- wiß, schweigen, und nicht sprechen können), schon hier auf der Erde, sein. Es ist mir beinah nichts gelungen: ich weiß dies aber doch; und dies ganz gewiß. Man setzt meines Be- dünkens die Möglichkeit der Erde zu sehr herab. Und nun gar; nun man alles machen will. Eine Verfassung, Gesinnung, Religiosität; auf tausend Büchern gestempelt; und sich die Nationen nur so wie Kompagnien zu stellen haben, denen man das Brot und Montur austheilt! -- Zum Glück! geht die Welt nebenher noch ihren Gang! Und grünt, und blüht, und donnert, blitzt und wogt. Sie sehen, was ich hasse. Das leere, neumodische, unlebendige, prahlerige, Nach- und Übersprechen; wie "überbieten." Lassen Sie sich nur nicht so zersprechen! Vergessen Sie ja nicht zu leben. Grade den Tag, wie er vor uns steht; er auch wird eine ehr- würdige Vergangenheit; das ist der Tage Sorge; nicht unsere. Sie sehen, ich habe viel in Wien, Prag, Frankfurt, und allenthalben hören müssen; viel gelesen, Gedruckt- und Ge- schriebenes. Könnten Sie uns nur besuchen! da wir jetzt
II. 29
ziehens nicht werth!“ Es iſt doch die irdiſche Lebenspflanze nicht etwa aus Ihrem Herzen gebrochen, ſo daß alles fernere Grünen, alles Schickſals-Scheinen nicht ferner das Herze nähren kann? Sie haben doch noch Lebensbilder, die Zu- kunft zu bevölkern; das will ich hoffen! hierüber ſchreiben Sie mir. Der Himmel, das Gewiſſen iſt die unabläßliche Geſundheit der Seele; auf dieſe erſte Bedingung verlange ich das Leben! Sie müſſen und ſollen wiſſen, daß ich viel auf’s Leben gebe. Es kann ſehr gut (obgleich es nicht zu unſern Ohren kömmt, und die da gut leben, ich glaub’ es ge- wiß, ſchweigen, und nicht ſprechen können), ſchon hier auf der Erde, ſein. Es iſt mir beinah nichts gelungen: ich weiß dies aber doch; und dies ganz gewiß. Man ſetzt meines Be- dünkens die Möglichkeit der Erde zu ſehr herab. Und nun gar; nun man alles machen will. Eine Verfaſſung, Geſinnung, Religioſität; auf tauſend Büchern geſtempelt; und ſich die Nationen nur ſo wie Kompagnien zu ſtellen haben, denen man das Brot und Montur austheilt! — Zum Glück! geht die Welt nebenher noch ihren Gang! Und grünt, und blüht, und donnert, blitzt und wogt. Sie ſehen, was ich haſſe. Das leere, neumodiſche, unlebendige, prahlerige, Nach- und Überſprechen; wie „überbieten.“ Laſſen Sie ſich nur nicht ſo zerſprechen! Vergeſſen Sie ja nicht zu leben. Grade den Tag, wie er vor uns ſteht; er auch wird eine ehr- würdige Vergangenheit; das iſt der Tage Sorge; nicht unſere. Sie ſehen, ich habe viel in Wien, Prag, Frankfurt, und allenthalben hören müſſen; viel geleſen, Gedruckt- und Ge- ſchriebenes. Könnten Sie uns nur beſuchen! da wir jetzt
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ziehens nicht werth!“ Es iſt doch die irdiſche Lebenspflanze
nicht etwa aus Ihrem Herzen gebrochen, ſo daß alles fernere
Grünen, alles Schickſals-Scheinen nicht ferner das Herze
nähren kann? Sie haben doch noch Lebensbilder, die Zu-
kunft zu bevölkern; das will ich hoffen! hierüber ſchreiben
Sie mir. Der Himmel, das Gewiſſen iſt die unabläßliche
Geſundheit der Seele; auf dieſe erſte Bedingung verlange
ich das Leben! Sie müſſen und ſollen wiſſen, daß ich viel
auf’s Leben gebe. Es kann ſehr gut (obgleich es nicht zu
unſern Ohren kömmt, und die da gut leben, ich glaub’ es ge-
wiß, ſchweigen, und nicht ſprechen können), ſchon hier auf
der Erde, ſein. Es iſt mir beinah nichts gelungen: ich weiß
dies aber doch; und dies ganz gewiß. Man ſetzt meines Be-
dünkens die Möglichkeit der Erde zu ſehr herab. Und
nun gar; nun man alles machen will. Eine Verfaſſung,
Geſinnung, Religioſität; auf tauſend Büchern geſtempelt;
und ſich die Nationen nur ſo wie Kompagnien zu ſtellen
haben, denen man das Brot und Montur austheilt! — Zum
Glück! geht die Welt nebenher noch ihren Gang! Und grünt,
und blüht, und donnert, blitzt und wogt. Sie ſehen, was
ich haſſe. Das leere, neumodiſche, unlebendige, prahlerige,
Nach- und Überſprechen; wie „überbieten.“ Laſſen Sie ſich
nur nicht ſo zerſprechen! Vergeſſen Sie ja nicht zu leben.
Grade den Tag, wie er vor uns ſteht; er auch wird eine ehr-
würdige Vergangenheit; das iſt der Tage Sorge; nicht unſere.
Sie ſehen, ich habe viel in Wien, Prag, Frankfurt, und
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/457>, abgerufen am 22.11.2024.
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