kein Mensch in der Welt ist so von Ihrem Talent zum Schrei- ben eingenommen, als ich: und darauf habe ich den größten Stolz; weil ich mir einbilde, ich verstehe dies ganz besonders. Feder und Zunge aber bleiben bei Ihnen in der Scheide! Ganz mörderhaft; das will ich Ihnen beweisen. Ich, habe das größtmögliche Talent zum Leben: das finden auch Sie in dem wenigen, was Sie im schweizerischen Museum von mir lasen; einen solchen Strom hemmen, ist nur ihn höher herabfallen und brausen machen; gelebt, geflossen wird immer: wenn auch unmusikalisch, krank, und schmerzhaft. Sie, haben das größte Schreibetalent; Sie vermögen nämlich das Leben unter allen Gestalten nach Ihrer Wahl aus der Feder aufsteigen zu lassen; geschieht das aber nicht; so geschieht es auch nicht unterbrochen. Das größte Talent versteinert in sei- ner Schale; Tausende kommen um den schönsten Genuß: sich bewundernd zu fernerem Leben und Leisten anregen zu lassen: Sie um Ihr wirklichstes Leben: und ich um einen Haupt- triumph! (Ich esse Semmel mit vortrefflichster Sardellenbut- ter während ich Ihnen schreibe.) Kann ich gar nichts über Sie vermögen? Wollen Sie gar nicht schreiben, nichts? Auch keine Briefe? In denen sich unvermuthet, ungesucht -- von Ihrer Seite, mein' ich -- Schätze auffinden ließen? Ich würde Ihnen Korrespondenz anbieten: aber ich kann nicht. Das Erste und Letzte bei meinen nun in die Ewigkeit sich spinnen- den Unpäßlichkeiten ist immer, nicht die Feder auf dem Papier können kritzen lassen. Dabei habe ich zwischen zwanzig und dreißig Korrespondenten, die immer alle etwas von mir wol- len. Ich war eigentlich diesen Winter nicht besonders anders
kein Menſch in der Welt iſt ſo von Ihrem Talent zum Schrei- ben eingenommen, als ich: und darauf habe ich den größten Stolz; weil ich mir einbilde, ich verſtehe dies ganz beſonders. Feder und Zunge aber bleiben bei Ihnen in der Scheide! Ganz mörderhaft; das will ich Ihnen beweiſen. Ich, habe das größtmögliche Talent zum Leben: das finden auch Sie in dem wenigen, was Sie im ſchweizeriſchen Muſeum von mir laſen; einen ſolchen Strom hemmen, iſt nur ihn höher herabfallen und brauſen machen; gelebt, gefloſſen wird immer: wenn auch unmuſikaliſch, krank, und ſchmerzhaft. Sie, haben das größte Schreibetalent; Sie vermögen nämlich das Leben unter allen Geſtalten nach Ihrer Wahl aus der Feder aufſteigen zu laſſen; geſchieht das aber nicht; ſo geſchieht es auch nicht unterbrochen. Das größte Talent verſteinert in ſei- ner Schale; Tauſende kommen um den ſchönſten Genuß: ſich bewundernd zu fernerem Leben und Leiſten anregen zu laſſen: Sie um Ihr wirklichſtes Leben: und ich um einen Haupt- triumph! (Ich eſſe Semmel mit vortrefflichſter Sardellenbut- ter während ich Ihnen ſchreibe.) Kann ich gar nichts über Sie vermögen? Wollen Sie gar nicht ſchreiben, nichts? Auch keine Briefe? In denen ſich unvermuthet, ungeſucht — von Ihrer Seite, mein’ ich — Schätze auffinden ließen? Ich würde Ihnen Korreſpondenz anbieten: aber ich kann nicht. Das Erſte und Letzte bei meinen nun in die Ewigkeit ſich ſpinnen- den Unpäßlichkeiten iſt immer, nicht die Feder auf dem Papier können kritzen laſſen. Dabei habe ich zwiſchen zwanzig und dreißig Korreſpondenten, die immer alle etwas von mir wol- len. Ich war eigentlich dieſen Winter nicht beſonders anders
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kein Menſch in der Welt iſt ſo von Ihrem Talent zum Schrei-
ben eingenommen, als ich: und darauf habe ich den größten
Stolz; weil ich mir einbilde, ich verſtehe dies ganz beſonders.
Feder und Zunge aber bleiben bei Ihnen in der Scheide!
Ganz mörderhaft; das will ich Ihnen beweiſen. Ich, habe
das größtmögliche Talent zum Leben: das finden auch Sie
in dem wenigen, was Sie im ſchweizeriſchen Muſeum von
mir laſen; einen ſolchen Strom hemmen, iſt nur ihn höher
herabfallen und brauſen machen; gelebt, gefloſſen wird immer:
wenn auch unmuſikaliſch, krank, und ſchmerzhaft. Sie, haben
das größte Schreibetalent; Sie vermögen nämlich das Leben
unter allen Geſtalten nach Ihrer Wahl aus der Feder
aufſteigen zu laſſen; geſchieht das aber nicht; ſo geſchieht es
auch nicht unterbrochen. Das größte Talent verſteinert in ſei-
ner Schale; Tauſende kommen um den ſchönſten Genuß: ſich
bewundernd zu fernerem Leben und Leiſten anregen zu laſſen:
Sie um Ihr wirklichſtes Leben: und ich um einen Haupt-
triumph! (Ich eſſe Semmel mit vortrefflichſter Sardellenbut-
ter während ich Ihnen ſchreibe.) Kann ich gar nichts über
Sie vermögen? Wollen Sie gar nicht ſchreiben, nichts? Auch
keine Briefe? In denen ſich unvermuthet, ungeſucht — von
Ihrer Seite, mein’ ich — Schätze auffinden ließen? Ich würde
Ihnen Korreſpondenz anbieten: aber ich kann nicht. Das
Erſte und Letzte bei meinen nun in die Ewigkeit ſich ſpinnen-
den Unpäßlichkeiten iſt immer, nicht die Feder auf dem Papier
können kritzen laſſen. Dabei habe ich zwiſchen zwanzig und
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len. Ich war eigentlich dieſen Winter nicht beſonders anders
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/454>, abgerufen am 22.11.2024.
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