Freitag Nachmittag 6 Uhr vorbei, schneeig, hell, etwas blau am Himmel, den 9. April 1812.
Sittliche Menschen, die keine Narren sind, gestellt wie wir (das bischen Modifikation rechne ich nicht), werden rein vom Tod berührt. Ich habe mich längst gewundert, keinen solchen Brief von Ihnen zu erhalten; die Gründe dieses Wun- ders und meiner Behauptung, sind zu oft, zu lange darge- legt in allen meinen Briefen an Sie! "Grau in Grau." Dies sind meine Worte schon vor Jahren an Varnhagen. So sollen die frischesten, biblischten, ich meine frömmsten, le- bendigsten, Gemüther ausdauren müssen? Mir mir ist es nur noch schrecklicher! Sie wissen, wo ich mit meinem Verge- hen, meinem Verzweiflen hielt: nun hat gränzenlose Angst, und Sorge den Fuß auf mich gesetzt. Angst vor Excessen -- von denen welche, einige, vorfallen; und Sorge, wie ich es nur bestreiten soll. Diese beiden niedrigsten Affekte, oder was es sonst ist, steht meine Seele, wie sie ist, lebendig nicht aus; sie schrollt in Unthätigkeit zurück, und dies nur fühl' ich. Die edlern Klagen, das gerechte Vermissen, schweigen; und wenn ich auch jetzt für Ruhe, Glück und Seligkeit dem Himmel verpfände, so weiß ich von allem doch wie es ist. Wie mir ist, ist keinem Gefangenen, und keinem König im übelsten Zustand; entwickelt, dies nur mündlich! Ich habe einen Kom- missair und einen Bedienten als Einquartierung; der Herr aber durch das größte Ungefähr wohnt wo anders! Reines Glück, welches sich in jeder Viertelstunde ändern kann.
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Freitag Nachmittag 6 Uhr vorbei, ſchneeig, hell, etwas blau am Himmel, den 9. April 1812.
Sittliche Menſchen, die keine Narren ſind, geſtellt wie wir (das bischen Modifikation rechne ich nicht), werden rein vom Tod berührt. Ich habe mich längſt gewundert, keinen ſolchen Brief von Ihnen zu erhalten; die Gründe dieſes Wun- ders und meiner Behauptung, ſind zu oft, zu lange darge- legt in allen meinen Briefen an Sie! „Grau in Grau.“ Dies ſind meine Worte ſchon vor Jahren an Varnhagen. So ſollen die friſcheſten, bibliſchten, ich meine frömmſten, le- bendigſten, Gemüther ausdauren müſſen? Mir mir iſt es nur noch ſchrecklicher! Sie wiſſen, wo ich mit meinem Verge- hen, meinem Verzweiflen hielt: nun hat gränzenloſe Angſt, und Sorge den Fuß auf mich geſetzt. Angſt vor Exceſſen — von denen welche, einige, vorfallen; und Sorge, wie ich es nur beſtreiten ſoll. Dieſe beiden niedrigſten Affekte, oder was es ſonſt iſt, ſteht meine Seele, wie ſie iſt, lebendig nicht aus; ſie ſchrollt in Unthätigkeit zurück, und dies nur fühl’ ich. Die edlern Klagen, das gerechte Vermiſſen, ſchweigen; und wenn ich auch jetzt für Ruhe, Glück und Seligkeit dem Himmel verpfände, ſo weiß ich von allem doch wie es iſt. Wie mir iſt, iſt keinem Gefangenen, und keinem König im übelſten Zuſtand; entwickelt, dies nur mündlich! Ich habe einen Kom- miſſair und einen Bedienten als Einquartierung; der Herr aber durch das größte Ungefähr wohnt wo anders! Reines Glück, welches ſich in jeder Viertelſtunde ändern kann.
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An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Freitag Nachmittag 6 Uhr vorbei, ſchneeig, hell,
etwas blau am Himmel, den 9. April 1812.
Sittliche Menſchen, die keine Narren ſind, geſtellt wie
wir (das bischen Modifikation rechne ich nicht), werden rein
vom Tod berührt. Ich habe mich längſt gewundert, keinen
ſolchen Brief von Ihnen zu erhalten; die Gründe dieſes Wun-
ders und meiner Behauptung, ſind zu oft, zu lange darge-
legt in allen meinen Briefen an Sie! „Grau in Grau.“
Dies ſind meine Worte ſchon vor Jahren an Varnhagen.
So ſollen die friſcheſten, bibliſchten, ich meine frömmſten, le-
bendigſten, Gemüther ausdauren müſſen? Mir mir iſt es
nur noch ſchrecklicher! Sie wiſſen, wo ich mit meinem Verge-
hen, meinem Verzweiflen hielt: nun hat gränzenloſe Angſt,
und Sorge den Fuß auf mich geſetzt. Angſt vor Exceſſen —
von denen welche, einige, vorfallen; und Sorge, wie ich es
nur beſtreiten ſoll. Dieſe beiden niedrigſten Affekte, oder was
es ſonſt iſt, ſteht meine Seele, wie ſie iſt, lebendig nicht aus;
ſie ſchrollt in Unthätigkeit zurück, und dies nur fühl’ ich. Die
edlern Klagen, das gerechte Vermiſſen, ſchweigen; und wenn
ich auch jetzt für Ruhe, Glück und Seligkeit dem Himmel
verpfände, ſo weiß ich von allem doch wie es iſt. Wie mir
iſt, iſt keinem Gefangenen, und keinem König im übelſten
Zuſtand; entwickelt, dies nur mündlich! Ich habe einen Kom-
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aber durch das größte Ungefähr wohnt wo anders! Reines
Glück, welches ſich in jeder Viertelſtunde ändern kann.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/45>, abgerufen am 21.11.2024.
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