näher bringt. Warum läßt er sich so sehr bitten? Oder, ist's eine selbstthätige Arbeit, ein Weiterschreiten, das Beten, so ist's das Denken auch: und dem lieben Gott gewiß lieb! Es ist überhaupt kindisch -- meinen besten Menschen kann ich diesen Gedanken nicht als ein Geheimniß hehlen! -- vom lieben Gott zu sprechen, und den anders, als in der Person der Vernunft und Güte in unsere Angelegenheiten einzuführen. Wir sind gezwungen, einen höheren, einen höchsten Ver- nunftgeist, der sich und alles versteht, anzunehmen: das angst- und entzückenfähige, helle, für's Licht der Erde blinde Herz bedarf eines Vaters, an dessen Hand es sich schmiegt. Eben weil wir ihn nicht begreifen und verstehen, und er in allem, was begriffen werden kann, nicht zu fassen über uns steht: und ewig legen wir seinem Urtheil, seinen Absichten unsern Maßstab an; den höchsten, den er uns gab, das ist Vernunft und liebliche Güte; ein Mitgefühl für Andere, ein Stückchen Persönlichkeit, in ihrer Persönlichkeit; durch Vernunft und Mitgefühl wissen wir von einander, und verkehren wir mit einander. Dies hat uns Gott verliehen. An den beiden En- den, Entzücken und Verzweiflung: an beiden Enden einen ge- dankenlosen elan; Gebet! Den können wir aber nicht ma- chen: sonst ist's ein Bitten um dies und jenes; welches ich kindisch den ganzen Tag exekutire; aber schon weiß, was ich davon halte. Innere Erleuchtungen, Wunder, alles ist möglich; mir sind sie nicht fremd, ich erwarte sie immer: und glaube sie ehrlichen Menschen. Sie müssen wissen, wen Sie vor sich haben, lieber Astolf: es war mir Bedürfniß, Ihnen zu sagen, wie ich denke, nach dem, was Sie mir vom höchsten innren
näher bringt. Warum läßt er ſich ſo ſehr bitten? Oder, iſt’s eine ſelbſtthätige Arbeit, ein Weiterſchreiten, das Beten, ſo iſt’s das Denken auch: und dem lieben Gott gewiß lieb! Es iſt überhaupt kindiſch — meinen beſten Menſchen kann ich dieſen Gedanken nicht als ein Geheimniß hehlen! — vom lieben Gott zu ſprechen, und den anders, als in der Perſon der Vernunft und Güte in unſere Angelegenheiten einzuführen. Wir ſind gezwungen, einen höheren, einen höchſten Ver- nunftgeiſt, der ſich und alles verſteht, anzunehmen: das angſt- und entzückenfähige, helle, für’s Licht der Erde blinde Herz bedarf eines Vaters, an deſſen Hand es ſich ſchmiegt. Eben weil wir ihn nicht begreifen und verſtehen, und er in allem, was begriffen werden kann, nicht zu faſſen über uns ſteht: und ewig legen wir ſeinem Urtheil, ſeinen Abſichten unſern Maßſtab an; den höchſten, den er uns gab, das iſt Vernunft und liebliche Güte; ein Mitgefühl für Andere, ein Stückchen Perſönlichkeit, in ihrer Perſönlichkeit; durch Vernunft und Mitgefühl wiſſen wir von einander, und verkehren wir mit einander. Dies hat uns Gott verliehen. An den beiden En- den, Entzücken und Verzweiflung: an beiden Enden einen ge- dankenloſen élan; Gebet! Den können wir aber nicht ma- chen: ſonſt iſt’s ein Bitten um dies und jenes; welches ich kindiſch den ganzen Tag exekutire; aber ſchon weiß, was ich davon halte. Innere Erleuchtungen, Wunder, alles iſt möglich; mir ſind ſie nicht fremd, ich erwarte ſie immer: und glaube ſie ehrlichen Menſchen. Sie müſſen wiſſen, wen Sie vor ſich haben, lieber Aſtolf: es war mir Bedürfniß, Ihnen zu ſagen, wie ich denke, nach dem, was Sie mir vom höchſten innren
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näher bringt. Warum läßt er ſich ſo ſehr bitten? Oder,
iſt’s eine ſelbſtthätige Arbeit, ein Weiterſchreiten, das Beten,
ſo iſt’s das Denken auch: und dem lieben Gott gewiß lieb!
Es iſt überhaupt kindiſch — meinen beſten Menſchen kann
ich dieſen Gedanken nicht als ein Geheimniß hehlen! — vom
lieben Gott zu ſprechen, und den anders, als in der Perſon
der Vernunft und Güte in unſere Angelegenheiten einzuführen.
Wir ſind gezwungen, einen höheren, einen höchſten Ver-
nunftgeiſt, der ſich und alles verſteht, anzunehmen: das angſt-
und entzückenfähige, helle, für’s Licht der Erde blinde Herz
bedarf eines Vaters, an deſſen Hand es ſich ſchmiegt. Eben
weil wir ihn nicht begreifen und verſtehen, und er in allem,
was begriffen werden kann, nicht zu faſſen über uns ſteht:
und ewig legen wir ſeinem Urtheil, ſeinen Abſichten unſern
Maßſtab an; den höchſten, den er uns gab, das iſt Vernunft
und liebliche Güte; ein Mitgefühl für Andere, ein Stückchen
Perſönlichkeit, in ihrer Perſönlichkeit; durch Vernunft und
Mitgefühl wiſſen wir von einander, und verkehren wir mit
einander. Dies hat uns Gott verliehen. An den beiden En-
den, Entzücken und Verzweiflung: an beiden Enden einen ge-
dankenloſen élan; Gebet! Den können wir aber nicht ma-
chen: ſonſt iſt’s ein Bitten um dies und jenes; welches ich
kindiſch den ganzen Tag exekutire; aber ſchon weiß, was ich
davon halte. Innere Erleuchtungen, Wunder, alles iſt möglich;
mir ſind ſie nicht fremd, ich erwarte ſie immer: und glaube
ſie ehrlichen Menſchen. Sie müſſen wiſſen, wen Sie vor ſich
haben, lieber Aſtolf: es war mir Bedürfniß, Ihnen zu ſagen,
wie ich denke, nach dem, was Sie mir vom höchſten innren
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/449>, abgerufen am 22.11.2024.
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