die grünen Blätter aufgebrochen waren: wie das ganze obere Dach der Laube. Dabei heizt man doch frisch ein, und hat Winterabende; unerträgliches Wetter, und mir äußerst schäd- liches: weil man in nichts mehr als in Nebel lebt. Dies das Datum.
Ich habe wohl Ihren Brief in Frankfurt erhalten, der mir sagte, daß Elischen Reymann todt sei; das Kind war ein Mensch: und mir gestorben wie ein erwachsener. Eine feine Seele voller Rücksichten. Nichts liebte es so sehr, als Grünes; das Freie, den Garten, Blumen. Und mit emotionirtem Er- röthen erzählte es mir am liebsten von des Vaters Gut, und Schloß, und Garten; und lud mich dahin: glaubte fest, ich müsse dahin mit. Ich denke an dieses verstorbene Kind wie an andere verstorbene Freunde: es lebt noch mit mir. Ich bedaure nicht, daß es nicht mehr lebt; obgleich mich sein Tod sehr traf. Diesen Grabstein wollt' ich ihm bei Ihnen setzen! Schreiben, sehr brave Freundin, kann ich auch heute, nach einem Jahre, nicht. Es war ein gestörtes: voller kleiner Rei- sen, kleiner Bekanntschaften; kleinem Einrichtungsungemach; mit großem von jeder Erdenart drunter. (Eben jetzt ärgert' ich mich schwer, und habe auch den Faden, wovon ich die- sen Brief weben wollte, in völliger Nervenzerrüttung -- ich nenn' es immer les nerfs renverses -- verloren.) So wie wir uns sehen! soll alles herauskommen! und gleich so, als hätten wir uns ununterbrochen gesehen. Ging es ja, als wir uns zum erstenmal sahen, und noch gar nicht gesehen hatten. Schreiben nur kann ich nicht: ohne das Unendliche zu schrei- ben; besonders da ich noch eine gezwungene nach allen Seiten
die grünen Blätter aufgebrochen waren: wie das ganze obere Dach der Laube. Dabei heizt man doch friſch ein, und hat Winterabende; unerträgliches Wetter, und mir äußerſt ſchäd- liches: weil man in nichts mehr als in Nebel lebt. Dies das Datum.
Ich habe wohl Ihren Brief in Frankfurt erhalten, der mir ſagte, daß Elischen Reymann todt ſei; das Kind war ein Menſch: und mir geſtorben wie ein erwachſener. Eine feine Seele voller Rückſichten. Nichts liebte es ſo ſehr, als Grünes; das Freie, den Garten, Blumen. Und mit emotionirtem Er- röthen erzählte es mir am liebſten von des Vaters Gut, und Schloß, und Garten; und lud mich dahin: glaubte feſt, ich müſſe dahin mit. Ich denke an dieſes verſtorbene Kind wie an andere verſtorbene Freunde: es lebt noch mit mir. Ich bedaure nicht, daß es nicht mehr lebt; obgleich mich ſein Tod ſehr traf. Dieſen Grabſtein wollt’ ich ihm bei Ihnen ſetzen! Schreiben, ſehr brave Freundin, kann ich auch heute, nach einem Jahre, nicht. Es war ein geſtörtes: voller kleiner Rei- ſen, kleiner Bekanntſchaften; kleinem Einrichtungsungemach; mit großem von jeder Erdenart drunter. (Eben jetzt ärgert’ ich mich ſchwer, und habe auch den Faden, wovon ich die- ſen Brief weben wollte, in völliger Nervenzerrüttung — ich nenn’ es immer les nerfs renversés — verloren.) So wie wir uns ſehen! ſoll alles herauskommen! und gleich ſo, als hätten wir uns ununterbrochen geſehen. Ging es ja, als wir uns zum erſtenmal ſahen, und noch gar nicht geſehen hatten. Schreiben nur kann ich nicht: ohne das Unendliche zu ſchrei- ben; beſonders da ich noch eine gezwungene nach allen Seiten
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die grünen Blätter aufgebrochen waren: wie das ganze obere
Dach der Laube. Dabei heizt man doch friſch ein, und hat
Winterabende; unerträgliches Wetter, und mir äußerſt ſchäd-
liches: weil man in nichts mehr als in Nebel lebt. Dies
das Datum.
Ich habe wohl Ihren Brief in Frankfurt erhalten, der
mir ſagte, daß Elischen Reymann todt ſei; das Kind war ein
Menſch: und mir geſtorben wie ein erwachſener. Eine feine
Seele voller Rückſichten. Nichts liebte es ſo ſehr, als Grünes;
das Freie, den Garten, Blumen. Und mit emotionirtem Er-
röthen erzählte es mir am liebſten von des Vaters Gut, und
Schloß, und Garten; und lud mich dahin: glaubte feſt, ich
müſſe dahin mit. Ich denke an dieſes verſtorbene Kind wie
an andere verſtorbene Freunde: es lebt noch mit mir. Ich
bedaure nicht, daß es nicht mehr lebt; obgleich mich ſein Tod
ſehr traf. Dieſen Grabſtein wollt’ ich ihm bei Ihnen ſetzen!
Schreiben, ſehr brave Freundin, kann ich auch heute, nach
einem Jahre, nicht. Es war ein geſtörtes: voller kleiner Rei-
ſen, kleiner Bekanntſchaften; kleinem Einrichtungsungemach;
mit großem von jeder Erdenart drunter. (Eben jetzt ärgert’
ich mich ſchwer, und habe auch den Faden, wovon ich die-
ſen Brief weben wollte, in völliger Nervenzerrüttung — ich
nenn’ es immer les nerfs renversés — verloren.) So wie
wir uns ſehen! ſoll alles herauskommen! und gleich ſo, als
hätten wir uns ununterbrochen geſehen. Ging es ja, als wir
uns zum erſtenmal ſahen, und noch gar nicht geſehen hatten.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/439>, abgerufen am 22.12.2024.
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