allen Zeiten entstehen. Tragen wir nicht alles in der ewigen, verliehenen Seele? Unendliches können wir erfahren! und kein Gehäge, kein Bollwerk, kein refuge, von uns erfunden, wird halten. Sehen Sie, wenn ich anfange zu schreiben, hör' ich gar nicht mehr auf; das nenne ich vom Schicksal nicht mehr sprechen. Drei Seiten!
Jedes Wort, welches ich nicht französisch schreibe, geht mir durch die Seele, weil es dann nicht an Mama gerichtet scheint: Sie übersetzen ihr aber alles! Dies mit meinen Brie- fen vorgenommen, ist das größte exercice, deutschere, konfu- sere giebt es nicht; Bärstecher hilft! --
Adieu, lieber Graf! Nun schreibe ich ehstens Mad. Schle- gel. Das Blut steigt mir so nach dem Kopf. Mir müssen Sie Schweigen nach entsetzlich Plaudern nicht übel nehmen! Die Fervaquer haben meine treuste Liebe und Freundschaft für's Leben! R. Ihren Brief goutirte ich sehr! Mehr solche! Schreibt Wilhelm? Mahlt Mama? Ist sie wohl? nach Karlsbad?
An Karoline von Woltmann, in Prag.
Karlsruhe, den 7. Januar 1817. Trübes windiges, warmes Wetter.
Alles Gras ist raus: gestern setzten die Leute schon ihre Ertofflen in die Erde: in Markgraf Ludwigs Garten kommen die Spargel schon aus der Erde: ich ging gestern vor einer Laube vorbei, die mir grünlich schien; ich trat näher, und es war Jelängerjelieber, wo ich mir einen Zweig abriß, an dem
allen Zeiten entſtehen. Tragen wir nicht alles in der ewigen, verliehenen Seele? Unendliches können wir erfahren! und kein Gehäge, kein Bollwerk, kein refuge, von uns erfunden, wird halten. Sehen Sie, wenn ich anfange zu ſchreiben, hör’ ich gar nicht mehr auf; das nenne ich vom Schickſal nicht mehr ſprechen. Drei Seiten!
Jedes Wort, welches ich nicht franzöſiſch ſchreibe, geht mir durch die Seele, weil es dann nicht an Mama gerichtet ſcheint: Sie überſetzen ihr aber alles! Dies mit meinen Brie- fen vorgenommen, iſt das größte exercice, deutſchere, konfu- ſere giebt es nicht; Bärſtecher hilft! —
Adieu, lieber Graf! Nun ſchreibe ich ehſtens Mad. Schle- gel. Das Blut ſteigt mir ſo nach dem Kopf. Mir müſſen Sie Schweigen nach entſetzlich Plaudern nicht übel nehmen! Die Fervaquer haben meine treuſte Liebe und Freundſchaft für’s Leben! R. Ihren Brief goutirte ich ſehr! Mehr ſolche! Schreibt Wilhelm? Mahlt Mama? Iſt ſie wohl? nach Karlsbad?
An Karoline von Woltmann, in Prag.
Karlsruhe, den 7. Januar 1817. Trübes windiges, warmes Wetter.
Alles Gras iſt raus: geſtern ſetzten die Leute ſchon ihre Ertofflen in die Erde: in Markgraf Ludwigs Garten kommen die Spargel ſchon aus der Erde: ich ging geſtern vor einer Laube vorbei, die mir grünlich ſchien; ich trat näher, und es war Jelängerjelieber, wo ich mir einen Zweig abriß, an dem
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allen Zeiten entſtehen. Tragen wir nicht alles in der ewigen,
verliehenen Seele? Unendliches können wir erfahren! und
kein Gehäge, kein Bollwerk, kein refuge, von uns erfunden,
wird halten. Sehen Sie, wenn ich anfange zu ſchreiben, hör’
ich gar nicht mehr auf; das nenne ich vom Schickſal nicht
mehr ſprechen. Drei Seiten!
Jedes Wort, welches ich nicht franzöſiſch ſchreibe, geht
mir durch die Seele, weil es dann nicht an Mama gerichtet
ſcheint: Sie überſetzen ihr aber alles! Dies mit meinen Brie-
fen vorgenommen, iſt das größte exercice, deutſchere, konfu-
ſere giebt es nicht; Bärſtecher hilft! —
Adieu, lieber Graf! Nun ſchreibe ich ehſtens Mad. Schle-
gel. Das Blut ſteigt mir ſo nach dem Kopf. Mir müſſen
Sie Schweigen nach entſetzlich Plaudern nicht übel nehmen!
Die Fervaquer haben meine treuſte Liebe und Freundſchaft
für’s Leben! R. Ihren Brief goutirte ich ſehr! Mehr
ſolche! Schreibt Wilhelm? Mahlt Mama? Iſt ſie wohl?
nach Karlsbad?
An Karoline von Woltmann, in Prag.
Karlsruhe, den 7. Januar 1817. Trübes windiges,
warmes Wetter.
Alles Gras iſt raus: geſtern ſetzten die Leute ſchon ihre
Ertofflen in die Erde: in Markgraf Ludwigs Garten kommen
die Spargel ſchon aus der Erde: ich ging geſtern vor einer
Laube vorbei, die mir grünlich ſchien; ich trat näher, und es
war Jelängerjelieber, wo ich mir einen Zweig abriß, an dem
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/438>, abgerufen am 22.12.2024.
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