sein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von seiner Gesinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh- rern Mitgliedern in einer Familie, lästig, leer und affektirt: schickt sich nur gut bei Fürsten, wo alles in's Große und Feier- liche getrieben werden kann, und ohnehin eine schöne Stufe höher steht, als im wirklichen, ich möchte sagen, gemeinen Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein Geburtstag ist; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor Pfingsten geboren war, und so nahm ich, seit nur wenigen Jahren, dieses grüne Fest in meinen Gedanken dafür an. Aber ich kann sagen bloß aus und in Leidwesen: als mir die Zeit anfing zu sehr zu schwinden, und mir doch ohne Leben die Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürsten, dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich selbst vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu schlie- ßen hatte, in der so genannten erworbenen Vernünftigkeit, eigentlich aber Muthgebrochenheit. So steht's mit dem Ge- burtstag; so wird der von den andern Tagen angesehen; und diese mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da- mit abgeben. --
An Wilhelm Neumann, in Koblenz.
Karlsruhe, den 23. Juli 1816.
Karlsruhe ist ein schöner unbequemer Ort: die Unbequem- lichkeit liegt in der Prätension eines großen, ohne dessen Res- sourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Beschränkt-
ſein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von ſeiner Geſinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh- rern Mitgliedern in einer Familie, läſtig, leer und affektirt: ſchickt ſich nur gut bei Fürſten, wo alles in’s Große und Feier- liche getrieben werden kann, und ohnehin eine ſchöne Stufe höher ſteht, als im wirklichen, ich möchte ſagen, gemeinen Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein Geburtstag iſt; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor Pfingſten geboren war, und ſo nahm ich, ſeit nur wenigen Jahren, dieſes grüne Feſt in meinen Gedanken dafür an. Aber ich kann ſagen bloß aus und in Leidweſen: als mir die Zeit anfing zu ſehr zu ſchwinden, und mir doch ohne Leben die Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürſten, dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich ſelbſt vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu ſchlie- ßen hatte, in der ſo genannten erworbenen Vernünftigkeit, eigentlich aber Muthgebrochenheit. So ſteht’s mit dem Ge- burtstag; ſo wird der von den andern Tagen angeſehen; und dieſe mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da- mit abgeben. —
An Wilhelm Neumann, in Koblenz.
Karlsruhe, den 23. Juli 1816.
Karlsruhe iſt ein ſchöner unbequemer Ort: die Unbequem- lichkeit liegt in der Prätenſion eines großen, ohne deſſen Reſ- ſourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Beſchränkt-
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ſein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von ſeiner
Geſinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh-
rern Mitgliedern in einer Familie, läſtig, leer und affektirt:
ſchickt ſich nur gut bei Fürſten, wo alles in’s Große und Feier-
liche getrieben werden kann, und ohnehin eine ſchöne Stufe
höher ſteht, als im wirklichen, ich möchte ſagen, gemeinen
Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein
Geburtstag iſt; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor
Pfingſten geboren war, und ſo nahm ich, ſeit nur wenigen
Jahren, dieſes grüne Feſt in meinen Gedanken dafür an. Aber
ich kann ſagen bloß aus und in Leidweſen: als mir die Zeit
anfing zu ſehr zu ſchwinden, und mir doch ohne Leben die
Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürſten,
dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich ſelbſt
vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu ſchlie-
ßen hatte, in der ſo genannten erworbenen Vernünftigkeit,
eigentlich aber Muthgebrochenheit. So ſteht’s mit dem Ge-
burtstag; ſo wird der von den andern Tagen angeſehen; und
dieſe mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da-
mit abgeben. —
An Wilhelm Neumann, in Koblenz.
Karlsruhe, den 23. Juli 1816.
Karlsruhe iſt ein ſchöner unbequemer Ort: die Unbequem-
lichkeit liegt in der Prätenſion eines großen, ohne deſſen Reſ-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/417>, abgerufen am 22.12.2024.
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