bildete oder doch neugestellte Worte freuten mich in Ihrem Aufsatz! die ich eben so gebraucht hatte: ich zeigte sie V. gleich. Adieu, lieber Freund, tausend schöne Grüße an Mad. Troxler in's Grüne hinein!
R.
Frankfurt a. M. Mittwoch den 26. Juni 1816.
-- So lebe ich immer provisorisch, und schlecht in allen Einrichtungen, und in Hinsicht des Umgangs. Doch bin ich seit einigen Tagen über alles dies in mir sehr revolutionirt! d. h. beruhigt: denn in einem Zimmer sitze ich auch: ohne Angst. Ist gutes Wetter, sehe ich und geh' ich in's Grüne. Was ich will, und brauche, hätte ich vor der Hand nirgends: und was mich so sehr peinigte, daß ich mein jetziges Leben nach meiner Vergangenheit, d. h. mehr noch nach den Wün- schen derselben, als nach dem wirklichen Leben, was ich in ihr führte, einrichten wollte, dahinter bin ich endlich, und plötzlich gekommen, das muß ich aufgeben. Es geht nicht. Also sitz' ich und sehe meinem eigenen Leben zu; gewissermaßen. Ich lebe es nicht: nur ganz innerlich. Ich weiß noch, wozu ich fähig war; und diese Fähigkeit müssen wir doch scheinbar, für die eigentlichste Bestimmung halten. Aber es ist nicht so! Wie Blüthen, und wie die meisten sogar, fallen wir, vom gro- ßen unbekannten Winde ab: obgleich wir hätten Frucht wer- den können. Die Menschenblüthe fühlt die verletzende Vernich- tung stark; hingegen kann sie auch über sich selbst reflektiren: und das thue ich. Der Mensch besteht nur aus seinem Ka- rakter: das ist er, und das ist sein Schicksal; Karakter ist nur Muth: Muth, der unsern einmaligen Gaben beigegeben ist;
bildete oder doch neugeſtellte Worte freuten mich in Ihrem Aufſatz! die ich eben ſo gebraucht hatte: ich zeigte ſie V. gleich. Adieu, lieber Freund, tauſend ſchöne Grüße an Mad. Troxler in’s Grüne hinein!
R.
Frankfurt a. M. Mittwoch den 26. Juni 1816.
— So lebe ich immer proviſoriſch, und ſchlecht in allen Einrichtungen, und in Hinſicht des Umgangs. Doch bin ich ſeit einigen Tagen über alles dies in mir ſehr revolutionirt! d. h. beruhigt: denn in einem Zimmer ſitze ich auch: ohne Angſt. Iſt gutes Wetter, ſehe ich und geh’ ich in’s Grüne. Was ich will, und brauche, hätte ich vor der Hand nirgends: und was mich ſo ſehr peinigte, daß ich mein jetziges Leben nach meiner Vergangenheit, d. h. mehr noch nach den Wün- ſchen derſelben, als nach dem wirklichen Leben, was ich in ihr führte, einrichten wollte, dahinter bin ich endlich, und plötzlich gekommen, das muß ich aufgeben. Es geht nicht. Alſo ſitz’ ich und ſehe meinem eigenen Leben zu; gewiſſermaßen. Ich lebe es nicht: nur ganz innerlich. Ich weiß noch, wozu ich fähig war; und dieſe Fähigkeit müſſen wir doch ſcheinbar, für die eigentlichſte Beſtimmung halten. Aber es iſt nicht ſo! Wie Blüthen, und wie die meiſten ſogar, fallen wir, vom gro- ßen unbekannten Winde ab: obgleich wir hätten Frucht wer- den können. Die Menſchenblüthe fühlt die verletzende Vernich- tung ſtark; hingegen kann ſie auch über ſich ſelbſt reflektiren: und das thue ich. Der Menſch beſteht nur aus ſeinem Ka- rakter: das iſt er, und das iſt ſein Schickſal; Karakter iſt nur Muth: Muth, der unſern einmaligen Gaben beigegeben iſt;
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bildete oder doch neugeſtellte Worte freuten mich in Ihrem
Aufſatz! die ich eben ſo gebraucht hatte: ich zeigte ſie V. gleich.
Adieu, lieber Freund, tauſend ſchöne Grüße an Mad. Troxler
in’s Grüne hinein!
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Frankfurt a. M. Mittwoch den 26. Juni 1816.
— So lebe ich immer proviſoriſch, und ſchlecht in allen
Einrichtungen, und in Hinſicht des Umgangs. Doch bin ich
ſeit einigen Tagen über alles dies in mir ſehr revolutionirt!
d. h. beruhigt: denn in einem Zimmer ſitze ich auch: ohne
Angſt. Iſt gutes Wetter, ſehe ich und geh’ ich in’s Grüne.
Was ich will, und brauche, hätte ich vor der Hand nirgends:
und was mich ſo ſehr peinigte, daß ich mein jetziges Leben
nach meiner Vergangenheit, d. h. mehr noch nach den Wün-
ſchen derſelben, als nach dem wirklichen Leben, was ich in ihr
führte, einrichten wollte, dahinter bin ich endlich, und plötzlich
gekommen, das muß ich aufgeben. Es geht nicht. Alſo
ſitz’ ich und ſehe meinem eigenen Leben zu; gewiſſermaßen.
Ich lebe es nicht: nur ganz innerlich. Ich weiß noch, wozu
ich fähig war; und dieſe Fähigkeit müſſen wir doch ſcheinbar,
für die eigentlichſte Beſtimmung halten. Aber es iſt nicht ſo!
Wie Blüthen, und wie die meiſten ſogar, fallen wir, vom gro-
ßen unbekannten Winde ab: obgleich wir hätten Frucht wer-
den können. Die Menſchenblüthe fühlt die verletzende Vernich-
tung ſtark; hingegen kann ſie auch über ſich ſelbſt reflektiren:
und das thue ich. Der Menſch beſteht nur aus ſeinem Ka-
rakter: das iſt er, und das iſt ſein Schickſal; Karakter iſt nur
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/415>, abgerufen am 22.12.2024.
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