und den ganzen Kreislauf des Leidens bewegt, wie ein erstes und geschäftiges Rad, wie vom klügsten Meister dazu bestellt; und man nun endlich weiß; du bist alt; das ist alt; und Plage war die ganze Jugend; nun ist sie aus: und auch so kommt es mit dem Leben? ??? -- -- -- Dann wird es doch wieder anders; ein Wetter hat guten Einfluß, hebt den Kör- per, erlaubt ihm Luft und Bewegung, mischt ihn auf; ein klei- nes Ereigniß erfreut, zerstreut; und wir dienen uns und dem Schicksal von neuem! Schon einige solche Schreckensfrühlinge hab' ich erlebt: die ersten schon vor mehreren Jahren; rein durch Krankheit, deren Schwinden mir noch einen Wollenstoff -- so fühlt' ich es -- zwischen meinen Sinnen, und der hol- den heilenden Natur fest vorbreitete, und mir die Nerven strammte, lähmte, und widrig reibend reizte. Da war ich tief-unglücklich, weil ich wahre Verdammniß, eine andere, schlechte Natur, mit der meinen fühlen mußte. Ich fühlte es, jammerelend, nur: nennen kann ich es erst jetzt. Das war schrecklich: ganz übernatürlich entsetzlich! Mir war auch die- sen Frühling, als ich Ihnen neulich schrieb, furchtbar zu Mu- the, und Klagen, wie gesagt, wollten dem Herzen nicht mehr entströmen. Nun ist mir wieder viel besser. Ich gehe, empfinde das Wetter; gut und schlecht, aber doch natürlich; finde mich mit Menschen leichter und heiterer zusammen; ja, munter. Meine Schuld ist es nicht: ich befinde mich nur leidlicher; es ereignete sich manches für die Geselligkeit besser, das arge Wet- ter ließ nach, welches mich in einem leichten Gebäude, sowohl Wind als Sonne ausgesetzt, sehr plagte. Aber auch ich war thätig mit Einsehen, und habe wirklich gelernt, nicht auf dem
II. 26
und den ganzen Kreislauf des Leidens bewegt, wie ein erſtes und geſchäftiges Rad, wie vom klügſten Meiſter dazu beſtellt; und man nun endlich weiß; du biſt alt; das iſt alt; und Plage war die ganze Jugend; nun iſt ſie aus: und auch ſo kommt es mit dem Leben? ??? — — — Dann wird es doch wieder anders; ein Wetter hat guten Einfluß, hebt den Kör- per, erlaubt ihm Luft und Bewegung, miſcht ihn auf; ein klei- nes Ereigniß erfreut, zerſtreut; und wir dienen uns und dem Schickſal von neuem! Schon einige ſolche Schreckensfrühlinge hab’ ich erlebt: die erſten ſchon vor mehreren Jahren; rein durch Krankheit, deren Schwinden mir noch einen Wollenſtoff — ſo fühlt’ ich es — zwiſchen meinen Sinnen, und der hol- den heilenden Natur feſt vorbreitete, und mir die Nerven ſtrammte, lähmte, und widrig reibend reizte. Da war ich tief-unglücklich, weil ich wahre Verdammniß, eine andere, ſchlechte Natur, mit der meinen fühlen mußte. Ich fühlte es, jammerelend, nur: nennen kann ich es erſt jetzt. Das war ſchrecklich: ganz übernatürlich entſetzlich! Mir war auch die- ſen Frühling, als ich Ihnen neulich ſchrieb, furchtbar zu Mu- the, und Klagen, wie geſagt, wollten dem Herzen nicht mehr entſtrömen. Nun iſt mir wieder viel beſſer. Ich gehe, empfinde das Wetter; gut und ſchlecht, aber doch natürlich; finde mich mit Menſchen leichter und heiterer zuſammen; ja, munter. Meine Schuld iſt es nicht: ich befinde mich nur leidlicher; es ereignete ſich manches für die Geſelligkeit beſſer, das arge Wet- ter ließ nach, welches mich in einem leichten Gebäude, ſowohl Wind als Sonne ausgeſetzt, ſehr plagte. Aber auch ich war thätig mit Einſehen, und habe wirklich gelernt, nicht auf dem
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und den ganzen Kreislauf des Leidens bewegt, wie ein erſtes
und geſchäftiges Rad, wie vom klügſten Meiſter dazu beſtellt;
und man nun endlich weiß; du biſt alt; das iſt alt; und
Plage war die ganze Jugend; nun iſt ſie aus: und auch ſo
kommt es mit dem Leben? ??? — — — Dann wird es doch
wieder anders; ein Wetter hat guten Einfluß, hebt den Kör-
per, erlaubt ihm Luft und Bewegung, miſcht ihn auf; ein klei-
nes Ereigniß erfreut, zerſtreut; und wir dienen uns und dem
Schickſal von neuem! Schon einige ſolche Schreckensfrühlinge
hab’ ich erlebt: die erſten ſchon vor mehreren Jahren; rein
durch Krankheit, deren Schwinden mir noch einen Wollenſtoff
— ſo fühlt’ ich es — zwiſchen meinen Sinnen, und der hol-
den heilenden Natur feſt vorbreitete, und mir die Nerven
ſtrammte, lähmte, und widrig reibend reizte. Da war ich
tief-unglücklich, weil ich wahre Verdammniß, eine andere,
ſchlechte Natur, mit der meinen fühlen mußte. Ich fühlte es,
jammerelend, nur: nennen kann ich es erſt jetzt. Das war
ſchrecklich: ganz übernatürlich entſetzlich! Mir war auch die-
ſen Frühling, als ich Ihnen neulich ſchrieb, furchtbar zu Mu-
the, und Klagen, wie geſagt, wollten dem Herzen nicht mehr
entſtrömen. Nun iſt mir wieder viel beſſer. Ich gehe, empfinde
das Wetter; gut und ſchlecht, aber doch natürlich; finde mich
mit Menſchen leichter und heiterer zuſammen; ja, munter.
Meine Schuld iſt es nicht: ich befinde mich nur leidlicher; es
ereignete ſich manches für die Geſelligkeit beſſer, das arge Wet-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/409>, abgerufen am 28.11.2024.
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