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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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ist noch schön, wenn noch Wünsche, Verlangen, Sehnsucht in
uns rege gemacht werden kann, und wir es nur so vor uns
zu haben meinen, was uns beglücken könnte. Es ist schön,
wenn Frühling, Luft und Wetter, Horizonte, Lichter und
Scheine jene Gährung erregen, die uns zu peinigen vermeint,
aber auch, die schönsten Lebensbilder und alle Wünsche, alte
und neugeschaffene, in uns hervorruft, die das Herz nähren,
die Seele spannen, und den Geist beschäftigen (wenn auch
ohne die Ruhe des eigentlichen Genießens); und ein strenges
Bedürfniß, ja Bedingung des ganzen persönlichen Seins! Wie
ist es aber dann, wenn jene Bilder sich nicht mehr stellen wol-
len; weder in Erinnrung, noch in Phantasie für die leere Zu-
kunft; wenn Wünsche keinen Weg mehr finden, wo sie vor-
eilen können, und kein Lebensplan sich in dem ganzen Welt-
gewirr gestalten kann! einem das Herz wie unter einem gro-
ßen Grabstein hinter der Brust gepreßt ist; nicht lebendig
mehr; aber doch keiner andern Welt angehörig, und man
nichts mehr fühlt, als dieses Pressen und die Angst, wie es
anders, und vergeblich war; und auch so nicht wieder werden
kann. Wenn man dem Schicksal Recht giebt, obgleich man
unendlich von ihm beleidigt ist, und grad' in Kleinigkeiten:
und ganz müde ist, und meint, es ist genug: ich gab sie ja
auf, diese ganze Welt: ich kann sie gar ja nicht mehr erfas-
sen mit meinen Kräften, Wünschen, Bemühungen: nur der
Qual genug! Ruhe. Wenn sich eben dieser Zustand im Kör-
per abbildet; und der ohne Schmerz, aber in Widerspruch
oder Verwirrung ist, die sich wieder im Kopfe, als ein Sum-
mendes, Fremdes, Störendes, Plagendes, Schmerzloses, äußert,

und

iſt noch ſchön, wenn noch Wünſche, Verlangen, Sehnſucht in
uns rege gemacht werden kann, und wir es nur ſo vor uns
zu haben meinen, was uns beglücken könnte. Es iſt ſchön,
wenn Frühling, Luft und Wetter, Horizonte, Lichter und
Scheine jene Gährung erregen, die uns zu peinigen vermeint,
aber auch, die ſchönſten Lebensbilder und alle Wünſche, alte
und neugeſchaffene, in uns hervorruft, die das Herz nähren,
die Seele ſpannen, und den Geiſt beſchäftigen (wenn auch
ohne die Ruhe des eigentlichen Genießens); und ein ſtrenges
Bedürfniß, ja Bedingung des ganzen perſönlichen Seins! Wie
iſt es aber dann, wenn jene Bilder ſich nicht mehr ſtellen wol-
len; weder in Erinnrung, noch in Phantaſie für die leere Zu-
kunft; wenn Wünſche keinen Weg mehr finden, wo ſie vor-
eilen können, und kein Lebensplan ſich in dem ganzen Welt-
gewirr geſtalten kann! einem das Herz wie unter einem gro-
ßen Grabſtein hinter der Bruſt gepreßt iſt; nicht lebendig
mehr; aber doch keiner andern Welt angehörig, und man
nichts mehr fühlt, als dieſes Preſſen und die Angſt, wie es
anders, und vergeblich war; und auch ſo nicht wieder werden
kann. Wenn man dem Schickſal Recht giebt, obgleich man
unendlich von ihm beleidigt iſt, und grad’ in Kleinigkeiten:
und ganz müde iſt, und meint, es iſt genug: ich gab ſie ja
auf, dieſe ganze Welt: ich kann ſie gar ja nicht mehr erfaſ-
ſen mit meinen Kräften, Wünſchen, Bemühungen: nur der
Qual genug! Ruhe. Wenn ſich eben dieſer Zuſtand im Kör-
per abbildet; und der ohne Schmerz, aber in Widerſpruch
oder Verwirrung iſt, die ſich wieder im Kopfe, als ein Sum-
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[400/0408] iſt noch ſchön, wenn noch Wünſche, Verlangen, Sehnſucht in uns rege gemacht werden kann, und wir es nur ſo vor uns zu haben meinen, was uns beglücken könnte. Es iſt ſchön, wenn Frühling, Luft und Wetter, Horizonte, Lichter und Scheine jene Gährung erregen, die uns zu peinigen vermeint, aber auch, die ſchönſten Lebensbilder und alle Wünſche, alte und neugeſchaffene, in uns hervorruft, die das Herz nähren, die Seele ſpannen, und den Geiſt beſchäftigen (wenn auch ohne die Ruhe des eigentlichen Genießens); und ein ſtrenges Bedürfniß, ja Bedingung des ganzen perſönlichen Seins! Wie iſt es aber dann, wenn jene Bilder ſich nicht mehr ſtellen wol- len; weder in Erinnrung, noch in Phantaſie für die leere Zu- kunft; wenn Wünſche keinen Weg mehr finden, wo ſie vor- eilen können, und kein Lebensplan ſich in dem ganzen Welt- gewirr geſtalten kann! einem das Herz wie unter einem gro- ßen Grabſtein hinter der Bruſt gepreßt iſt; nicht lebendig mehr; aber doch keiner andern Welt angehörig, und man nichts mehr fühlt, als dieſes Preſſen und die Angſt, wie es anders, und vergeblich war; und auch ſo nicht wieder werden kann. Wenn man dem Schickſal Recht giebt, obgleich man unendlich von ihm beleidigt iſt, und grad’ in Kleinigkeiten: und ganz müde iſt, und meint, es iſt genug: ich gab ſie ja auf, dieſe ganze Welt: ich kann ſie gar ja nicht mehr erfaſ- ſen mit meinen Kräften, Wünſchen, Bemühungen: nur der Qual genug! Ruhe. Wenn ſich eben dieſer Zuſtand im Kör- per abbildet; und der ohne Schmerz, aber in Widerſpruch oder Verwirrung iſt, die ſich wieder im Kopfe, als ein Sum- mendes, Fremdes, Störendes, Plagendes, Schmerzloſes, äußert, und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/408>, abgerufen am 28.11.2024.