u. s. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hiesigen Di- plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle auf einem Klumpen; Gott, du hast's gesehen! Hier in Frank- furt habe ich mir überhaupt in der Einsamkeit und bei Goe- thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philosophie der Geschichte, sehr viel ausgedacht. Herder ist merkwürdig. Ganz weit, unbezähmt in seinen Ideen, in seinen Einfällen, Voraussetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogist für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er- scheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens Beschreibung! --
Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be- greift nicht, warum er dich nicht gesehen. So sind die Men- schen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber alles nicht helfen! Wir müssen Alle auf den Bettchen schla- fen, die wir uns machen. Publizisten, "Marquisinnen, Prin- zessinnen, Bauergretchen;" Leporello in Don Juan. --
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. Dienstag Morgen 9 Uhr den 24. Oktober 1815. Neblig, und Hoffnung zu schönem Wetter.
Nur wenige Zeit hab' ich, weil die Post geht, und gestern nahmen mir den Tag Barnekow's; und Abends war ich und besonders meine Augen zu schwach. -- Deinen Brief vom 18. erhielt ich gestern Mittag durch Otterst. bei Barnekow's, mit denen ich spaziren gewesen war, und eben speisen wollte. Fouche wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches sie
u. ſ. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hieſigen Di- plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle auf einem Klumpen; Gott, du haſt’s geſehen! Hier in Frank- furt habe ich mir überhaupt in der Einſamkeit und bei Goe- thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philoſophie der Geſchichte, ſehr viel ausgedacht. Herder iſt merkwürdig. Ganz weit, unbezähmt in ſeinen Ideen, in ſeinen Einfällen, Vorausſetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogiſt für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er- ſcheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens Beſchreibung! —
Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be- greift nicht, warum er dich nicht geſehen. So ſind die Men- ſchen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber alles nicht helfen! Wir müſſen Alle auf den Bettchen ſchla- fen, die wir uns machen. Publiziſten, „Marquiſinnen, Prin- zeſſinnen, Bauergretchen;“ Leporello in Don Juan. —
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. Dienstag Morgen 9 Uhr den 24. Oktober 1815. Neblig, und Hoffnung zu ſchönem Wetter.
Nur wenige Zeit hab’ ich, weil die Poſt geht, und geſtern nahmen mir den Tag Barnekow’s; und Abends war ich und beſonders meine Augen zu ſchwach. — Deinen Brief vom 18. erhielt ich geſtern Mittag durch Otterſt. bei Barnekow’s, mit denen ich ſpaziren geweſen war, und eben ſpeiſen wollte. Fouché wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches ſie
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u. ſ. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hieſigen Di-
plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle
auf einem Klumpen; Gott, du haſt’s geſehen! Hier in Frank-
furt habe ich mir überhaupt in der Einſamkeit und bei Goe-
thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philoſophie der
Geſchichte, ſehr viel ausgedacht. Herder iſt merkwürdig.
Ganz weit, unbezähmt in ſeinen Ideen, in ſeinen Einfällen,
Vorausſetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogiſt
für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er-
ſcheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens
Beſchreibung! —
Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be-
greift nicht, warum er dich nicht geſehen. So ſind die Men-
ſchen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber
alles nicht helfen! Wir müſſen Alle auf den Bettchen ſchla-
fen, die wir uns machen. Publiziſten, „Marquiſinnen, Prin-
zeſſinnen, Bauergretchen;“ Leporello in Don Juan. —
An Varnhagen, in Paris.
Frankfurt a. M. Dienstag Morgen 9 Uhr den 24. Oktober 1815.
Neblig, und Hoffnung zu ſchönem Wetter.
Nur wenige Zeit hab’ ich, weil die Poſt geht, und geſtern
nahmen mir den Tag Barnekow’s; und Abends war ich und
beſonders meine Augen zu ſchwach. — Deinen Brief vom 18.
erhielt ich geſtern Mittag durch Otterſt. bei Barnekow’s, mit
denen ich ſpaziren geweſen war, und eben ſpeiſen wollte.
Fouché wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches ſie
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/362>, abgerufen am 24.11.2024.
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