mein's krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da- bei dacht' ich an solchen Plan, an solch Opfer des Schick- sals; und laut schrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir sonst todt geblieben. Und zum erstenmal war Goethe feindlich für mich da. Solche Worte muß man nicht schreiben; er nicht. Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte selbst schon ge- blutet. Gewalt anthun ist nicht so arg. Sieh, so geht es mir. "Aus der Leidenschaft kann ich nicht;" im Gegentheil, das Herz wird schwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz, mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben muß; nicht weil du grade mein Freund bist; nein, weil du solch ein Freund sein kannst. Deine Empörung über Gentz ist richtig, nur den Zorn ist er nicht werth, der dir selbst scha- den kann. -- In mir hat er sich doch geirrt; weil kein Affe ein menschlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit zum Verstande. -- Ich gehe wo du magst und kannst: und hoffe mit dir noch auf deinen ersten Plan in Berlin: es freut mich, daß der Fürst in diesem Sinne an dich dachte. --
16. Oktober 1815.
-- Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hause; ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshaussaal mit un- eleganten gestiefelten Leuten, und Künstler; Flötenspieler, die ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme Hirteninstrument, zu kleinen Gesängen erschaffen: hetzen es zu großen Konvenienz-Konzerten: dann sang Mad. Graf gut; aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä- nisch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal schrie
II. 23
mein’s krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da- bei dacht’ ich an ſolchen Plan, an ſolch Opfer des Schick- ſals; und laut ſchrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir ſonſt todt geblieben. Und zum erſtenmal war Goethe feindlich für mich da. Solche Worte muß man nicht ſchreiben; er nicht. Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte ſelbſt ſchon ge- blutet. Gewalt anthun iſt nicht ſo arg. Sieh, ſo geht es mir. „Aus der Leidenſchaft kann ich nicht;“ im Gegentheil, das Herz wird ſchwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz, mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben muß; nicht weil du grade mein Freund biſt; nein, weil du ſolch ein Freund ſein kannſt. Deine Empörung über Gentz iſt richtig, nur den Zorn iſt er nicht werth, der dir ſelbſt ſcha- den kann. — In mir hat er ſich doch geirrt; weil kein Affe ein menſchlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit zum Verſtande. — Ich gehe wo du magſt und kannſt: und hoffe mit dir noch auf deinen erſten Plan in Berlin: es freut mich, daß der Fürſt in dieſem Sinne an dich dachte. —
16. Oktober 1815.
— Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hauſe; ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshausſaal mit un- eleganten geſtiefelten Leuten, und Künſtler; Flötenſpieler, die ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme Hirteninſtrument, zu kleinen Geſängen erſchaffen: hetzen es zu großen Konvenienz-Konzerten: dann ſang Mad. Graf gut; aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä- niſch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal ſchrie
II. 23
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mein’s krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da-
bei dacht’ ich an ſolchen Plan, an ſolch Opfer des Schick-
ſals; und laut ſchrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir ſonſt
todt geblieben. Und zum erſtenmal war Goethe feindlich für
mich da. Solche Worte muß man nicht ſchreiben; er nicht.
Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte ſelbſt ſchon ge-
blutet. Gewalt anthun iſt nicht ſo arg. Sieh, ſo geht es
mir. „Aus der Leidenſchaft kann ich nicht;“ im Gegentheil,
das Herz wird ſchwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz,
mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben
muß; nicht weil du grade mein Freund biſt; nein, weil du
ſolch ein Freund ſein kannſt. Deine Empörung über Gentz
iſt richtig, nur den Zorn iſt er nicht werth, der dir ſelbſt ſcha-
den kann. — In mir hat er ſich doch geirrt; weil kein Affe
ein menſchlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit
zum Verſtande. — Ich gehe wo du magſt und kannſt: und
hoffe mit dir noch auf deinen erſten Plan in Berlin: es freut
mich, daß der Fürſt in dieſem Sinne an dich dachte. —
16. Oktober 1815.
— Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hauſe;
ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshausſaal mit un-
eleganten geſtiefelten Leuten, und Künſtler; Flötenſpieler, die
ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme
Hirteninſtrument, zu kleinen Geſängen erſchaffen: hetzen es zu
großen Konvenienz-Konzerten: dann ſang Mad. Graf gut;
aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä-
niſch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal ſchrie
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/361>, abgerufen am 09.11.2024.
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