zu erklären vermögen, nennen wir Natur." Das gefiel mir ausnehmend, es kam in einer schönen Folge.
S. 163. Prächtig zeigt er in wenigen Worten, wie ganz er Lessing kennt, wie er ihn liebt, und beinah negativ wie er ihn hochhält; mich freut das in der Seele, die Überzeugung, daß ein edler Mensch, sobald er sich nur äußert, und nirgend geschieht dies besser, als in Schriften, durchaus von einem Andern, der gescheidt ist, erkannt werden muß. Dies sind die negativen Worte, aus der tiefsten Überzeugung und klarsten Anerkennung: "Eines Werks aber, der wahrsten Ausgeburt des siebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutschen Nationalgeist, muß ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen" u. s. w. -- Wie voller Einsicht! Aber auch nur dann ur- theilt man so liebevoll. Solche Leser und Beurtheiler wünsche ich Goethe'n! Aber bei seinem Leben. --
Er beurtheilt den damaligen Zustand der Welt, den Effekt des Krieges, mit derselben gelassenen Einsicht, womit er diese Zeit und unsere Kriege betrachtet; das wollen ihm die Widersacher, die Entgegengesetzten in Sehen und Vermögen, nicht nachgeben; sie wollen nicht nachdenken, ja nicht einmal nachlesen, in Goethe selbst nicht, wie die damalige beschädigte Welt von Friedrich dem Zweiten sprach.
S. 197. Wie von Napoleon. Auch die Talente, und die ausgeübten Thaten wollten sie Friedrich dem Zweiten ganz absprechen; und thaten es. Wie also muß Goethe'n, nach so langjährig in Erfahrung gebrachter Lebensthorheit und gedan- kenloser Übereilung, die jetzige zum Schweigen bringen! Und wie sonderbar! zwei Helden hat er erleben müssen, fast an
zu erklären vermögen, nennen wir Natur.“ Das gefiel mir ausnehmend, es kam in einer ſchönen Folge.
S. 163. Prächtig zeigt er in wenigen Worten, wie ganz er Leſſing kennt, wie er ihn liebt, und beinah negativ wie er ihn hochhält; mich freut das in der Seele, die Überzeugung, daß ein edler Menſch, ſobald er ſich nur äußert, und nirgend geſchieht dies beſſer, als in Schriften, durchaus von einem Andern, der geſcheidt iſt, erkannt werden muß. Dies ſind die negativen Worte, aus der tiefſten Überzeugung und klarſten Anerkennung: „Eines Werks aber, der wahrſten Ausgeburt des ſiebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutſchen Nationalgeiſt, muß ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen“ u. ſ. w. — Wie voller Einſicht! Aber auch nur dann ur- theilt man ſo liebevoll. Solche Leſer und Beurtheiler wünſche ich Goethe’n! Aber bei ſeinem Leben. —
Er beurtheilt den damaligen Zuſtand der Welt, den Effekt des Krieges, mit derſelben gelaſſenen Einſicht, womit er dieſe Zeit und unſere Kriege betrachtet; das wollen ihm die Widerſacher, die Entgegengeſetzten in Sehen und Vermögen, nicht nachgeben; ſie wollen nicht nachdenken, ja nicht einmal nachleſen, in Goethe ſelbſt nicht, wie die damalige beſchädigte Welt von Friedrich dem Zweiten ſprach.
S. 197. Wie von Napoleon. Auch die Talente, und die ausgeübten Thaten wollten ſie Friedrich dem Zweiten ganz abſprechen; und thaten es. Wie alſo muß Goethe’n, nach ſo langjährig in Erfahrung gebrachter Lebensthorheit und gedan- kenloſer Übereilung, die jetzige zum Schweigen bringen! Und wie ſonderbar! zwei Helden hat er erleben müſſen, faſt an
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zu erklären vermögen, nennen wir Natur.“ Das gefiel mir
ausnehmend, es kam in einer ſchönen Folge.
S. 163. Prächtig zeigt er in wenigen Worten, wie ganz
er Leſſing kennt, wie er ihn liebt, und beinah negativ wie er
ihn hochhält; mich freut das in der Seele, die Überzeugung,
daß ein edler Menſch, ſobald er ſich nur äußert, und nirgend
geſchieht dies beſſer, als in Schriften, durchaus von einem
Andern, der geſcheidt iſt, erkannt werden muß. Dies ſind die
negativen Worte, aus der tiefſten Überzeugung und klarſten
Anerkennung: „Eines Werks aber, der wahrſten Ausgeburt
des ſiebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutſchen
Nationalgeiſt, muß ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen“
u. ſ. w. — Wie voller Einſicht! Aber auch nur dann ur-
theilt man ſo liebevoll. Solche Leſer und Beurtheiler wünſche
ich Goethe’n! Aber bei ſeinem Leben. —
Er beurtheilt den damaligen Zuſtand der Welt, den
Effekt des Krieges, mit derſelben gelaſſenen Einſicht, womit
er dieſe Zeit und unſere Kriege betrachtet; das wollen ihm die
Widerſacher, die Entgegengeſetzten in Sehen und Vermögen,
nicht nachgeben; ſie wollen nicht nachdenken, ja nicht einmal
nachleſen, in Goethe ſelbſt nicht, wie die damalige beſchädigte
Welt von Friedrich dem Zweiten ſprach.
S. 197. Wie von Napoleon. Auch die Talente, und
die ausgeübten Thaten wollten ſie Friedrich dem Zweiten ganz
abſprechen; und thaten es. Wie alſo muß Goethe’n, nach ſo
langjährig in Erfahrung gebrachter Lebensthorheit und gedan-
kenloſer Übereilung, die jetzige zum Schweigen bringen! Und
wie ſonderbar! zwei Helden hat er erleben müſſen, faſt an
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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