Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

selbst drüber weinen. Adieu! Deine stolze, beschämte, ärger-
liche, treue, kluge bei der Dummheit!

R.


An Varnhagen, in Paris.


Gestern Mittag, als ich von einem Sonnengang mit Do-
ren zurückkam, fand ich deinen mich überaus beglückenden
Brief vom 2. September, mit den Modekupfern und Ney's
Vertheidigung. Liebes! "gelehriges Herz!" du verheißest
mir in diesem lieben, aus Liebe gewebten Brief die Mitte Ok-
tobers zu dem nicht zu erwartenden Glück, dich wiederzuhaben!
Wenn ich nur leben bleibe! In keiner Krankheit hab' ich mich
so vor dem Tode gefürchtet. Ich soll vergnügt sein! Ein-
ziger theurer Freund, ich bin es, (ich will Geduld haben!)
da ich dich bald sehen soll: wir werden hier, auf der Reise,
allenthalben sehr vergnügt sein; zu Hause allenthalben; und
die Welt geht ihren Gang, "wie Sonne und Mond und an-
dre Götter," wir erleben das Ende nicht, drum wollen wir in
der Mitte leben, und ihr zuschauen. Du denkst unaufhörlich
an mich? fragst bei aller Gelegenheit um meine Billigung
und Einsicht bei deinem ganzen Thun und Lassen; leider wohl
oft ohne sie zu bekommen, fürchtest du; aber darum doch nicht
ablassend in deinem Eifer? Und ich --! konnte, eh' ich dich
hatte, gut, ganz gut, allein leben auf der Welt; hofft' es,
ersah es, prätendirte es gar nicht anders, suchte es nicht mehr,
in Gelassenheit, und Vergnügtheit, wenn sie mich in Ruhe

ſelbſt drüber weinen. Adieu! Deine ſtolze, beſchämte, ärger-
liche, treue, kluge bei der Dummheit!

R.


An Varnhagen, in Paris.


Geſtern Mittag, als ich von einem Sonnengang mit Do-
ren zurückkam, fand ich deinen mich überaus beglückenden
Brief vom 2. September, mit den Modekupfern und Ney’s
Vertheidigung. Liebes! „gelehriges Herz!“ du verheißeſt
mir in dieſem lieben, aus Liebe gewebten Brief die Mitte Ok-
tobers zu dem nicht zu erwartenden Glück, dich wiederzuhaben!
Wenn ich nur leben bleibe! In keiner Krankheit hab’ ich mich
ſo vor dem Tode gefürchtet. Ich ſoll vergnügt ſein! Ein-
ziger theurer Freund, ich bin es, (ich will Geduld haben!)
da ich dich bald ſehen ſoll: wir werden hier, auf der Reiſe,
allenthalben ſehr vergnügt ſein; zu Hauſe allenthalben; und
die Welt geht ihren Gang, „wie Sonne und Mond und an-
dre Götter,“ wir erleben das Ende nicht, drum wollen wir in
der Mitte leben, und ihr zuſchauen. Du denkſt unaufhörlich
an mich? fragſt bei aller Gelegenheit um meine Billigung
und Einſicht bei deinem ganzen Thun und Laſſen; leider wohl
oft ohne ſie zu bekommen, fürchteſt du; aber darum doch nicht
ablaſſend in deinem Eifer? Und ich —! konnte, eh’ ich dich
hatte, gut, ganz gut, allein leben auf der Welt; hofft’ es,
erſah es, prätendirte es gar nicht anders, ſuchte es nicht mehr,
in Gelaſſenheit, und Vergnügtheit, wenn ſie mich in Ruhe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0342" n="334"/>
&#x017F;elb&#x017F;t drüber weinen. Adieu! Deine &#x017F;tolze, be&#x017F;chämte, ärger-<lb/>
liche, treue, kluge bei der Dummheit!</p>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et">R.</hi> </salute>
          </closer>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in Paris.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Frankfurt a. M. den 11. September 1815.<lb/>
Montag Mittag halb 1 Uhr.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Ge&#x017F;tern Mittag, als ich von einem Sonnengang mit Do-<lb/>
ren zurückkam, fand ich deinen mich überaus beglückenden<lb/>
Brief vom 2. September, mit den Modekupfern und Ney&#x2019;s<lb/>
Vertheidigung. <hi rendition="#g">Liebes</hi>! &#x201E;gelehriges Herz!&#x201C; du verheiße&#x017F;t<lb/>
mir in die&#x017F;em lieben, aus Liebe gewebten Brief die Mitte Ok-<lb/>
tobers zu dem nicht zu erwartenden Glück, dich wiederzuhaben!<lb/>
Wenn ich nur leben bleibe! In keiner Krankheit hab&#x2019; ich mich<lb/>
&#x017F;o vor dem Tode gefürchtet. Ich <hi rendition="#g">&#x017F;oll</hi> vergnügt &#x017F;ein! Ein-<lb/>
ziger theurer Freund, ich bin es, (ich <hi rendition="#g">will</hi> Geduld haben!)<lb/>
da ich dich bald &#x017F;ehen &#x017F;oll: wir werden hier, auf der Rei&#x017F;e,<lb/>
allenthalben &#x017F;ehr vergnügt &#x017F;ein; zu Hau&#x017F;e allenthalben; und<lb/>
die Welt geht ihren Gang, &#x201E;wie Sonne und Mond und an-<lb/>
dre Götter,&#x201C; wir erleben das Ende nicht, drum wollen wir in<lb/>
der Mitte <hi rendition="#g">leben</hi>, und ihr zu&#x017F;chauen. Du denk&#x017F;t unaufhörlich<lb/>
an mich? frag&#x017F;t bei aller Gelegenheit um meine Billigung<lb/>
und Ein&#x017F;icht bei deinem ganzen Thun und La&#x017F;&#x017F;en; leider wohl<lb/>
oft ohne &#x017F;ie zu bekommen, fürchte&#x017F;t du; aber darum doch nicht<lb/>
abla&#x017F;&#x017F;end in deinem Eifer? Und ich &#x2014;! konnte, eh&#x2019; ich dich<lb/>
hatte, gut, ganz gut, allein leben auf der Welt; hofft&#x2019; es,<lb/>
er&#x017F;ah es, prätendirte es gar nicht anders, &#x017F;uchte es nicht mehr,<lb/>
in Gela&#x017F;&#x017F;enheit, und Vergnügtheit, wenn &#x017F;ie mich in <hi rendition="#g">Ruhe</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0342] ſelbſt drüber weinen. Adieu! Deine ſtolze, beſchämte, ärger- liche, treue, kluge bei der Dummheit! R. An Varnhagen, in Paris. Frankfurt a. M. den 11. September 1815. Montag Mittag halb 1 Uhr. Geſtern Mittag, als ich von einem Sonnengang mit Do- ren zurückkam, fand ich deinen mich überaus beglückenden Brief vom 2. September, mit den Modekupfern und Ney’s Vertheidigung. Liebes! „gelehriges Herz!“ du verheißeſt mir in dieſem lieben, aus Liebe gewebten Brief die Mitte Ok- tobers zu dem nicht zu erwartenden Glück, dich wiederzuhaben! Wenn ich nur leben bleibe! In keiner Krankheit hab’ ich mich ſo vor dem Tode gefürchtet. Ich ſoll vergnügt ſein! Ein- ziger theurer Freund, ich bin es, (ich will Geduld haben!) da ich dich bald ſehen ſoll: wir werden hier, auf der Reiſe, allenthalben ſehr vergnügt ſein; zu Hauſe allenthalben; und die Welt geht ihren Gang, „wie Sonne und Mond und an- dre Götter,“ wir erleben das Ende nicht, drum wollen wir in der Mitte leben, und ihr zuſchauen. Du denkſt unaufhörlich an mich? fragſt bei aller Gelegenheit um meine Billigung und Einſicht bei deinem ganzen Thun und Laſſen; leider wohl oft ohne ſie zu bekommen, fürchteſt du; aber darum doch nicht ablaſſend in deinem Eifer? Und ich —! konnte, eh’ ich dich hatte, gut, ganz gut, allein leben auf der Welt; hofft’ es, erſah es, prätendirte es gar nicht anders, ſuchte es nicht mehr, in Gelaſſenheit, und Vergnügtheit, wenn ſie mich in Ruhe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/342
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/342>, abgerufen am 25.11.2024.