gestand, wo er wohne, sei die bessere Seite von hier. Er lobte Heidelberg, und daß man noch sähe, daß es eine Residenz war. Und als ich von Lokal und seinem unbesiegbaren Ein- fluß sprach: bejahte er's; "Darin müssen wir ja einmal leben, das thut sehr viel." Er fragte mich, wo wir immer wohnen. Im Ganzen war er wie der vornehmste Fürst: aber wie ein äußerst guter Mann; voller aisance; aber Persönlichkeiten ab- lehnend: auch vornehm. Auf dich, ziemlich gespitzt; und äußerst verbindlich. Er ging sehr bald. Ich konnte ihm nicht von der Pereira, nicht von der Grotthuß, von nichts sprechen! Nur ganz zu Anfang sagte ich ihm: "Ich war es, die Ihnen in Niederrad nachschrie; ich war mit Fremden dort, eben weil Sie davon gesprochen hatten; ich war zu überrascht." Er ließ dies ganz durch. Es war mir Recht. Ich fühle, daß ich mich im Ganzen so betragen habe, wie damals in Karlsbad. Mit der hastigen Thätigkeit: lange mein schönes stilles, bescheidenes Herz nicht gezeigt. Aber wenn man Einen nur einen Moment, nach so langjähriger Liebe, und Leben, und Beten, und Weben, und Beschäftigung, zu sehen bekommt, dann ist es so. Und mein Neglige, mein Gefühl von Ungra- zie brachte mich ganz danieder; und sein schnelles Weggehen. Aber nun besuche ich ihn: Otterstedts wollen es so schon die ganze Zeit: ich aber wollte nicht. Im Ganzen ist es rasend viel, daß er kam. Er sieht keinen Menschen. Wollte Prin- zessin Solms, des Königs Schwägerin, mit dem neuen engli- schen Gemahl durchaus nicht sehen. Kurz, ich fühle mich über die Maßen in meiner Erniedrigung geehrt. Nur ich weiß, wie elend ich war. Goethe hat mir für ewig den Ritterschlag
geſtand, wo er wohne, ſei die beſſere Seite von hier. Er lobte Heidelberg, und daß man noch ſähe, daß es eine Reſidenz war. Und als ich von Lokal und ſeinem unbeſiegbaren Ein- fluß ſprach: bejahte er’s; „Darin müſſen wir ja einmal leben, das thut ſehr viel.“ Er fragte mich, wo wir immer wohnen. Im Ganzen war er wie der vornehmſte Fürſt: aber wie ein äußerſt guter Mann; voller aisance; aber Perſönlichkeiten ab- lehnend: auch vornehm. Auf dich, ziemlich geſpitzt; und äußerſt verbindlich. Er ging ſehr bald. Ich konnte ihm nicht von der Pereira, nicht von der Grotthuß, von nichts ſprechen! Nur ganz zu Anfang ſagte ich ihm: „Ich war es, die Ihnen in Niederrad nachſchrie; ich war mit Fremden dort, eben weil Sie davon geſprochen hatten; ich war zu überraſcht.“ Er ließ dies ganz durch. Es war mir Recht. Ich fühle, daß ich mich im Ganzen ſo betragen habe, wie damals in Karlsbad. Mit der haſtigen Thätigkeit: lange mein ſchönes ſtilles, beſcheidenes Herz nicht gezeigt. Aber wenn man Einen nur einen Moment, nach ſo langjähriger Liebe, und Leben, und Beten, und Weben, und Beſchäftigung, zu ſehen bekommt, dann iſt es ſo. Und mein Negligé, mein Gefühl von Ungra- zie brachte mich ganz danieder; und ſein ſchnelles Weggehen. Aber nun beſuche ich ihn: Otterſtedts wollen es ſo ſchon die ganze Zeit: ich aber wollte nicht. Im Ganzen iſt es raſend viel, daß er kam. Er ſieht keinen Menſchen. Wollte Prin- zeſſin Solms, des Königs Schwägerin, mit dem neuen engli- ſchen Gemahl durchaus nicht ſehen. Kurz, ich fühle mich über die Maßen in meiner Erniedrigung geehrt. Nur ich weiß, wie elend ich war. Goethe hat mir für ewig den Ritterſchlag
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geſtand, wo er wohne, ſei die beſſere Seite von hier. Er lobte
Heidelberg, und daß man noch ſähe, daß es eine Reſidenz
war. Und als ich von Lokal und ſeinem unbeſiegbaren Ein-
fluß ſprach: bejahte er’s; „Darin müſſen wir ja einmal leben,
das thut ſehr viel.“ Er fragte mich, wo wir immer wohnen.
Im Ganzen war er wie der vornehmſte Fürſt: aber wie ein
äußerſt guter Mann; voller aisance; aber Perſönlichkeiten ab-
lehnend: auch vornehm. Auf dich, ziemlich geſpitzt; und
äußerſt verbindlich. Er ging ſehr bald. Ich konnte ihm nicht
von der Pereira, nicht von der Grotthuß, von nichts ſprechen!
Nur ganz zu Anfang ſagte ich ihm: „Ich war es, die Ihnen
in Niederrad nachſchrie; ich war mit Fremden dort, eben weil
Sie davon geſprochen hatten; ich war zu überraſcht.“ Er
ließ dies ganz durch. Es war mir Recht. Ich fühle, daß
ich mich im Ganzen ſo betragen habe, wie damals in
Karlsbad. Mit der haſtigen Thätigkeit: lange mein ſchönes
ſtilles, beſcheidenes Herz nicht gezeigt. Aber wenn man Einen
nur einen Moment, nach ſo langjähriger Liebe, und Leben,
und Beten, und Weben, und Beſchäftigung, zu ſehen bekommt,
dann iſt es ſo. Und mein Negligé, mein Gefühl von Ungra-
zie brachte mich ganz danieder; und ſein ſchnelles Weggehen.
Aber nun beſuche ich ihn: Otterſtedts wollen es ſo ſchon die
ganze Zeit: ich aber wollte nicht. Im Ganzen iſt es raſend
viel, daß er kam. Er ſieht keinen Menſchen. Wollte Prin-
zeſſin Solms, des Königs Schwägerin, mit dem neuen engli-
ſchen Gemahl durchaus nicht ſehen. Kurz, ich fühle mich
über die Maßen in meiner Erniedrigung geehrt. Nur ich weiß,
wie elend ich war. Goethe hat mir für ewig den Ritterſchlag
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/340>, abgerufen am 25.11.2024.
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