sie, wie immer: er spricht von sie besuchen; sie laden O.'s zum Diner, und nicht mich. Wie erwünscht mir das Zuhause- speisen, und das Auslassen, weißt du, die Grobheit ist aber dieselbe. Nie auch wär' ich hingegangen, hätten die Frau von Schlegel und Pilat mich nicht so sehr dazu ermuntert; und hätte ich nicht gehört, daß diese Familie Goethens Schl.'s sind. Da ich nun ohnehin die Reise vorhabe, so ermuthigt mich das nicht, zu Frau von Jordis Schwester zu gehen, deren Haus freilich aus ganz andern Leuten bestehen mag. Ich wiederhole es; man muß nur die suchen, die einen nöthig ha- ben: und so that ich immer. Ich bin nicht eine Treiberin meiner selbst, obgleich ich viel getrieben habe.
-- Es ist mir unmöglich, dir jetzt anders zu schreiben, obgleich seit gestern die zärtlichsten, ergiebigsten, hingebendsten und weichsten Töne in meiner Seele für dich geherrscht, gelebt, und auch gewirkt haben: aber diesen Morgen grade kam ich in den genannten Zustand, und jetzt hab' ich sehr geweint, seit langer Zeit. Auch ich habe mit dem Schicksal gerechnet. Wovon ich seit Kindheit an mit hoffnungslosen Ohren hörte, eine Rheinreise, wird mir nun so geboten. Frankreich, wel- ches mein Augenmerk für meinen ganzen Geist, Eitelkeit und Spannung aller Art war, hab' ich schon Einmal in Ver- zweiflung besucht, nach F.'s Verrath, und von meiner dum- men Familie, wegen zwanzig Louisd'or weniger oder mehr -- die mir zukamen -- gemartert, so, daß ich gerne, und früh wieder wegeilte; und nur meine Kräfte und mein Wesen mich Genuß finden ließen! Wien, mein Augenmerk und meine Lust, sah ich nie, so lange meine muntern Freunde, die großen
II. 21
ſie, wie immer: er ſpricht von ſie beſuchen; ſie laden O.’s zum Diner, und nicht mich. Wie erwünſcht mir das Zuhauſe- ſpeiſen, und das Auslaſſen, weißt du, die Grobheit iſt aber dieſelbe. Nie auch wär’ ich hingegangen, hätten die Frau von Schlegel und Pilat mich nicht ſo ſehr dazu ermuntert; und hätte ich nicht gehört, daß dieſe Familie Goethens Schl.’s ſind. Da ich nun ohnehin die Reiſe vorhabe, ſo ermuthigt mich das nicht, zu Frau von Jordis Schweſter zu gehen, deren Haus freilich aus ganz andern Leuten beſtehen mag. Ich wiederhole es; man muß nur die ſuchen, die einen nöthig ha- ben: und ſo that ich immer. Ich bin nicht eine Treiberin meiner ſelbſt, obgleich ich viel getrieben habe.
— Es iſt mir unmöglich, dir jetzt anders zu ſchreiben, obgleich ſeit geſtern die zärtlichſten, ergiebigſten, hingebendſten und weichſten Töne in meiner Seele für dich geherrſcht, gelebt, und auch gewirkt haben: aber dieſen Morgen grade kam ich in den genannten Zuſtand, und jetzt hab’ ich ſehr geweint, ſeit langer Zeit. Auch ich habe mit dem Schickſal gerechnet. Wovon ich ſeit Kindheit an mit hoffnungsloſen Ohren hörte, eine Rheinreiſe, wird mir nun ſo geboten. Frankreich, wel- ches mein Augenmerk für meinen ganzen Geiſt, Eitelkeit und Spannung aller Art war, hab’ ich ſchon Einmal in Ver- zweiflung beſucht, nach F.’s Verrath, und von meiner dum- men Familie, wegen zwanzig Louisd’or weniger oder mehr — die mir zukamen — gemartert, ſo, daß ich gerne, und früh wieder wegeilte; und nur meine Kräfte und mein Weſen mich Genuß finden ließen! Wien, mein Augenmerk und meine Luſt, ſah ich nie, ſo lange meine muntern Freunde, die großen
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ſie, wie immer: er ſpricht von ſie beſuchen; ſie laden O.’s
zum Diner, und nicht mich. Wie erwünſcht mir das Zuhauſe-
ſpeiſen, und das Auslaſſen, weißt du, die Grobheit iſt aber
dieſelbe. Nie auch wär’ ich hingegangen, hätten die Frau
von Schlegel und Pilat mich nicht ſo ſehr dazu ermuntert;
und hätte ich nicht gehört, daß dieſe Familie Goethens Schl.’s
ſind. Da ich nun ohnehin die Reiſe vorhabe, ſo ermuthigt
mich das nicht, zu Frau von Jordis Schweſter zu gehen, deren
Haus freilich aus ganz andern Leuten beſtehen mag. Ich
wiederhole es; man muß nur die ſuchen, die einen nöthig ha-
ben: und ſo that ich immer. Ich bin nicht eine Treiberin
meiner ſelbſt, obgleich ich viel getrieben habe.
— Es iſt mir unmöglich, dir jetzt anders zu ſchreiben, obgleich
ſeit geſtern die zärtlichſten, ergiebigſten, hingebendſten und
weichſten Töne in meiner Seele für dich geherrſcht, gelebt, und
auch gewirkt haben: aber dieſen Morgen grade kam ich in
den genannten Zuſtand, und jetzt hab’ ich ſehr geweint, ſeit
langer Zeit. Auch ich habe mit dem Schickſal gerechnet.
Wovon ich ſeit Kindheit an mit hoffnungsloſen Ohren hörte,
eine Rheinreiſe, wird mir nun ſo geboten. Frankreich, wel-
ches mein Augenmerk für meinen ganzen Geiſt, Eitelkeit und
Spannung aller Art war, hab’ ich ſchon Einmal in Ver-
zweiflung beſucht, nach F.’s Verrath, und von meiner dum-
men Familie, wegen zwanzig Louisd’or weniger oder mehr —
die mir zukamen — gemartert, ſo, daß ich gerne, und früh
wieder wegeilte; und nur meine Kräfte und mein Weſen mich
Genuß finden ließen! Wien, mein Augenmerk und meine Luſt,
ſah ich nie, ſo lange meine muntern Freunde, die großen
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/329>, abgerufen am 22.11.2024.
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