bequemen, feigen, hergebrachten Reden wieder Einmal, ohne den geringsten Antrieb des Augenblicks, noch irgend einer Gei- steswendung, die Franzosen geschimpft -- nach gewonnener Schlacht! --, die armen Bauern als Kanaillen behandelt, weil sie sich gegen ihren Feind wehren. Da erklärte ich Ihnen, daß die arme Landleute nur sehr natürlich gehandelt hätten, und daß, wenn es unsere wären, wir sie brav nennten und aufmunterten: ich zeigte ihnen, daß diese Leute weder Antheil an Napoleon noch an Ludwig XVIII. nähmen, noch nehmen könnten, bloß für ihren Hof besorgt wären, den vertheidigten, und den Feind, den verzehrenden, fürchteten. Ich erließ ihnen noch die Demonstration, warum diese Klasse nicht national sein könnte: wie sie nur den Druck, die Last, die Arbeit für das bischen Creme Menschen hat, die in Ambition -- nicht Ehrgeiz -- und Genuß wühlen und schwelgen, und für welche allein nur noch die Landesgesetze geschaffen sind und leben. Aber ich erinnerte sie daran, wie wir Alle, die einzelnen Völ- ker Deutschlands mit jenen fochten; also alle, aus diesem Ge- sichtspunkt genommen, selbst gefehlt hätten, also auch begreifen müßten, wie es bei ihnen zuginge. Vorher waren Alle anderer Meinung; als ich nur gewagt hatte es auszusprechen, ihre eigenen Widersacher, mit Lachen und Beifall; und Schwei- gen! -- -- Aber um so etwas zu wagen, muß man den Au- genblick sehr kennen; den Rand mit dem Geiste sehen, an wel- chem die gelangweilten Gemüther stehen; und keines persönli- chen Interesse's, nicht einmal der Rechthaberei beschuldigt werden können. O! warum bin ich kein Mensch in Amt! keine Fürstin! (Du hast Recht über mich; darin.) So wahr
bequemen, feigen, hergebrachten Reden wieder Einmal, ohne den geringſten Antrieb des Augenblicks, noch irgend einer Gei- ſteswendung, die Franzoſen geſchimpft — nach gewonnener Schlacht! —, die armen Bauern als Kanaillen behandelt, weil ſie ſich gegen ihren Feind wehren. Da erklärte ich Ihnen, daß die arme Landleute nur ſehr natürlich gehandelt hätten, und daß, wenn es unſere wären, wir ſie brav nennten und aufmunterten: ich zeigte ihnen, daß dieſe Leute weder Antheil an Napoleon noch an Ludwig XVIII. nähmen, noch nehmen könnten, bloß für ihren Hof beſorgt wären, den vertheidigten, und den Feind, den verzehrenden, fürchteten. Ich erließ ihnen noch die Demonſtration, warum dieſe Klaſſe nicht national ſein könnte: wie ſie nur den Druck, die Laſt, die Arbeit für das bischen Crême Menſchen hat, die in Ambition — nicht Ehrgeiz — und Genuß wühlen und ſchwelgen, und für welche allein nur noch die Landesgeſetze geſchaffen ſind und leben. Aber ich erinnerte ſie daran, wie wir Alle, die einzelnen Völ- ker Deutſchlands mit jenen fochten; alſo alle, aus dieſem Ge- ſichtspunkt genommen, ſelbſt gefehlt hätten, alſo auch begreifen müßten, wie es bei ihnen zuginge. Vorher waren Alle anderer Meinung; als ich nur gewagt hatte es auszuſprechen, ihre eigenen Widerſacher, mit Lachen und Beifall; und Schwei- gen! — — Aber um ſo etwas zu wagen, muß man den Au- genblick ſehr kennen; den Rand mit dem Geiſte ſehen, an wel- chem die gelangweilten Gemüther ſtehen; und keines perſönli- chen Intereſſe’s, nicht einmal der Rechthaberei beſchuldigt werden können. O! warum bin ich kein Menſch in Amt! keine Fürſtin! (Du haſt Recht über mich; darin.) So wahr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0317"n="309"/>
bequemen, feigen, hergebrachten Reden wieder Einmal, ohne<lb/>
den geringſten Antrieb des Augenblicks, noch irgend einer Gei-<lb/>ſteswendung, die Franzoſen geſchimpft — nach <hirendition="#g">gewonnener</hi><lb/>
Schlacht! —, die armen Bauern als Kanaillen behandelt, weil<lb/>ſie ſich gegen ihren Feind wehren. Da erklärte ich Ihnen,<lb/>
daß die arme Landleute nur ſehr natürlich gehandelt hätten,<lb/>
und daß, wenn es unſere wären, wir ſie brav nennten und<lb/>
aufmunterten: ich zeigte ihnen, daß dieſe Leute weder Antheil<lb/>
an Napoleon noch an Ludwig <hirendition="#aq">XVIII.</hi> nähmen, noch nehmen<lb/>
könnten, bloß für ihren Hof beſorgt wären, den vertheidigten,<lb/>
und den Feind, den verzehrenden, fürchteten. Ich erließ ihnen<lb/>
noch die Demonſtration, <hirendition="#g">warum</hi> dieſe Klaſſe nicht national<lb/>ſein könnte: wie ſie nur den Druck, die Laſt, die Arbeit für<lb/>
das bischen Cr<hirendition="#aq">ê</hi>me Menſchen hat, die in Ambition — nicht<lb/>
Ehrgeiz — und Genuß wühlen und ſchwelgen, und für welche<lb/>
allein nur noch die Landesgeſetze geſchaffen ſind und leben.<lb/>
Aber ich erinnerte ſie daran, wie wir Alle, die einzelnen Völ-<lb/>
ker Deutſchlands <hirendition="#g">mit</hi> jenen fochten; alſo alle, aus dieſem Ge-<lb/>ſichtspunkt genommen, ſelbſt gefehlt hätten, alſo auch begreifen<lb/>
müßten, wie es bei ihnen <hirendition="#g">zuginge</hi>. Vorher waren <hirendition="#g">Alle</hi><lb/>
anderer Meinung; als ich nur gewagt hatte es auszuſprechen,<lb/>
ihre eigenen Widerſacher, mit Lachen und Beifall; und Schwei-<lb/>
gen! —— Aber um ſo etwas zu wagen, muß man den Au-<lb/>
genblick ſehr kennen; den Rand mit dem Geiſte ſehen, an wel-<lb/>
chem die gelangweilten Gemüther ſtehen; und keines perſönli-<lb/>
chen Intereſſe’s, nicht einmal der Rechthaberei beſchuldigt<lb/>
werden können. O! warum bin ich kein Menſch in Amt!<lb/>
keine Fürſtin! (Du haſt Recht über mich; darin.) So wahr<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[309/0317]
bequemen, feigen, hergebrachten Reden wieder Einmal, ohne
den geringſten Antrieb des Augenblicks, noch irgend einer Gei-
ſteswendung, die Franzoſen geſchimpft — nach gewonnener
Schlacht! —, die armen Bauern als Kanaillen behandelt, weil
ſie ſich gegen ihren Feind wehren. Da erklärte ich Ihnen,
daß die arme Landleute nur ſehr natürlich gehandelt hätten,
und daß, wenn es unſere wären, wir ſie brav nennten und
aufmunterten: ich zeigte ihnen, daß dieſe Leute weder Antheil
an Napoleon noch an Ludwig XVIII. nähmen, noch nehmen
könnten, bloß für ihren Hof beſorgt wären, den vertheidigten,
und den Feind, den verzehrenden, fürchteten. Ich erließ ihnen
noch die Demonſtration, warum dieſe Klaſſe nicht national
ſein könnte: wie ſie nur den Druck, die Laſt, die Arbeit für
das bischen Crême Menſchen hat, die in Ambition — nicht
Ehrgeiz — und Genuß wühlen und ſchwelgen, und für welche
allein nur noch die Landesgeſetze geſchaffen ſind und leben.
Aber ich erinnerte ſie daran, wie wir Alle, die einzelnen Völ-
ker Deutſchlands mit jenen fochten; alſo alle, aus dieſem Ge-
ſichtspunkt genommen, ſelbſt gefehlt hätten, alſo auch begreifen
müßten, wie es bei ihnen zuginge. Vorher waren Alle
anderer Meinung; als ich nur gewagt hatte es auszuſprechen,
ihre eigenen Widerſacher, mit Lachen und Beifall; und Schwei-
gen! — — Aber um ſo etwas zu wagen, muß man den Au-
genblick ſehr kennen; den Rand mit dem Geiſte ſehen, an wel-
chem die gelangweilten Gemüther ſtehen; und keines perſönli-
chen Intereſſe’s, nicht einmal der Rechthaberei beſchuldigt
werden können. O! warum bin ich kein Menſch in Amt!
keine Fürſtin! (Du haſt Recht über mich; darin.) So wahr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/317>, abgerufen am 26.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.