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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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lichen Tagen so ruhig ist. Kann man doch alle Tage an
tödtlichen verrückten Schmerzen danieder liegen, wie ich schon
oft in der Hölle Rachen; und der tiefste Friede, keine erfun-
dene Wissenschaft, keine Freundesliebe kann helfen. Wenn ich
so diesen ganzen Winter, und das Jahr über, unzufrieden sein
wollte, und im Bette war: nun! dacht' ich, es ist doch Friede.
Vergiß es nicht. Im ganzen Lande wird nicht gemordet, ge-
plündert, geschossen. Ich dachte wohl, Napoleon kommt wie-
der: aber wenn schon Trouble ist; etwa in Frankreich oder
Italien. Auch dacht' ich jetzt: er wird die Oberhand behal-
ten; aber fechten müssen; etwas! -- Er ist schon wieder bei
der Hand, und schont nichts; und die Welt muß sich besinnen
und berücksichtigen: sie, wir, haben viele Interessen, und er
eins. Und alle andere Kollision: all die alten Unordnun-
gen, Vexationen, Mißbräuche, Irrthümer, an die nun all ge-
stoßen und gerührt wird. Basta! Es kommt alles anders.
Es strömt Frühling vom Himmel, die Erde gebiert, und eine
große Obwaltung ist, die wir nie berechnen können. Ich sollte
mit Arnsteins im schönsten Frühlingswetter ausfahren, aber ich
traue mich noch nicht, wegen der Einreibungen, die doch noch
Flanell, Wärme, Ruhe und dgl. verlangen. Vielleicht lass'
ich mich den Abend hintragen, im Sessel. Frau von Ephraim
war alle Tage bei mir. Habt ihr das Logis im Thiergarten?
Ich denke ja. -- Ich bleibe, wenn nicht außerordentliche Fälle
kommen, für's erste hier. Auch werden die Herren nicht so
bald aufbrechen. Nach Töplitz allein, habe ich vierundfünfzig
Meilen. Und etablirter, als hier, bin ich ja vor der Hand
nirgend. Auch geb' ich's gar nicht auf, daß wir uns im Laufe

lichen Tagen ſo ruhig iſt. Kann man doch alle Tage an
tödtlichen verrückten Schmerzen danieder liegen, wie ich ſchon
oft in der Hölle Rachen; und der tiefſte Friede, keine erfun-
dene Wiſſenſchaft, keine Freundesliebe kann helfen. Wenn ich
ſo dieſen ganzen Winter, und das Jahr über, unzufrieden ſein
wollte, und im Bette war: nun! dacht’ ich, es iſt doch Friede.
Vergiß es nicht. Im ganzen Lande wird nicht gemordet, ge-
plündert, geſchoſſen. Ich dachte wohl, Napoleon kommt wie-
der: aber wenn ſchon Trouble iſt; etwa in Frankreich oder
Italien. Auch dacht’ ich jetzt: er wird die Oberhand behal-
ten; aber fechten müſſen; etwas! — Er iſt ſchon wieder bei
der Hand, und ſchont nichts; und die Welt muß ſich beſinnen
und berückſichtigen: ſie, wir, haben viele Intereſſen, und er
eins. Und alle andere Kolliſion: all die alten Unordnun-
gen, Vexationen, Mißbräuche, Irrthümer, an die nun all ge-
ſtoßen und gerührt wird. Baſta! Es kommt alles anders.
Es ſtrömt Frühling vom Himmel, die Erde gebiert, und eine
große Obwaltung iſt, die wir nie berechnen können. Ich ſollte
mit Arnſteins im ſchönſten Frühlingswetter ausfahren, aber ich
traue mich noch nicht, wegen der Einreibungen, die doch noch
Flanell, Wärme, Ruhe und dgl. verlangen. Vielleicht laſſ’
ich mich den Abend hintragen, im Seſſel. Frau von Ephraim
war alle Tage bei mir. Habt ihr das Logis im Thiergarten?
Ich denke ja. — Ich bleibe, wenn nicht außerordentliche Fälle
kommen, für’s erſte hier. Auch werden die Herren nicht ſo
bald aufbrechen. Nach Töplitz allein, habe ich vierundfünfzig
Meilen. Und etablirter, als hier, bin ich ja vor der Hand
nirgend. Auch geb’ ich’s gar nicht auf, daß wir uns im Laufe

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[274/0282] lichen Tagen ſo ruhig iſt. Kann man doch alle Tage an tödtlichen verrückten Schmerzen danieder liegen, wie ich ſchon oft in der Hölle Rachen; und der tiefſte Friede, keine erfun- dene Wiſſenſchaft, keine Freundesliebe kann helfen. Wenn ich ſo dieſen ganzen Winter, und das Jahr über, unzufrieden ſein wollte, und im Bette war: nun! dacht’ ich, es iſt doch Friede. Vergiß es nicht. Im ganzen Lande wird nicht gemordet, ge- plündert, geſchoſſen. Ich dachte wohl, Napoleon kommt wie- der: aber wenn ſchon Trouble iſt; etwa in Frankreich oder Italien. Auch dacht’ ich jetzt: er wird die Oberhand behal- ten; aber fechten müſſen; etwas! — Er iſt ſchon wieder bei der Hand, und ſchont nichts; und die Welt muß ſich beſinnen und berückſichtigen: ſie, wir, haben viele Intereſſen, und er eins. Und alle andere Kolliſion: all die alten Unordnun- gen, Vexationen, Mißbräuche, Irrthümer, an die nun all ge- ſtoßen und gerührt wird. Baſta! Es kommt alles anders. Es ſtrömt Frühling vom Himmel, die Erde gebiert, und eine große Obwaltung iſt, die wir nie berechnen können. Ich ſollte mit Arnſteins im ſchönſten Frühlingswetter ausfahren, aber ich traue mich noch nicht, wegen der Einreibungen, die doch noch Flanell, Wärme, Ruhe und dgl. verlangen. Vielleicht laſſ’ ich mich den Abend hintragen, im Seſſel. Frau von Ephraim war alle Tage bei mir. Habt ihr das Logis im Thiergarten? Ich denke ja. — Ich bleibe, wenn nicht außerordentliche Fälle kommen, für’s erſte hier. Auch werden die Herren nicht ſo bald aufbrechen. Nach Töplitz allein, habe ich vierundfünfzig Meilen. Und etablirter, als hier, bin ich ja vor der Hand nirgend. Auch geb’ ich’s gar nicht auf, daß wir uns im Laufe

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/282>, abgerufen am 22.11.2024.