Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ich so neugierig war, war mit krottirten Stieflen, einer Mütze,
und ohne Halstuch da, im alten Überrock. Humboldt ließ ihn
sich von Varnhagen vorstellen. Radziwill, Alle waren sehr
gut mit ihm. Er saß ganz unten. Minister Bülow, mein
andrer Nachbar, mußte mir ihn zeigen. Denk dir, Markus!
Ich sprach mit Bülow und noch Einem über den Fall zwi-
schen den Hamburgern und Berliner Kaufleuten; und war
gegen den Dritten, der da meinte, es sei nicht klar, daß die
Hamburger zu zahlen hätten: da der Fall ein Rechtsfall war,
konnte ich nicht schweigen; und Bülow sagte immer: "Ich
bin Ihrer Meinung." Nicht weil es der Minister sagte, son-
dern weil ich mitsprach, erzähle ich dir's. Bülow hat einem
Hamburger Advokaten sein Gutachten abgefordert, dies sprach
für meine Meinung. Bülow ist ein hübscher, guter, angeneh-
mer, einfacher Mann: es fiel ihm aber auch nicht ein, daß er
Finanzminister sei, und er sprach in einem Sinne, als: er,
ich, und der Dritte, wir hätten Meinungen über eine gewisse
Sache!!! Es war wohl hübsch und menschlich, ich vermißte
aber eine Nüance; den Nerv, den das Amt haben soll. --
Jahn ist auf eignen Impuls hergekommen. Er will Zulage:
zwölfhundert Thaler hat er jetzt. Er grüßte mich vom Kon-
sistorialrath Nolte, der habe ihm von mir gesagt. Er hat ein
Betragen und Sein von der angewöhnten Genialität, die
Hagemeister schon vor sechszehn, achtzehn Jahren hatte;
kraftgenieich; er erinnert auch an ihn, wenn man ihn sieht.
Noch kenne ich ihn gar nicht: ich werde sehen. Humboldt ver-
sicherte mich, wie Don Juan, nach Tische seiner Liebe. Er
liebe mich immer: sehen könne er mich nur nicht, weil ich

ich ſo neugierig war, war mit krottirten Stieflen, einer Mütze,
und ohne Halstuch da, im alten Überrock. Humboldt ließ ihn
ſich von Varnhagen vorſtellen. Radziwill, Alle waren ſehr
gut mit ihm. Er ſaß ganz unten. Miniſter Bülow, mein
andrer Nachbar, mußte mir ihn zeigen. Denk dir, Markus!
Ich ſprach mit Bülow und noch Einem über den Fall zwi-
ſchen den Hamburgern und Berliner Kaufleuten; und war
gegen den Dritten, der da meinte, es ſei nicht klar, daß die
Hamburger zu zahlen hätten: da der Fall ein Rechtsfall war,
konnte ich nicht ſchweigen; und Bülow ſagte immer: „Ich
bin Ihrer Meinung.“ Nicht weil es der Miniſter ſagte, ſon-
dern weil ich mitſprach, erzähle ich dir’s. Bülow hat einem
Hamburger Advokaten ſein Gutachten abgefordert, dies ſprach
für meine Meinung. Bülow iſt ein hübſcher, guter, angeneh-
mer, einfacher Mann: es fiel ihm aber auch nicht ein, daß er
Finanzminiſter ſei, und er ſprach in einem Sinne, als: er,
ich, und der Dritte, wir hätten Meinungen über eine gewiſſe
Sache!!! Es war wohl hübſch und menſchlich, ich vermißte
aber eine Nüance; den Nerv, den das Amt haben ſoll. —
Jahn iſt auf eignen Impuls hergekommen. Er will Zulage:
zwölfhundert Thaler hat er jetzt. Er grüßte mich vom Kon-
ſiſtorialrath Nolte, der habe ihm von mir geſagt. Er hat ein
Betragen und Sein von der angewöhnten Genialität, die
Hagemeiſter ſchon vor ſechszehn, achtzehn Jahren hatte;
kraftgenieich; er erinnert auch an ihn, wenn man ihn ſieht.
Noch kenne ich ihn gar nicht: ich werde ſehen. Humboldt ver-
ſicherte mich, wie Don Juan, nach Tiſche ſeiner Liebe. Er
liebe mich immer: ſehen könne er mich nur nicht, weil ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0276" n="268"/>
ich &#x017F;o neugierig war, war mit krottirten Stieflen, einer Mütze,<lb/>
und ohne Halstuch da, im alten Überrock. Humboldt ließ ihn<lb/>
&#x017F;ich von Varnhagen vor&#x017F;tellen. Radziwill, Alle waren &#x017F;ehr<lb/>
gut mit ihm. Er &#x017F;aß ganz unten. Mini&#x017F;ter Bülow, mein<lb/>
andrer Nachbar, mußte mir ihn zeigen. Denk dir, Markus!<lb/>
Ich &#x017F;prach mit Bülow und noch Einem über den Fall zwi-<lb/>
&#x017F;chen den Hamburgern und Berliner Kaufleuten; und war<lb/>
gegen den Dritten, der da meinte, es &#x017F;ei nicht klar, daß die<lb/>
Hamburger zu zahlen hätten: da der Fall ein Rechtsfall war,<lb/><hi rendition="#g">konnte</hi> ich nicht &#x017F;chweigen; und Bülow &#x017F;agte immer: &#x201E;<hi rendition="#g">Ich</hi><lb/>
bin Ihrer Meinung.&#x201C; Nicht weil es der Mini&#x017F;ter &#x017F;agte, &#x017F;on-<lb/>
dern weil ich <hi rendition="#g">mit&#x017F;</hi>prach, erzähle ich dir&#x2019;s. Bülow hat einem<lb/>
Hamburger Advokaten &#x017F;ein Gutachten abgefordert, dies &#x017F;prach<lb/>
für meine Meinung. Bülow i&#x017F;t ein hüb&#x017F;cher, guter, angeneh-<lb/>
mer, einfacher Mann: es fiel ihm aber auch nicht ein, daß er<lb/>
Finanzmini&#x017F;ter &#x017F;ei, und er &#x017F;prach in einem Sinne, als: er,<lb/>
ich, und der Dritte, wir hätten Meinungen über eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Sache!!! Es war wohl hüb&#x017F;ch und men&#x017F;chlich, ich vermißte<lb/>
aber eine Nüance; den Nerv, den das Amt haben <hi rendition="#g">&#x017F;oll</hi>. &#x2014;<lb/>
Jahn i&#x017F;t auf eignen Impuls hergekommen. Er will Zulage:<lb/>
zwölfhundert Thaler hat er jetzt. Er grüßte mich vom Kon-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;torialrath Nolte, der habe ihm von mir ge&#x017F;agt. Er hat ein<lb/>
Betragen und Sein von der angewöhnten Genialität, die<lb/><hi rendition="#g">Hagemei&#x017F;ter</hi> &#x017F;chon vor &#x017F;echszehn, achtzehn Jahren hatte;<lb/>
kraftgenieich; er erinnert auch an ihn, wenn man ihn &#x017F;ieht.<lb/>
Noch kenne ich ihn gar nicht: ich werde &#x017F;ehen. Humboldt ver-<lb/>
&#x017F;icherte mich, wie Don Juan, nach Ti&#x017F;che &#x017F;einer Liebe. Er<lb/>
liebe mich <hi rendition="#g">immer</hi>: &#x017F;ehen könne er mich nur nicht, weil ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0276] ich ſo neugierig war, war mit krottirten Stieflen, einer Mütze, und ohne Halstuch da, im alten Überrock. Humboldt ließ ihn ſich von Varnhagen vorſtellen. Radziwill, Alle waren ſehr gut mit ihm. Er ſaß ganz unten. Miniſter Bülow, mein andrer Nachbar, mußte mir ihn zeigen. Denk dir, Markus! Ich ſprach mit Bülow und noch Einem über den Fall zwi- ſchen den Hamburgern und Berliner Kaufleuten; und war gegen den Dritten, der da meinte, es ſei nicht klar, daß die Hamburger zu zahlen hätten: da der Fall ein Rechtsfall war, konnte ich nicht ſchweigen; und Bülow ſagte immer: „Ich bin Ihrer Meinung.“ Nicht weil es der Miniſter ſagte, ſon- dern weil ich mitſprach, erzähle ich dir’s. Bülow hat einem Hamburger Advokaten ſein Gutachten abgefordert, dies ſprach für meine Meinung. Bülow iſt ein hübſcher, guter, angeneh- mer, einfacher Mann: es fiel ihm aber auch nicht ein, daß er Finanzminiſter ſei, und er ſprach in einem Sinne, als: er, ich, und der Dritte, wir hätten Meinungen über eine gewiſſe Sache!!! Es war wohl hübſch und menſchlich, ich vermißte aber eine Nüance; den Nerv, den das Amt haben ſoll. — Jahn iſt auf eignen Impuls hergekommen. Er will Zulage: zwölfhundert Thaler hat er jetzt. Er grüßte mich vom Kon- ſiſtorialrath Nolte, der habe ihm von mir geſagt. Er hat ein Betragen und Sein von der angewöhnten Genialität, die Hagemeiſter ſchon vor ſechszehn, achtzehn Jahren hatte; kraftgenieich; er erinnert auch an ihn, wenn man ihn ſieht. Noch kenne ich ihn gar nicht: ich werde ſehen. Humboldt ver- ſicherte mich, wie Don Juan, nach Tiſche ſeiner Liebe. Er liebe mich immer: ſehen könne er mich nur nicht, weil ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/276
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/276>, abgerufen am 25.11.2024.