nichtet fühlte; durch Ennui; welches ihm den Abend bei X. geschehen war -- ich sah es; weil ich ihn kenne, und lachte so, daß ich mir das Tuch vorhalten mußte, weil es die an- dern Damen nicht ahndeten, in ihrem breiten Dasein, ohne Unterfutter! -- Wir sprachen von Schlegels. Er sehr wahr, tief, mild; weltlich, komisch, beichtend. Wir aßen; er, Ba- bette und ich; wir hatten die behaglichsten Gespräche dabei; das Mädchen amüsirte sich mit; er erheiterte sich ganz. -- Da hast du den Abend, führ' ihn aus. Er war sehr gut: nur gönnt' ich ihn mir nicht: da du es nicht hörtest. Tieck saß zwischen Babette und mir. "Da! nun sehen Sie den berühmten Dichter Tieck an!" sagte ich dem Kinde. Er nahm es sehr gut: und es wurde kein Mißton; auch war das Mäd- chen ganz lieb und bescheiden. Adieu, adieu! --
An Karl von Redtel, in Potsdam.
Berlin, Freitag den 15. September 1814.
Nur zwei Worte, um Ihnen zu danken, und Ihnen zu sagen, daß nicht allein die Gewährung meiner Bitte mir in Ihrem Briefe so ungemein tröstend und erfreuend war, welche mir Ruhe gegeben hat (Sie empfinden ganz was das heißt), sondern, daß ich Sie den Alten finde! Daß Sie Ihr voriges Leben nicht aufgeben, es nicht mit dem Schwamm auswischen: und jeden Tag eine neue Geschichte zu leben anfangen wol- len; das wollen ja beinah die Meisten; und ich bin gefaßt, einen jeden der meinigen bei diesem Sisyphus-Geschäft zu
II. 16
nichtet fühlte; durch Ennui; welches ihm den Abend bei X. geſchehen war — ich ſah es; weil ich ihn kenne, und lachte ſo, daß ich mir das Tuch vorhalten mußte, weil es die an- dern Damen nicht ahndeten, in ihrem breiten Daſein, ohne Unterfutter! — Wir ſprachen von Schlegels. Er ſehr wahr, tief, mild; weltlich, komiſch, beichtend. Wir aßen; er, Ba- bette und ich; wir hatten die behaglichſten Geſpräche dabei; das Mädchen amüſirte ſich mit; er erheiterte ſich ganz. — Da haſt du den Abend, führ’ ihn aus. Er war ſehr gut: nur gönnt’ ich ihn mir nicht: da du es nicht hörteſt. Tieck ſaß zwiſchen Babette und mir. „Da! nun ſehen Sie den berühmten Dichter Tieck an!“ ſagte ich dem Kinde. Er nahm es ſehr gut: und es wurde kein Mißton; auch war das Mäd- chen ganz lieb und beſcheiden. Adieu, adieu! —
An Karl von Redtel, in Potsdam.
Berlin, Freitag den 15. September 1814.
Nur zwei Worte, um Ihnen zu danken, und Ihnen zu ſagen, daß nicht allein die Gewährung meiner Bitte mir in Ihrem Briefe ſo ungemein tröſtend und erfreuend war, welche mir Ruhe gegeben hat (Sie empfinden ganz was das heißt), ſondern, daß ich Sie den Alten finde! Daß Sie Ihr voriges Leben nicht aufgeben, es nicht mit dem Schwamm auswiſchen: und jeden Tag eine neue Geſchichte zu leben anfangen wol- len; das wollen ja beinah die Meiſten; und ich bin gefaßt, einen jeden der meinigen bei dieſem Siſyphus-Geſchäft zu
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nichtet fühlte; durch Ennui; welches ihm den Abend bei X.
geſchehen war — ich ſah es; weil ich ihn kenne, und lachte
ſo, daß ich mir das Tuch vorhalten mußte, weil es die an-
dern Damen nicht ahndeten, in ihrem breiten Daſein, ohne
Unterfutter! — Wir ſprachen von Schlegels. Er ſehr wahr,
tief, mild; weltlich, komiſch, beichtend. Wir aßen; er, Ba-
bette und ich; wir hatten die behaglichſten Geſpräche dabei;
das Mädchen amüſirte ſich mit; er erheiterte ſich ganz. —
Da haſt du den Abend, führ’ ihn aus. Er war ſehr gut:
nur gönnt’ ich ihn mir nicht: da du es nicht hörteſt. Tieck
ſaß zwiſchen Babette und mir. „Da! nun ſehen Sie den
berühmten Dichter Tieck an!“ ſagte ich dem Kinde. Er nahm
es ſehr gut: und es wurde kein Mißton; auch war das Mäd-
chen ganz lieb und beſcheiden. Adieu, adieu! —
An Karl von Redtel, in Potsdam.
Berlin, Freitag den 15. September 1814.
Nur zwei Worte, um Ihnen zu danken, und Ihnen zu
ſagen, daß nicht allein die Gewährung meiner Bitte mir in
Ihrem Briefe ſo ungemein tröſtend und erfreuend war, welche
mir Ruhe gegeben hat (Sie empfinden ganz was das heißt),
ſondern, daß ich Sie den Alten finde! Daß Sie Ihr voriges
Leben nicht aufgeben, es nicht mit dem Schwamm auswiſchen:
und jeden Tag eine neue Geſchichte zu leben anfangen wol-
len; das wollen ja beinah die Meiſten; und ich bin gefaßt,
einen jeden der meinigen bei dieſem Siſyphus-Geſchäft zu
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/249>, abgerufen am 25.11.2024.
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