meines Gebets -- jeder Erhebung -- mein eigentlichstes Da- sein, die expansive Möglichkeit zu fernern Existenzen, das höchste Leben, welches zu anderm Leben hinauf glimmt und flammt. Und denk dir, Freund, dies war der Sinn, in dem ich dir gestern schrieb: "Die Gesellschaft könne mich für ein Müllerweib ansehen, nur um deinetwillen hätte ich noch für mich Ambition;" und nicht Zorn über dies oder jenes Ereig- niß. Die Gesellschaft war mir von je die Hälfte des Lebens. Weil ich richtig fühlte, was sie sein sollte: der sich bewußte, behagliche Verein im Genuß und Weiterbringen alles mensch- lich schon Geleisteten. Durch keinen Kampf aber muß man in solchen Bildungskreis, wo Natur und Geistesausbeute sich durchdrungen haben, gelangen! Wie zu keinem Glück! Den Kampf also bin ich satt; weil ich ihn nicht zu führen ver- stehe; weil ich ihn verachte, mit dem Schicksal, welches mich dazu verdammen konnte. -- --
Keine Beschreibung von dem, was man in der nun schon zum hundertstenmale zerstückelten Gesellschaftswelt finden kann, die doch nur bis jetzt ein zerhacktes Gemeng der griechischen, römischen und biblischen bleibt. Es ist kein großartiger Ur- sprung darin, der sich an eine Lokalnatur lehnte, die einem -- richtig von den Religionen-Erfindern gesehen! -- von Gott überliefert wird! Wir sind Alle wie Frühlings- gebirgswasser, welches erst ablaufen muß. Kein Meer, kein Strom, kein Quell. Leben genug ist in einem solchen Wasser auch! das weiß ich. Wenn ich oder du nicht mitwirken kön- nen, das heißt Gutes vom Tag für den Tag -- eine Ein- richtung dazu ist beinah nicht vorhanden, -- so ergötzt mich
meines Gebets — jeder Erhebung — mein eigentlichſtes Da- ſein, die expanſive Möglichkeit zu fernern Exiſtenzen, das höchſte Leben, welches zu anderm Leben hinauf glimmt und flammt. Und denk dir, Freund, dies war der Sinn, in dem ich dir geſtern ſchrieb: „Die Geſellſchaft könne mich für ein Müllerweib anſehen, nur um deinetwillen hätte ich noch für mich Ambition;“ und nicht Zorn über dies oder jenes Ereig- niß. Die Geſellſchaft war mir von je die Hälfte des Lebens. Weil ich richtig fühlte, was ſie ſein ſollte: der ſich bewußte, behagliche Verein im Genuß und Weiterbringen alles menſch- lich ſchon Geleiſteten. Durch keinen Kampf aber muß man in ſolchen Bildungskreis, wo Natur und Geiſtesausbeute ſich durchdrungen haben, gelangen! Wie zu keinem Glück! Den Kampf alſo bin ich ſatt; weil ich ihn nicht zu führen ver- ſtehe; weil ich ihn verachte, mit dem Schickſal, welches mich dazu verdammen konnte. — —
Keine Beſchreibung von dem, was man in der nun ſchon zum hundertſtenmale zerſtückelten Geſellſchaftswelt finden kann, die doch nur bis jetzt ein zerhacktes Gemeng der griechiſchen, römiſchen und bibliſchen bleibt. Es iſt kein großartiger Ur- ſprung darin, der ſich an eine Lokalnatur lehnte, die einem — richtig von den Religionen-Erfindern geſehen! — von Gott überliefert wird! Wir ſind Alle wie Frühlings- gebirgswaſſer, welches erſt ablaufen muß. Kein Meer, kein Strom, kein Quell. Leben genug iſt in einem ſolchen Waſſer auch! das weiß ich. Wenn ich oder du nicht mitwirken kön- nen, das heißt Gutes vom Tag für den Tag — eine Ein- richtung dazu iſt beinah nicht vorhanden, — ſo ergötzt mich
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meines Gebets — jeder Erhebung — mein eigentlichſtes Da-
ſein, die expanſive Möglichkeit zu fernern Exiſtenzen, das
höchſte Leben, welches zu anderm Leben hinauf glimmt und
flammt. Und denk dir, Freund, dies war der Sinn, in dem
ich dir geſtern ſchrieb: „Die Geſellſchaft könne mich für ein
Müllerweib anſehen, nur um deinetwillen hätte ich noch für
mich Ambition;“ und nicht Zorn über dies oder jenes Ereig-
niß. Die Geſellſchaft war mir von je die Hälfte des Lebens.
Weil ich richtig fühlte, was ſie ſein ſollte: der ſich bewußte,
behagliche Verein im Genuß und Weiterbringen alles menſch-
lich ſchon Geleiſteten. Durch keinen Kampf aber muß man
in ſolchen Bildungskreis, wo Natur und Geiſtesausbeute ſich
durchdrungen haben, gelangen! Wie zu keinem Glück! Den
Kampf alſo bin ich ſatt; weil ich ihn nicht zu führen ver-
ſtehe; weil ich ihn verachte, mit dem Schickſal, welches mich
dazu verdammen konnte. — —
Keine Beſchreibung von dem, was man in der nun ſchon
zum hundertſtenmale zerſtückelten Geſellſchaftswelt finden kann,
die doch nur bis jetzt ein zerhacktes Gemeng der griechiſchen,
römiſchen und bibliſchen bleibt. Es iſt kein großartiger Ur-
ſprung darin, der ſich an eine Lokalnatur lehnte, die einem
— richtig von den Religionen-Erfindern geſehen! — von
Gott überliefert wird! Wir ſind Alle wie Frühlings-
gebirgswaſſer, welches erſt ablaufen muß. Kein Meer, kein
Strom, kein Quell. Leben genug iſt in einem ſolchen Waſſer
auch! das weiß ich. Wenn ich oder du nicht mitwirken kön-
nen, das heißt Gutes vom Tag für den Tag — eine Ein-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/195>, abgerufen am 09.11.2024.
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