ten!!! Dies letzte hat mich mehr erblaßt, vermagert, geschwächt, als die andern acht Wochen Liegen. Von gestern lieg' ich nun neun Wochen. Seit gestern gehe ich angepanzert umher. Schnaube wie ein Besessener. Mein Bein ist nur ziemlich, und leidet bei der allgemeinen Schwäche; befehlen werde ich ihm wohl nie wieder können, es wird wohl mein Herr bleiben. Nun wißt ihr wieder Übles von mir! Es ist nicht meine Schuld, und bei Gott! ich gäbe es gerne weg. C'est trop fort! Das Gute dabei ist aber das: daß wenn ich nur eine Stunde, eine halbe, eine Viertelstunde, nerven- und peinfrei bin, ich von der lustigsten, bonmotisirendsten, heitersten Gemüthsstimmung bin. Voller Gedanken und innerer Bewe- gung. Am liebsten bleib ich mit Doren allein; und fühl' ich mich nur eine Minute frei, so lachen wir aux eclats. Ich weiß immer Stoff zu Scherz und Witz aus meinem Zustand zu nehmen, besonders dient mir die Lust allein bleiben zu wol- len dazu. Ein Besuch ist mir ein Gräuel -- und die Andern denken's nicht! -- weil ich keinen ertragen kann. Ich lese nun schon vierzehn Tage auch nicht; nur seit heute erst wieder das göttliche Extrablatt, welches mir so gleich es erschienen meine Wirthin schickte. "Das weite Rheims faßt kaum die Zahl der Gäste!" Graf Luckner kam bald nachher vor mein Bett -- heut ist mir nicht so wohl -- mir berichten, Graf Reichen- bach, unser Kommandant, ließe mich grüßen, der habe hier bei dem Kommandirenden einen Kourier ankommen sehen, der die gewonnene Schlacht bei Soissons von Blücher gegen Napoleon meldete, welche Nachricht Fürst Schwarzenberg dem Komman- direnden -- Gouverneur hier -- auf die Addresse geschrieben
ten!!! Dies letzte hat mich mehr erblaßt, vermagert, geſchwächt, als die andern acht Wochen Liegen. Von geſtern lieg’ ich nun neun Wochen. Seit geſtern gehe ich angepanzert umher. Schnaube wie ein Beſeſſener. Mein Bein iſt nur ziemlich, und leidet bei der allgemeinen Schwäche; befehlen werde ich ihm wohl nie wieder können, es wird wohl mein Herr bleiben. Nun wißt ihr wieder Übles von mir! Es iſt nicht meine Schuld, und bei Gott! ich gäbe es gerne weg. C’est trop fort! Das Gute dabei iſt aber das: daß wenn ich nur eine Stunde, eine halbe, eine Viertelſtunde, nerven- und peinfrei bin, ich von der luſtigſten, bonmotiſirendſten, heiterſten Gemüthsſtimmung bin. Voller Gedanken und innerer Bewe- gung. Am liebſten bleib ich mit Doren allein; und fühl’ ich mich nur eine Minute frei, ſo lachen wir aux éclats. Ich weiß immer Stoff zu Scherz und Witz aus meinem Zuſtand zu nehmen, beſonders dient mir die Luſt allein bleiben zu wol- len dazu. Ein Beſuch iſt mir ein Gräuel — und die Andern denken’s nicht! — weil ich keinen ertragen kann. Ich leſe nun ſchon vierzehn Tage auch nicht; nur ſeit heute erſt wieder das göttliche Extrablatt, welches mir ſo gleich es erſchienen meine Wirthin ſchickte. „Das weite Rheims faßt kaum die Zahl der Gäſte!“ Graf Luckner kam bald nachher vor mein Bett — heut iſt mir nicht ſo wohl — mir berichten, Graf Reichen- bach, unſer Kommandant, ließe mich grüßen, der habe hier bei dem Kommandirenden einen Kourier ankommen ſehen, der die gewonnene Schlacht bei Soiſſons von Blücher gegen Napoleon meldete, welche Nachricht Fürſt Schwarzenberg dem Komman- direnden — Gouverneur hier — auf die Addreſſe geſchrieben
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ten!!! Dies letzte hat mich mehr erblaßt, vermagert, geſchwächt,
als die andern acht Wochen Liegen. Von geſtern lieg’ ich
nun neun Wochen. Seit geſtern gehe ich angepanzert
umher. Schnaube wie ein Beſeſſener. Mein Bein iſt nur
ziemlich, und leidet bei der allgemeinen Schwäche; befehlen
werde ich ihm wohl nie wieder können, es wird wohl mein
Herr bleiben. Nun wißt ihr wieder Übles von mir! Es iſt
nicht meine Schuld, und bei Gott! ich gäbe es gerne weg.
C’est trop fort! Das Gute dabei iſt aber das: daß wenn ich
nur eine Stunde, eine halbe, eine Viertelſtunde, nerven- und
peinfrei bin, ich von der luſtigſten, bonmotiſirendſten, heiterſten
Gemüthsſtimmung bin. Voller Gedanken und innerer Bewe-
gung. Am liebſten bleib ich mit Doren allein; und fühl’ ich
mich nur eine Minute frei, ſo lachen wir aux éclats. Ich
weiß immer Stoff zu Scherz und Witz aus meinem Zuſtand
zu nehmen, beſonders dient mir die Luſt allein bleiben zu wol-
len dazu. Ein Beſuch iſt mir ein Gräuel — und die Andern
denken’s nicht! — weil ich keinen ertragen kann. Ich leſe nun
ſchon vierzehn Tage auch nicht; nur ſeit heute erſt wieder das
göttliche Extrablatt, welches mir ſo gleich es erſchienen meine
Wirthin ſchickte. „Das weite Rheims faßt kaum die Zahl
der Gäſte!“ Graf Luckner kam bald nachher vor mein Bett —
heut iſt mir nicht ſo wohl — mir berichten, Graf Reichen-
bach, unſer Kommandant, ließe mich grüßen, der habe hier bei
dem Kommandirenden einen Kourier ankommen ſehen, der die
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meldete, welche Nachricht Fürſt Schwarzenberg dem Komman-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/191>, abgerufen am 23.11.2024.
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