Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

derer, die der Sandboden wohl zuerst diktirte, sind schon die
bekannten Ursachen. --




Jetzt fällt mir oft ein zu sagen: "Ich mag nicht von ihm
sprechen, ich bin böse auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig-
keit widerfahren lassen."



"Warum sollt' ich nicht natürlich sein? Ich wüßte nichts
Besseres und Mannigfaltigeres zu affektiren!"



An Varnhagen, in der Champagne.


Mein Brief von gestern an dich war wieder so gut, als
gelogen; obgleich er mit der höchsten Wahrhaftigkeit geschrie-
ben war. Weil er das Ende verschiedener Stimmungen und
Gedanken ausdrückte, die mir seit einer sehr kurzen Zeit schon
alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ-
lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom-
men, aber noch schneller als sonst verschwinden, und mir nur
wie ein Wetter ihre Resultate als Frucht zurücklassen. Ich
bin so geplagt von Gedanken, Vorstellungen und Einfällen,
daß ich mir Blätter bereitet habe, um sie wo möglich gleich
hinzuschreiben; für dich und mich: dies hier als erstes zu Er-
gänzung des gestrigen Briefes. Er klang accurat, als sie ich
nur aufgebracht gegen diesen und jenen, die mir denn Alle,

derer, die der Sandboden wohl zuerſt diktirte, ſind ſchon die
bekannten Urſachen. —




Jetzt fällt mir oft ein zu ſagen: „Ich mag nicht von ihm
ſprechen, ich bin böſe auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig-
keit widerfahren laſſen.“



„Warum ſollt’ ich nicht natürlich ſein? Ich wüßte nichts
Beſſeres und Mannigfaltigeres zu affektiren!“



An Varnhagen, in der Champagne.


Mein Brief von geſtern an dich war wieder ſo gut, als
gelogen; obgleich er mit der höchſten Wahrhaftigkeit geſchrie-
ben war. Weil er das Ende verſchiedener Stimmungen und
Gedanken ausdrückte, die mir ſeit einer ſehr kurzen Zeit ſchon
alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ-
lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom-
men, aber noch ſchneller als ſonſt verſchwinden, und mir nur
wie ein Wetter ihre Reſultate als Frucht zurücklaſſen. Ich
bin ſo geplagt von Gedanken, Vorſtellungen und Einfällen,
daß ich mir Blätter bereitet habe, um ſie wo möglich gleich
hinzuſchreiben; für dich und mich: dies hier als erſtes zu Er-
gänzung des geſtrigen Briefes. Er klang accurat, als ſie ich
nur aufgebracht gegen dieſen und jenen, die mir denn Alle,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0188" n="180"/>
derer, die der Sandboden wohl zuer&#x017F;t diktirte, &#x017F;ind &#x017F;chon die<lb/>
bekannten Ur&#x017F;achen. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Prag, März 1814.</hi> </dateline><lb/>
            <p>Jetzt fällt mir oft ein zu &#x017F;agen: &#x201E;Ich mag nicht von ihm<lb/>
&#x017F;prechen, ich bin bö&#x017F;e auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig-<lb/>
keit widerfahren la&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>&#x201E;Warum &#x017F;ollt&#x2019; ich nicht natürlich &#x017F;ein? Ich wüßte nichts<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;eres und Mannigfaltigeres zu affektiren!&#x201C;</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>An Varnhagen, in der Champagne.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Prag, Sonntag den 20. März 1814.<lb/>
Morgens, 9 Uhr, im Bette.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Mein Brief von ge&#x017F;tern an dich war wieder &#x017F;o gut, als<lb/>
gelogen; obgleich er mit der höch&#x017F;ten Wahrhaftigkeit ge&#x017F;chrie-<lb/>
ben war. Weil er das Ende ver&#x017F;chiedener Stimmungen und<lb/>
Gedanken ausdrückte, die mir &#x017F;eit einer &#x017F;ehr kurzen Zeit &#x017F;chon<lb/>
alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ-<lb/>
lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom-<lb/>
men, aber noch &#x017F;chneller als &#x017F;on&#x017F;t ver&#x017F;chwinden, und mir nur<lb/>
wie ein Wetter ihre Re&#x017F;ultate als Frucht zurückla&#x017F;&#x017F;en. Ich<lb/>
bin &#x017F;o geplagt von Gedanken, Vor&#x017F;tellungen und Einfällen,<lb/>
daß ich mir Blätter bereitet habe, um &#x017F;ie wo möglich gleich<lb/>
hinzu&#x017F;chreiben; für dich und mich: dies hier als er&#x017F;tes zu Er-<lb/>
gänzung des ge&#x017F;trigen Briefes. Er klang accurat, als &#x017F;ie ich<lb/>
nur aufgebracht gegen die&#x017F;en und jenen, die mir denn Alle,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0188] derer, die der Sandboden wohl zuerſt diktirte, ſind ſchon die bekannten Urſachen. — Prag, März 1814. Jetzt fällt mir oft ein zu ſagen: „Ich mag nicht von ihm ſprechen, ich bin böſe auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig- keit widerfahren laſſen.“ „Warum ſollt’ ich nicht natürlich ſein? Ich wüßte nichts Beſſeres und Mannigfaltigeres zu affektiren!“ An Varnhagen, in der Champagne. Prag, Sonntag den 20. März 1814. Morgens, 9 Uhr, im Bette. Mein Brief von geſtern an dich war wieder ſo gut, als gelogen; obgleich er mit der höchſten Wahrhaftigkeit geſchrie- ben war. Weil er das Ende verſchiedener Stimmungen und Gedanken ausdrückte, die mir ſeit einer ſehr kurzen Zeit ſchon alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ- lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom- men, aber noch ſchneller als ſonſt verſchwinden, und mir nur wie ein Wetter ihre Reſultate als Frucht zurücklaſſen. Ich bin ſo geplagt von Gedanken, Vorſtellungen und Einfällen, daß ich mir Blätter bereitet habe, um ſie wo möglich gleich hinzuſchreiben; für dich und mich: dies hier als erſtes zu Er- gänzung des geſtrigen Briefes. Er klang accurat, als ſie ich nur aufgebracht gegen dieſen und jenen, die mir denn Alle,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/188
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/188>, abgerufen am 21.11.2024.