derer, die der Sandboden wohl zuerst diktirte, sind schon die bekannten Ursachen. --
Prag, März 1814.
Jetzt fällt mir oft ein zu sagen: "Ich mag nicht von ihm sprechen, ich bin böse auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig- keit widerfahren lassen."
"Warum sollt' ich nicht natürlich sein? Ich wüßte nichts Besseres und Mannigfaltigeres zu affektiren!"
An Varnhagen, in der Champagne.
Prag, Sonntag den 20. März 1814. Morgens, 9 Uhr, im Bette.
Mein Brief von gestern an dich war wieder so gut, als gelogen; obgleich er mit der höchsten Wahrhaftigkeit geschrie- ben war. Weil er das Ende verschiedener Stimmungen und Gedanken ausdrückte, die mir seit einer sehr kurzen Zeit schon alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ- lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom- men, aber noch schneller als sonst verschwinden, und mir nur wie ein Wetter ihre Resultate als Frucht zurücklassen. Ich bin so geplagt von Gedanken, Vorstellungen und Einfällen, daß ich mir Blätter bereitet habe, um sie wo möglich gleich hinzuschreiben; für dich und mich: dies hier als erstes zu Er- gänzung des gestrigen Briefes. Er klang accurat, als sie ich nur aufgebracht gegen diesen und jenen, die mir denn Alle,
derer, die der Sandboden wohl zuerſt diktirte, ſind ſchon die bekannten Urſachen. —
Prag, März 1814.
Jetzt fällt mir oft ein zu ſagen: „Ich mag nicht von ihm ſprechen, ich bin böſe auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig- keit widerfahren laſſen.“
„Warum ſollt’ ich nicht natürlich ſein? Ich wüßte nichts Beſſeres und Mannigfaltigeres zu affektiren!“
An Varnhagen, in der Champagne.
Prag, Sonntag den 20. März 1814. Morgens, 9 Uhr, im Bette.
Mein Brief von geſtern an dich war wieder ſo gut, als gelogen; obgleich er mit der höchſten Wahrhaftigkeit geſchrie- ben war. Weil er das Ende verſchiedener Stimmungen und Gedanken ausdrückte, die mir ſeit einer ſehr kurzen Zeit ſchon alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ- lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom- men, aber noch ſchneller als ſonſt verſchwinden, und mir nur wie ein Wetter ihre Reſultate als Frucht zurücklaſſen. Ich bin ſo geplagt von Gedanken, Vorſtellungen und Einfällen, daß ich mir Blätter bereitet habe, um ſie wo möglich gleich hinzuſchreiben; für dich und mich: dies hier als erſtes zu Er- gänzung des geſtrigen Briefes. Er klang accurat, als ſie ich nur aufgebracht gegen dieſen und jenen, die mir denn Alle,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0188"n="180"/>
derer, die der Sandboden wohl zuerſt diktirte, ſind ſchon die<lb/>
bekannten Urſachen. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Prag, März 1814.</hi></dateline><lb/><p>Jetzt fällt mir oft ein zu ſagen: „Ich mag nicht von ihm<lb/>ſprechen, ich bin böſe auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig-<lb/>
keit widerfahren laſſen.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>„Warum ſollt’ ich nicht natürlich ſein? Ich wüßte nichts<lb/>
Beſſeres und Mannigfaltigeres zu affektiren!“</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in der Champagne.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Prag, Sonntag den 20. März 1814.<lb/>
Morgens, 9 Uhr, im Bette.</hi></dateline><lb/><p>Mein Brief von geſtern an dich war wieder ſo gut, als<lb/>
gelogen; obgleich er mit der höchſten Wahrhaftigkeit geſchrie-<lb/>
ben war. Weil er das Ende verſchiedener Stimmungen und<lb/>
Gedanken ausdrückte, die mir ſeit einer ſehr kurzen Zeit ſchon<lb/>
alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ-<lb/>
lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom-<lb/>
men, aber noch ſchneller als ſonſt verſchwinden, und mir nur<lb/>
wie ein Wetter ihre Reſultate als Frucht zurücklaſſen. Ich<lb/>
bin ſo geplagt von Gedanken, Vorſtellungen und Einfällen,<lb/>
daß ich mir Blätter bereitet habe, um ſie wo möglich gleich<lb/>
hinzuſchreiben; für dich und mich: dies hier als erſtes zu Er-<lb/>
gänzung des geſtrigen Briefes. Er klang accurat, als ſie ich<lb/>
nur aufgebracht gegen dieſen und jenen, die mir denn Alle,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[180/0188]
derer, die der Sandboden wohl zuerſt diktirte, ſind ſchon die
bekannten Urſachen. —
Prag, März 1814.
Jetzt fällt mir oft ein zu ſagen: „Ich mag nicht von ihm
ſprechen, ich bin böſe auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig-
keit widerfahren laſſen.“
„Warum ſollt’ ich nicht natürlich ſein? Ich wüßte nichts
Beſſeres und Mannigfaltigeres zu affektiren!“
An Varnhagen, in der Champagne.
Prag, Sonntag den 20. März 1814.
Morgens, 9 Uhr, im Bette.
Mein Brief von geſtern an dich war wieder ſo gut, als
gelogen; obgleich er mit der höchſten Wahrhaftigkeit geſchrie-
ben war. Weil er das Ende verſchiedener Stimmungen und
Gedanken ausdrückte, die mir ſeit einer ſehr kurzen Zeit ſchon
alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ-
lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom-
men, aber noch ſchneller als ſonſt verſchwinden, und mir nur
wie ein Wetter ihre Reſultate als Frucht zurücklaſſen. Ich
bin ſo geplagt von Gedanken, Vorſtellungen und Einfällen,
daß ich mir Blätter bereitet habe, um ſie wo möglich gleich
hinzuſchreiben; für dich und mich: dies hier als erſtes zu Er-
gänzung des geſtrigen Briefes. Er klang accurat, als ſie ich
nur aufgebracht gegen dieſen und jenen, die mir denn Alle,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/188>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.