aus den dunkeln Schluchten, im Schweiße seines Angesichts, in dem ganzen Aufwand seiner Seelenkraft hervortrieb? -- Lessing! Lessing liegt auch; von wenigen nur nicht vergessen; und mußte kämpfen um das, was jetzt platt in jeder Zeitung stehen darf, um das, was solcher Gemeinplatz geworden ist, daß sie den Erfinder vergessen, und es in stupider Albernheit nur ihm nachsprechen dürfen! Und was würde er jetzt wie- der den Andern vorsprechen! Wie würde er sie über ihren Dünkel abkappen; sie polemisch, lebendig überführen, ihnen zur rechten Minute Völker und Geschichte vorrücken, in die blinde Aufgeblasenheit Löcher reißen, und ihnen die Aussicht für That und Sache öffnen und frei machen, mit Ernst und Spott. Dieser Mann mußte sich mit einem Goeze abringen, und Schutt wegräumen, der damals fest und gerade stand wie unsere Gebäude. So auch Racine und Voltaire und all die Andern, die sie jetzt verachten wollen, weil sie die Zeit nicht fassen, in der jene leben mußten. Racine mußte große Kränkungen erleben, große Korrespondenzen führen, weil sein Sohn Manschetten angehabt hatte, und in einer gewissen Schule darum nicht mehr geduldet werden sollte, und mußte diesen jungen Menschen deßhalb schelten, und sich anklagen und entschuldigen! Eine vornehme Dame wurde krank, und von ihrer Tochter verfolgt, weil diese rechtgläubig, und die Mutter es nicht war! Mit Gewalt schickte man einem Dich- ter, welcher krank wurde, die Sakramente! Und diese Leute sollten davon sprechen und schreiben, was jetzt vorgeht? Die Religion der Jetzigen ist prahlerischer, als der Abscheu jener vor den nur herrschenden Ceremonien derselben. Lessing,
aus den dunkeln Schluchten, im Schweiße ſeines Angeſichts, in dem ganzen Aufwand ſeiner Seelenkraft hervortrieb? — Leſſing! Leſſing liegt auch; von wenigen nur nicht vergeſſen; und mußte kämpfen um das, was jetzt platt in jeder Zeitung ſtehen darf, um das, was ſolcher Gemeinplatz geworden iſt, daß ſie den Erfinder vergeſſen, und es in ſtupider Albernheit nur ihm nachſprechen dürfen! Und was würde er jetzt wie- der den Andern vorſprechen! Wie würde er ſie über ihren Dünkel abkappen; ſie polemiſch, lebendig überführen, ihnen zur rechten Minute Völker und Geſchichte vorrücken, in die blinde Aufgeblaſenheit Löcher reißen, und ihnen die Ausſicht für That und Sache öffnen und frei machen, mit Ernſt und Spott. Dieſer Mann mußte ſich mit einem Goeze abringen, und Schutt wegräumen, der damals feſt und gerade ſtand wie unſere Gebäude. So auch Racine und Voltaire und all die Andern, die ſie jetzt verachten wollen, weil ſie die Zeit nicht faſſen, in der jene leben mußten. Racine mußte große Kränkungen erleben, große Korreſpondenzen führen, weil ſein Sohn Manſchetten angehabt hatte, und in einer gewiſſen Schule darum nicht mehr geduldet werden ſollte, und mußte dieſen jungen Menſchen deßhalb ſchelten, und ſich anklagen und entſchuldigen! Eine vornehme Dame wurde krank, und von ihrer Tochter verfolgt, weil dieſe rechtgläubig, und die Mutter es nicht war! Mit Gewalt ſchickte man einem Dich- ter, welcher krank wurde, die Sakramente! Und dieſe Leute ſollten davon ſprechen und ſchreiben, was jetzt vorgeht? Die Religion der Jetzigen iſt prahleriſcher, als der Abſcheu jener vor den nur herrſchenden Ceremonien derſelben. Leſſing,
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aus den dunkeln Schluchten, im Schweiße ſeines Angeſichts,
in dem ganzen Aufwand ſeiner Seelenkraft hervortrieb? —
Leſſing! Leſſing liegt auch; von wenigen nur nicht vergeſſen;
und mußte kämpfen um das, was jetzt platt in jeder Zeitung
ſtehen darf, um das, was ſolcher Gemeinplatz geworden iſt,
daß ſie den Erfinder vergeſſen, und es in ſtupider Albernheit
nur ihm nachſprechen dürfen! Und was würde er jetzt wie-
der den Andern vorſprechen! Wie würde er ſie über ihren
Dünkel abkappen; ſie polemiſch, lebendig überführen, ihnen
zur rechten Minute Völker und Geſchichte vorrücken, in die
blinde Aufgeblaſenheit Löcher reißen, und ihnen die Ausſicht
für That und Sache öffnen und frei machen, mit Ernſt und
Spott. Dieſer Mann mußte ſich mit einem Goeze abringen,
und Schutt wegräumen, der damals feſt und gerade ſtand
wie unſere Gebäude. So auch Racine und Voltaire und
all die Andern, die ſie jetzt verachten wollen, weil ſie die Zeit
nicht faſſen, in der jene leben mußten. Racine mußte große
Kränkungen erleben, große Korreſpondenzen führen, weil ſein
Sohn Manſchetten angehabt hatte, und in einer gewiſſen
Schule darum nicht mehr geduldet werden ſollte, und mußte
dieſen jungen Menſchen deßhalb ſchelten, und ſich anklagen
und entſchuldigen! Eine vornehme Dame wurde krank, und
von ihrer Tochter verfolgt, weil dieſe rechtgläubig, und die
Mutter es nicht war! Mit Gewalt ſchickte man einem Dich-
ter, welcher krank wurde, die Sakramente! Und dieſe Leute
ſollten davon ſprechen und ſchreiben, was jetzt vorgeht? Die
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vor den nur herrſchenden Ceremonien derſelben. Leſſing,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/181>, abgerufen am 24.11.2024.
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